„Die bringen mich zur Verzweiflung!“
Aids-Phobiker und -Hypochonder machen Beraterinnen und Beratern das Leben schwer. Werner Bock, Koordinator der gemeinsamen Telefonberatung der Aidshilfen, berichtet von den Erfahrungen im Umgang mit diesen Anrufern und stellt ein neues Schulungsangebot der Deutschen AIDS-Hilfe zum Thema vor.
Jeder Telefonberater kennt solche Anrufe: Kaum hat er den Hörer abgenommen, kommt wie aus der Pistole geschossen eine schier endlose Liste von Symptomen: geschwollene Lymphknoten, Schlafstörungen, Nachtschweiß, Hautausschläge an verschiedenen Stellen, erhöhte Temperatur, rote Punkte auf der Brust, Muskel- und Gelenkschmerzen usw. Selbst ein erfahrener Berater kommt kaum zu Wort. Man kann spüren, unter welch enormem Druck die Anrufer stehen. Gleichzeitig ist es kaum möglich, einen wirklichen Kontakt zu ihnen zu bekommen. Die Rede ist von sogenannten Aids-Phobikern und Aids-Hypochondern.
Mit rationalen Argumenten so gut wie nicht zu erreichen
Sie sind eine besondere Herausforderung, da sie – anders als die meisten Anrufer – mit rationalen Argumenten so gut wie nicht zu erreichen sind. Aids-Phobiker haben panische Angst, sich mit HIV zu infizieren, auch in Situationen, in denen ein Infektionsrisiko so gut wie ausgeschlossen ist. Immer wieder konstruieren sie neue Szenarien, in denen vielleicht doch eine Übertragung möglich sein könnte. Sie lassen sich nur schwer und meist nicht dauerhaft beruhigen. Aids-Hypochonder gehen noch einen Schritt weiter: Sie sind felsenfest überzeugt, dass sie das Virus bereits haben. Davon lassen sie sich auch nicht durch wiederholte negative HIV-Tests abbringen.
„Bei Beratern lösen solche Anrufer unterschiedlichste Gefühle aus“, weiß Iris Hufnagel, Leiterin der Telefonberatergruppe bei der AIDS-Hilfe Frankfurt, zu berichten. „Die Palette reicht von Ungeduld über Genervtsein bis hin zu Wut und Aggression. Es gibt Ehrenamtler, die sind wieder aus der Beratung ausgeschieden, weil sie sich von solchen Anrufern überfordert fühlen. Andere fühlen sich schuldig, weil sie nicht wirklich helfen können“. Ein neues Schulungsangebot der Deutschen AIDS-Hilfe will hier Abhilfe schaffen.
Die eingebildete Krankheit schafft einen Schutzraum vor anderen Konflikten
In der eintägigen Schulung geht es darum, das Wesen der Hypochondrie und die Psychodynamik bei Aids-Hypochondern zu verstehen. Mit der „eingebildeten Krankheit“ schaffen sie sich einen Entlastungsraum, der sie vor anderen Konflikten und Anforderungen schützt, denn als Kranke dürfen sie mit Schonung rechnen. Gegen alle guten Argumente und sämtliche Beruhigungsversuche klammern sie sich deshalb an „ihr Virus“. Zugleich aber haben sie extreme Angst vor ihm und wünschen sich nichts mehr, als dass ihre Beschwerden keine körperliche Ursache haben.
Berater geraten dadurch in ein Dilemma, denn eigentlich können sie bei Aids-Hypochondern nie „das Richtige“ tun. Diese schaffen es, auch erfahrene Berater zu verunsichern und sie mit ihren Ängsten und Zweifeln „anzustecken“. Zurück bleiben Hilflosigkeit, Ohnmacht und Frustration. „Wir müssen Beraterinnen und Beratern vermitteln, dass die Hypochondrie eine schwere seelische Störung ist, die sich in einem Telefongespräch nicht beeinflussen lässt. Allein dieses Wissen kann sie schon entlasten“, erklärt Karl Lemmen, DAH-Referent für Psychosoziales und Qualitätssicherung.
„Wir können ihnen lediglich zuhören und hoffen, dass sie dadurch etwas Erleichterung erfahren“
Zugleich gibt man den Schulungsteilnehmern Strategien mit auf den Weg, die den Umgang mit Aids-Hypochondern erleichtern. „Klare, knappe Infos geben und es dabei belassen“, lautet eine von ihnen. „Diese Anrufer kann man nicht überzeugen, dass sie nicht krank sind und ihre Aids-Angst daher unbegründet ist. Wir können ihnen lediglich zuhören und hoffen, dass sie dadurch etwas Erleichterung erfahren“, sagt Karl Lemmen, der die Schulung konzipiert hat. „Berater können allenfalls kleine Anstöße geben, indem sie das Gespräch weg von den Symptomen und hin zu den Ängsten des Anrufers lenken. Hilfreich kann auch ein vorsichtiger Hinweis auf die Möglichkeit einer Psychotherapie sein.“
Solche Strategien sind zwar hilfreich. Aber auch wenn man sie anwendet, bleibt das Gespräch mit Aids-Hypochondern anstrengend. Für Telefonberaterinnen und -berater ist es daher wichtig, Grenzen zu setzen, indem sie z. B. das Gespräch zeitlich befristen – und sich immer wieder bewusst zu machen, dass sie manchmal einfach nicht helfen können.
