PREP-DEBATTE (9)

„Durchweg geschockt über den Preis“

Von Axel Schock
Hürden
Auch in Deutschland wächst das Interesse an der HIV-PrEP. Patienten und Ärzte stehen derzeit aber noch vor einer ganzen Reihe ungelöster Fragen und Probleme, wie Dr. Gaby Knecht vom Infektiologikum Frankfurt am Main im Interview erläutert.

Frau Dr. Knecht, Sie sind HIV-Schwerpunktärztin am Infektiologikum Frankfurt/Main. Bereits 2012 haben Sie mit einer Studie die Bekanntheit der PrEP unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), in Deutschland untersucht. Was hatte Sie dazu bewogen?

Gaby Knecht: Uns interessierte in erster Linie, ob die PrEP in der schwulen Community bereits ein so großes Thema war wie in einigen Metropolen außerhalb Deutschlands. Darüber haben wir uns zunächst mit Aidshilfen in verschiedenen Städten unterhalten, aber sehr unterschiedliche Aussagen erhalten. Das hat uns dann bewogen, ein Stimmungsbild aus dem ganzen Land einzuholen.

Rund 250 nicht positiv getestete MSM haben an Ihrer Online-Befragung schließlich teilgenommen. Gab es für Sie überraschende Ergebnisse?

Nur 52 Prozent der Befragten hatten von der PrEP schon gehört. Ich hätte in der schwulen Community, die ja als sehr gut vernetzt gilt und viel im Internet unterwegs ist, einen wesentlich höheren Anteil vermutet. Dass nur sehr wenige, nämlich fünf Prozent, bereits konkrete Erfahrungen mit der PrEP hatten, hatten wir hingegen erwartet.

Die Männer fragen verstärkt gezielt nach der PrEP

Die Erhebung liegt nun über ein Jahr zurück. In diesem Zeitraum ist in Sachen PrEP einiges passiert, und das Thema wird mittlerweile breiter diskutiert. Macht sich das bei Ihnen im Praxisalltag bemerkbar?

Zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Befragung durchführten, standen wir in Deutschland in der Tat ganz am Anfang einer Diskussion. Es wäre interessant, eine solche Umfrage nun regelmäßig durchzuführen, um unter anderem vergleichen zu können, in welchem Maße der Anteil der Männer mit PrEP-Erfahrung zunimmt. Ich glaube, dass da eine große Dynamik entsteht. Wir stellen dies auch in unserem Praxisalltag fest: Die Menschen fragen verstärkt ganz gezielt nach der PrEP, und man kann mit den Interessierten sogar wissenschaftliche Daten diskutieren. Sie haben sich mit den wichtigen Studien auseinandergesetzt und stecken durch ihre eigene intensive Recherche oft tief im Thema.

Die PrEP steht nun theoretisch jedem zur Verfügung. Bleibt die Frage der Kosten.

Alle, die mich auf die PrEP ansprechen, erwarten eigentlich, dass ihre Krankenkasse die Kosten übernimmt. Das Erstaunen ist dann regelmäßig groß, wenn ich ihnen erkläre, dass die PrEP keine kassenärztliche Leistung ist. Einige Patienten wollen nun ihre Privatkasse dazu bewegen, die PrEP zu bezahlen. Ich habe bislang jedoch noch keine Rückmeldung bekommen, ob sie damit erfolgreich sind. Ich denke aber, dass auch die Privatkassen dies ablehnen werden, da für diesen Einsatz der Medikamente bislang die Zulassung fehlt [Anm. d. Red.: siehe dazu auch hier].

Geschockt über den Medikamentenpreis

Wie reagieren Ihre Patienten auf die Nachricht, dass sie die PrEP selbst bezahlen müssen?

Zunächst mit Unverständnis. Das ändert sich dann aber meist, wenn ich sie darüber aufkläre, wie wenig präventive Maßnahmen generell bezahlt werden und ich ihnen die Kosten für das PrEP-Medikament nenne. Sie sind durchweg geschockt über den Preis. Wir reden hier ja in der Regel von Menschen, die sich mit HIV-Medikamenten noch nicht unbedingt so intensiv auseinandergesetzt haben und deshalb auch nicht wissen, welche Kosten beispielsweise eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) monatlich bedeutet.

