GEGEN DISKRIMINIERUNG

Beraten, unterstützen, verändern

Von Axel Schock
Kerstin Mörsch
Kerstin Mörsch ist Ansprechpartnerin für HIV-bedingte Diskriminierung (Foto: privat)

Menschen mit HIV erleben im Alltag wie im Berufsleben und selbst bei Ärzten immer wieder Diskriminierungen. In der neu eingerichteten Anlauf- und Kontaktstelle der Deutschen AIDS-Hilfe unterstützt Kerstin Mörsch Betroffene dabei, dagegen vorzugehen. Axel Schock hat sich mit ihrüber ihre neue Aufgabe unterhalten.

Kerstin, du bist beruflich schon viele Jahre im HIV- und Aidsbereich tätig, zunächst als Krankenschwester auf HIV-Stationen in Köln und Berlin, seit 2003 parallel dazu auch als Sozialberaterin in der Schwulenberatung Berlin. Haben sich die Diskriminierungen, die du in diesen Arbeitsfeldern erlebt hast, über die Jahre verändert?

Es ist kein Geheimnis, dass es im Gesundheitswesen immer schon, zum Teil sogar sehr drastische Diskriminierungen von HIV-Positiven gab. Man darf nicht vergessen: HIV-Spezialstationen machen natürlich medizinisch Sinn, aber ein Grund für ihre Einrichtung war auch, das HIV-positive Patienten auf anderen Stationen diskriminiert wurden. Die Situation hat sich in den letzten 20 Jahren sicher entschärft. Wir wissen aber, nicht zuletzt auch aus Umfragen, dass HIV-Patienten zum Beispiel in Krankenhäusern auch heute noch Diskriminierungen ausgesetzt sind und dass der Datenschutz verletzt wird.

HIV-Patienten sind in Krankenhäusern auch heute noch Diskriminierungen ausgesetzt

Welche Erfahrungen hast du in den letzten Jahren selbst machen können?

In der Schwulenberatung hatte ich viel mit Arbeitseingliederungsmaßnahmen für Menschen mit HIV und Aids zu tun. Mir ist dabei aufgefallen, dass die einzelnen Diskriminierungen nicht mehr unbedingt so massiv, sondern auf eine eher schleichende Art erlebt werden. Die Folge ist, dass Menschen mit HIV darauf reagieren, indem sie Konfrontationen aus dem Weg gehen und ihre HIV-Infektion verschweigen. Heute wird, um mal ein deutliches Bild zu benutzen, nicht mehr mit dem Hammer auf den Kopf gehauen, sondern nur gepiekt, aber dies immer und immer wieder. Die Wirkung aber ist auf lange Sicht die gleiche: Menschen ziehen sich zurück und weichen Begegnungen und damit möglichen Diskriminierungen aus.

Wenn die Diskriminierung von HIV-Positiven schon so lange besteht: Warum gibt es diesen Posten der Ombudsfrau erst jetzt?

Das ist schon fast eine philosophische Frage. Mit der Befragung „positive stimmen“ stand erstmals eine große Zahl aussagekräftiger Interviews mit vielen, zum Teil auch sehr emotionalen Fallbeispielen zur Verfügung. Anhand dieses Materials konnten Diskriminierungen auch empirisch ausgemacht werden, insbesondere im Bereich Sexualität, Medizin und Arbeit. Dass etwas gegen die vielfältigen Formen der Diskriminierung HIV-positiver Menschen getan werden muss, war den meisten Beteiligten schon lange klar, und innerhalb der DAH arbeiten auch bereits viele Fachbereiche und Personen daran. Die Ergebnisse der „positiven stimmen“ haben aber entscheidend dazu beigetragen, dass auch auf politischer Ebene der dringende Handlungsbedarf klargemacht und letztlich auch diese Stelle eingerichtet werden konnte.

Kompetente Erstberatung für die Hilfesuchenden

Die Diskriminierungsstelle ist in der Geschäftsstelle der DAH angesiedelt. Wie kannst du von Berlin aus Opfern von Diskriminierungen in anderen Städten der Republik helfen?

Meine Aufgabe ist zunächst, den Hilfesuchenden eine kompetente Erstberatung anzubieten. Das heißt, dass ich das Geschehen aufnehme und schaue, was im konkreten Fall unternommen werden kann. Im Idealfall kann ich an kompetente Institutionen vor Ort verweisen. Menschen nach einem Diskriminierungserlebnis über eine längere Zeit psychologisch zu begleiten, geht von hier aus allerdings nicht. Diese Aufgabe können letztlich nur Beraterinnen und Berater vor Ort übernehmen.