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5 Kommentare
alivenkickn 5. April 2011 14:10
wie fang ich an . . .
also ich sag s mal positiv . . . . schön das die tel beratung der aidshilfen dieses problem erkannt haben, ein problem das vielen die z.b. seit jahren online unterwegs sind, schon seit jahren bekannt ist.
hier ist einer der gräben zu erkennen der zwischen teilen der community und den „profis“ besteht.
die einbindung der erfahrungen von menschen mit HIV die NICHT einem Verband, Arbeitgeber etc. angehören, die MITTEN IM LEBEN STEHEN, in die präventionsarbeit . . . ein thema für den Nationalen AIDS Beirat . . .
Peter von der Forst 8. April 2011 12:18
Liebe(r) alivenkn, das Thema Aids-Phobie und Aids-Hypochondrie beschäftigt die Berater/innen der AIDS-Hilfen seit ca. 25 Jahren, es muss halt für die, die neu hinzukommen, immer wieder aufgefrischt und geschult werden. Wenn es denn Gräben gibt zwischen Community und den Profis bin ich bestimmt dafür diese zu überwinden! AIDS-Hilfen sind offen für Anregungen und für’s Engagement! Herzliche Einladung und Prüße! Peter von der Forst
Karl Lemmen 13. April 2011 13:39
Lieber Peter,
herzlichen Dank für Deine Klarstellung. Es ist tatsächlich so, dass wir immer wieder gefordert sind, neue Beraterinnen und Berater zu schulen. Dies immer auf dem Hintergrund des akutellen Wissensstandes. Aber gerade hier hat sich in den vergangenen Jahren Entscheidendes getan: während Ratsuchende mit starken Aidsängsten früher leichter mal in die Schublade „Aidsphobie“ rutschten, schauen wir heute viel genauer hin. Erst einmal muss nicht jede (vorübergehnde) Aidsangst Krankheitswert haben. Noch wichtiger ist, klar zwischen der Aidsphobie und der Aidshypochondrie zu unterscheiden, weil diese beiden Krankheitsbilder unterschiedliche Interventionen von Beraterseite erfordern. In der wissenschaftlichen Bewertung fordert erst HIRSCH (2010) diese klare Unterscheidung ein. Wer sich für Hintergründe hierzu interessiert, sei auf den folgenden Link verwiesen, unter dem auch die entsprechende Literatur genannt wird.
Grüße aus Berlin
Karl Lemmen
http://www.viro.med.uni-erlangen.de/bulletin/Bulletin1_11.pdf
Thomas Elias 16. April 2011 18:01
@Alivenkickn: Zunächst sehe ich hier keine grundsätzlichen Gräben zwischen Betroffenen und Beratungsprofis, zumal auch hier teilweise Deckungsgleichheit besteht. Es gibt in beratenden Institutionen durchaus auch Menschen mit HIV/Aids, die in der Beratung tätig sind.
Was die angesprochenen Problemfelder (Aidsphopie, Aidshypochondrie) angeht, leitet pure Betroffenheit keine besondere Beratungskompetenz her, denn Phobien, Hypochondrien beschreiben ein Problemfeld, welches unabhängig von HIV/Aids existiert.
Man muss auch keine Spinne sein oder haben, um Arachnophobiker gut beraten zu können. Man muss etwas über Phobien wissen und man sollte über geeignete Beratungstechniken verfügen. Eigene Betroffenheit nützt da herzlich wenig.
Eine berechtigte Forderung ist durchaus, die Kompetenz Betroffener bei der Entwicklung von Beratungskonzepten, Inhalten und Settings mit einzubeziehen bzw. diese nicht auszugrenzen. Das geschieht m.M. nach jedoch in ausreichendem Maße. Ich mache jedenfalls keine Beobachtung im Alltag welche mit bestätigt, dass Betroffene im Willen ihres Engagements ausgebremst werden.
Was ich der DAH und hier besonders Karl Lemmen hoch anrechne, ist die Aktualität und die Tiefe, die dem Segment der Beratung gewidmet wird.
Gerade das Internet stellt die BeraterInnen im Alltag vor neue Herausforderungen: Viele AnruferInnen verfügen über sehr viele mehr oder weniger fundierte – oft sehr widersprüchliche – Informationen, bevor sie einen Anruf tätigen.
Als Berater hat man es dann auch zunehmend mit Fällen zu tun, in denen die Menge an Wissen nicht gleichbedeutend für verbesserte Handhabbarkeit steht. Hier bedarf es dann oft der Erkenntnis, dass es als Berater oft keinen Sinn macht, unzählige potentielle Risikosituationen durchzudeklinieren, sondern die dahinter stehenden Prinzipien zu erkennen und mit den Betroffenen über die Funktion von Phobien oder Hypochondrie sprechen zu können und sie ggf. an geeignete Hilfsangebote überleiten zu können.
Das ist aber eine ganz andere Baustelle, als Gräben zwischen betroffener Community und Profis….
LG Thomas Elias
business review 25. April 2011 13:34
Psychologie Die bizarren Angste eingebildeter Aidskranker – Nachrichten Wissenschaft – WELT ONLINE.. Kaum hat er das negative Testergebnis bekommen und die Aids-Beratungsstelle verlassen da tastet Harri schon wieder nach seinen Lymphknoten Womoglich uberlegt er hat er sich uberhaupt erst infiziert als ihm einige Tage zuvor mit einer Spritze die Blutprobe fur den Test entnommen wurde.