Reflektieren die Menschen, die sich für eine PrEP interessieren, auch die Langzeitwirkungen und Begleiterscheinungen, die eine solche vorsorgliche Medikamenteneinnahme möglicherweise mit sich bringt?

Ich glaube, dass dies eine der großen Herausforderungen ist, vor der wir als HIV-Ärztinnen und -Ärzte stehen und vor denen wir alle Angst haben. Wenn die PrEP in großen Mengen und unkontrolliert eingenommen wird, kann dies auch zu Niererenproblemen oder auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen und letztlich auf Langzeitnebenwirkungen zusteuern. Und anders als bei unseren HIV-Patienten, die sich regelmäßigen Blut- und Urinkontrollen unterziehen, ist das bei Menschen, die eine PrEP auf eigene Faust einnehmen, nicht unbedingt gesichert.

Wie verfahren Sie mit Patienten, die eine PrEP wünschen, auch wenn sie für die Kosten selbst aufkommen müssen?

Wir klären den Patienten schriftlich darüber auf, dass es sich um einen Off-Label-Use [Anm. d. Red.: Anwendung außerhalb des vorgesehenen Gebrauchs] dieses Medikamentes handelt und bei der Einnahme regelmäßige Blut- und Urinproben sowie Tests auf HIV empfohlen werden.

Wie häufig stellen sie solche Rezepte aus?

Es handelt sich bisher noch um einen sehr kleinen Kreis, der sich mit einer solchen Frage an uns im Infektiologikum gewandt hat. Ich glaube, für viele ist es einfach ein sicheres Gefühl, das Medikament zu Hause vorrätig zu haben. Bislang hat sich aber noch keine der Personen ein Nachfolge-Rezept geholt oder gar eine Monatsration verschreiben lassen.

Die bisherigen Verschreibungen sind überschaubar

Bislang gibt es noch keine Empfehlung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V. (dagnä) zur PrEP. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Für einen Berufsverband wie die dagnä ist es sicherlich schwierig, sich zu einem Thema zu äußern, bei dem es um Off-Label-Use geht. Ich denke auch, dass es, was die Dringlichkeit angeht, sehr große regionale Unterschiede gibt. Die PrEP ist in Berlin sicherlich ein viel größeres Thema als beispielsweise bei uns in Frankfurt. Dementsprechend wird das Thema etwa innerhalb der Berliner Ärzteschaft anders gehandhabt als in anderen Städten. Daher wird es schwer werden, einen bundesweiten Konsens für eine Empfehlung zu finden.

Was sollte aus Ihrer Warte nun passieren?

Truvada müsste auf jeden Fall zur Prä-Expositions-Prophylaxe in Deutschland zugelassen werden – auch unabhängig davon, ob die Kosten dafür von den Kassen getragen werden. Das würde uns endlich die dringend erfolgreiche Rechtssicherheit geben. Denn bislang erfolgt die Verschreibung der PrEP immer noch in einem rechtsfreien Raum.

Machen Sie sich Hoffnungen, dass die Kassen bei der derzeitigen Preispolitik für die PrEP-Medikamente auf absehbare Zeit die Kosten übernehmen werden?

Zum derzeitigen Preis wird Truvada für die PrEP ganz sicher keine Kassenleistung werden.

 

Bisher in dieser Reihe erschienen:

1 Kommentare

hä? 30. September 2014 9:06

„Bislang hat sich aber noch keine der Personen ein Nachfolge-Rezept geholt oder gar eine Monatsration verschreiben lassen.“

truvada gibt’s als 30 und 3×30 packung, also hat noch keiner jemals ein rezept von der frau bekommen.

„wie wenig präventive Maßnahmen generell bezahlt werden “

wie der einsatz von statinen oder blutdrucksenker auf kassenrezept als präventionsmaßnahme anschaulich nicht zeigt. weiß die frau, wovon sie redet?
die pille wird z.t. für junge frauen und mädchen als kassenleistung angeboten zum beispiel bei der aok bis zum 20. lebensjahr: http://www.aok.de/nordost/leistungen-service/verhuetung-67514.php
wie’s bei anderen krankenkassen ist, könnt ihr selbst erfragen, anstatt hier fehlerhafte informationen zu verbreiten!

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