Besteht dafür bereits ein entsprechendes Netzwerk?

Sicherlich nicht in ausreichendem Maße. Deshalb ist ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich, neben den regionalen Aidshilfen auch andere Beratungsstellen und Antidiskriminierungsstellen für das Thema zu sensibilisieren und sie kompetenter zu machen. Als ersten Schritt möchte ich zum Ende des Jahres einen Leitfaden gegen Diskriminierung vorlegen. Darin wird unter anderem nachzulesen sein, bei wem man sich in solchen Fällen beschweren kann und welche Wege beschritten werden können, um gegen Diskriminierungen vorzugehen. Meine Stelle ist an der Schnittstelle von zwei Fachbereichen innerhalb der Deutschen AIDS-Hilfe angesiedelt, dem Fachbereich „Leben mit HIV“ und der Onlineberatung. Das gibt auch sehr gut das Spektrum meiner Aufgaben wieder.

Auch emotionale Unterstützung ist notwendig

Wie wichtig ist neben der fachlichen Beratung und Begleitung bei Diskriminierungserfahrungen eine psychologische Betreuung?

Man muss sich im Klaren sein, dass solche Prozesse, wie etwa Beschwerden über den Zahnarzt bei der Ärztekammer, durchaus länger dauern können. Von den Betroffenen kann diese Zeit auch als zermürbend empfunden werden. Zudem ist jede Diskriminierung immer auch eine persönliche Verletzung. Es ist daher notwendig, dass Menschen auch emotionale Unterstützung erhalten, wenn sie benötigt wird, und sie Unterstützer an ihrer Seite wissen, mit denen sie sich besprechen können.

Wie können sich Hilfesuchende an dich wenden?

Sie können mir einen Brief oder eine E-Mail schicken oder mich direkt anrufen. Dazu gibt es feste Telefonzeiten, zu denen ich erreichbar bin.

Menschen, die Diskriminierungen erlebt haben, sind oft verängstigt und verunsichert. Manche fürchten vielleicht erst recht Repressionen, wenn sie sich mit vollem Namen beispielsweise über einen Arzt oder ein Krankenhaus zu beschweren.

Wenn sich Leute an mich wenden, wird natürlich ganz klar abgesprochen, was in jedem einzelnen Fall unternommen werden soll. Auch, inwieweit der Betroffene nach der Beratung selbst aktiv werden und wo ihn die DAH unterstützen kann. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist für unsere Arbeit natürlich etwas, auf das wir uns bei Beschwerden sehr häufig stützen können. Leider sind dort chronische Krankheiten, wie von der Deutschen AIDS-Hilfe seit vielen Jahren gefordert, noch nicht explizit aufgenommen.

Die Eigenmechanismen innerhalb der Aids-Selbsthilfe stärken

Was treibt dich ganz persönlich dazu, diese Arbeit zu machen und damit den Kampf gegen die Windmühlen namens Diskriminierung aufzunehmen?

Da ich in meinem beruflichen Werdegang stets mit Menschen mit HIV und Aids zu tun hatte, war Diskriminierung immer ein wichtiges Thema. Ich habe in dieser Zeit die Erfahrung gemacht, dass auf einer strukturellen Ebene tatsächlich etwas verändert werden kann, auch in Fragen der Diskriminierung. Und im Bereich HIV hat sich auch schon einiges verändert. Als einen Kampf gegen die Windmühlen sehe ich diese Arbeit deshalb überhaupt nicht.

Ich kann natürlich nicht alle Probleme der Welt lösen, aber ich erhoffe mir schon, dass durch diese Stelle das Thema der Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids breiter wahrgenommen und dass dieser Diskriminierung entgegengetreten wird. Und auch, dass dadurch die Eigenmechanismen innerhalb der organisierten Aids-Selbsthilfe gestärkt werden. In der Selbsthilfe, z.B. bei Positiventreffen, passiert ja ganz viel untereinander. Das ist die wichtigste Ressource, und die wollen wir begleiten und stärken.

Wie könnte das aussehen?

Ich wünsche mir, dass ich künftig nicht nur über schlimme Diskriminierungsfälle berichten muss, sondern wir uns auch über erfolgreiche Beispiele austauschen: Wie sind Leute mit Diskriminierung umgegangen? Wie haben sie sich gewehrt und mit welchem Erfolg? Welche Art Unterstützung haben sie gesucht? Aus solchen Beispielfällen könnten alle Beteiligten für diese Arbeit lernen – und damit letztlich die Situation für alle zum Besseren verändern.

Kontakt: Kerstin Mörsch

gegendiskriminierung@dah.aidshilfe.de

Telefon: 030-69 00 87 67

Bürozeiten: Montag, Dienstag und Freitag von 10 bis 15 Uhr

4 Kommentare

toni 11. September 2013 10:09

…ich bin da über einen satz gestolpert, bzw. drängt sich mir bei diesem hier: „Besteht dafür bereits ein entsprechendes Netzwerk?

Sicherlich nicht in ausreichendem Maße. Deshalb ist ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich, neben den regionalen Aidshilfen auch andere Beratungsstellen und Antidiskriminierungsstellen für das Thema zu sensibilisieren und sie kompetenter zu machen.“

die frage auf: wenn nicht wir regionalen aids-hilfen vor ort ausschließlich, mit jahrelanger erfahrung und kompetenz und immer noch erste anlaufstelle für menschen mit HIV/AIDS… wer soll denn diese beratung übernehmen ??

rüdiger 18. September 2013 15:16

ich denke wir haben ein Netzwerk aller Aids-Hilfe in Deutschland und sind doch irgendwie miteinander verbunden. Online-Beratung und Bundesweite Telefonberatung, zwei Modelle, die gerade die Netzwerkarbeit deutlich machen, wie es auch viele andere Netzwerke innerhalb der DAH gibt. Ist es nicht hier mehr die Aufgabe der DAH in der neuen Stelle zur Antidiskriminierung die Arbeit der Aids-Hilfe zu stärken hinsichtlich von Workshops, damit wir vor Ort noch besser beraten können. Ich bin seit 13 Jahren für eine Aids-Hilfe auf dem Land tätig. Da wäre es doch jetzt gut, wenn Kerstin Mörsch Angebote für Landesverbänder der Aids-Hilfe macht und die Kompetenzen vor Ort somit tatkräftig schult und erweitert. Was nützt mir eine Beratung in Berlin, wenn dort sich Betroffene melden können und ich vor Ort immer wieder von unseren Leuten höre, wie vorsichtig und zurückhaltend sie mit ihrer HIV Diagnose umgehen. Die Diskriminierung bei Ärzten, in Krankenhäuseren und grundsätzlich im Gesundheitswesen sind die eine Seite, doch im Beruf wird es doch für einige sehr eng. Im Privatleben, in der Nachbarschaft oder in den Dorfgemeinschaft auf dem Land, drehen das Rad ein bischen anders. So habe ich z. B. einen Klienten, dem kann ich noch nicht mal Post senden, weil er Angst hat, dadurch geoutet zu werden.

Die Stelle bei der DAH ist sicherlich ein guter Weg, es ist aber wichtig, das dieser Weg mit allen Aids-Hilfen Vor Ort zusammen geht. Das ist ein Projekt, da sind wir alle mit drin. Politisch in Berlin durch diese Stelle im Gesundheitswesen noch besser auf der bundesebene agieren zu können ist wichtig, doch das muss auch in die Länder kommuniziert werden.

Ich wünsche mir da mehr Vor-Ort Projekte in den verschiedenen Regionen.

Jens 20. Oktober 2015 17:28

Ich fühle mich ohnehin schon nicht gut und da reicht mir schon ein Augenrollen wenn ich den Überweisungsschein vorlege.Auf dem steht natürlich auch die HIV Infektion. Ich spüre deutlich das ich nicht Willkommen bin,und nur eine lästige Pflicht bin. Mir wäre ein ehrliches vepiss dich hier oft lieber.Als diese Scheinheiligkeit.Ich fände es wirklich besser den Ärzten die Möglichkeit zu geben offen zu ihrer Ablehnung zu stehen.Dann gehe ich eben nur zu Ärzten die offen eine Behandlung für uns anbieten. Käme mir dann wenigstens nicht mehr so dreckig vor.

Olaf Just 7. Juni 2016 14:34

Ich wohne in Berlin und bin seit 2011 an HIV erkrankt und nach einer jahre langen Therapie unter der Nachweisgrenze Gott sei Dank und nun musste ich leider feststellen das man hier sehr wohl mit allem diskriminiert wurde oder immer noch wird ,mit Wohnraum, mit stundenweise Arbeit ,mit unverständliche Mitarbeiter vom Jobcenter, mit einer desolaten finanziellen Unterstützung ,mit fehlenden Hausbesuchen, mit einer katastrophalen Zahnersatz Behandlung die immer noch nicht behoben wurde ,fehlende Genehmigung der Krankenkasse u.s.w., u.s.w. das einzige was ich habe ist mein guter Hausarzt Infektiologe und meine beide Haustiere Hunde. Zum kotzen ist das mit dieser Gesellschaft!

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