PARTIZIPATION

Erfolg und Qualität sind planbar

Von Axel Schock
„SUCCESS AND QUALITY CAN BE PLANNED“: CLICK HERE FOR THE ENGLISH VERSION (PDF)

Im Projekt „Quality Action“ lernen Organisationen aus 25 europäischen Ländern, wie die Qualität in der HIV-Prävention verbessert werden kann. Holger Pauly hat als einer der deutschen Vertreter an der Schulung teilgenommen.

Viel zu selten haben Mitarbeiter/innen in Netzwerken, regionalen Aidshilfen und nationalen HIV-Service-Organisationen Gelegenheit, aus der Routine auszusteigen und eigene Projekte aus etwas Abstand zu betrachten. Dabei ermöglicht es gerade diese Perspektive, Chancen, Stärken und Schwächen der eigenen Arbeit besser zu erkennen und damit ihre Qualität zu erhöhen.

Partnerorganisationen im HIV-Bereich aus 25 europäischen Ländern, darunter das europäische Regionalbüro der Weltgesundheitsorganisation, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die Deutsche AIDS-Hilfe, versuchen derzeit mit den Projekt „Quality Action“, die Qualitätsentwicklung in der HIV-Prävention voranzutreiben. In dem auf drei Jahre angelegten Programm werden derzeit Vertreter/innen der beteiligten Organisationen aus ganz Europa in entsprechenden Methoden geschult. Mit dabei war auch der Kölner Aktivist Holger Pauly.

Holger, wie bist auf dieses Schulungsprogramm gekommen?

Ich wurde darauf hingewiesen, hab mir die Ausschreibung im Internet angeschaut und mich auch gleich beworben. Und bin dann auch tatsächlich genommen worden.

Partizipation in den Mittelpunkt der Selbsthilfe rücken

Was hat dich an diesem Projekt interessiert?

Ich fand es zum einen spannend, dass es sich um ein europaweites, international ausgerichtetes Projekt handelt. Zum anderen versprach ich mir neue Impulse auch für meine eigene Arbeit in der Selbsthilfe. Zentrales Anliegen dieses Projekts ist es ja, die Partizipation in der Selbsthilfe in den Mittelpunkt zu rücken und diesen vergleichweise neuen Ansatz in Europa weiterzuverbreiten.

HIV-Organisationen arbeiten zwar oft vor dem Start neuer Projekte mit den entsprechenden Zielgruppen zusammen, aber in die Umsetzung beziehen sie sie dann doch nur sehr wenig ein. Dabei können solche Projekte vom lokalen Wissen der Menschen vor Ort profitieren, weil sie oft am besten wissen, wie es in ihrer Community läuft. Wenn man dieses Wissen in die Arbeit einfließen lässt, kann man qualitativ einfach besser arbeiten.

Das Wissen der Community produktiv nutzen

Auf welche Adressaten zielt die Quality-Action-Schulung?

Nicht nur die Selbsthilfe ist angesprochen, sondern ganz allgemein der HIV-Bereich. Das können HIV-Positive aus der Community sein, aber auch deren Kollegen aus einem Projekt oder aus der Organisation, die das Projekt finanziert, oder Akteure der HIV-Prävention. In meiner Schulungsgruppe von rund hundert Personen war ich tatsächlich der Einzige aus der klassischen Selbsthilfe, alle anderen waren Mitarbeiter in staatlichen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Wie muss man sich die Fortbildung denn nun genau vorstellen? 

Die Teilnehmer konnten sich für eines von fünf Instrumenten der Qualitätsentwicklung und -sicherung entscheiden. Ich war in der Gruppe der partizipativen Qualitätsentwicklung, kurz: PQ. Wir haben zwölf verschiedene, zuvor wissenschaftlich erprobte Methoden kennengelernt. Diese Methoden sind eigentlich gar nicht so neu, man kennt sie teilweise auch aus der Wirtschaft, wie beispielsweise die sogenannten SMART-Kriterien.

Projekte klarer und erfolgsorientierter planen

Nach dieser Methode, die aus dem Projektmanagement stammt, sollen die Ziele eines Programms spezifisch, präzise messbarangemessen, realistisch und klar terminiert sein.

Genau. Anhand der SMART-Kriterien kann man das Ziel für ein Projekt klar und sauber definieren. Es bewahrt einen davor, dass sich bei der Umsetzung Probleme ergeben, weil man sich zuvor nicht genügend Gedanken gemacht hat. Alle in der Schulung behandelten Werkzeuge wurden an die Erfordernisse der HIV-Prävention angepasst. Bei den SMART-Kriterien beispielsweise haben wir noch ein E für „ethisch“ angefügt.

Holger Pauly (Foto: Privat)
Holger Pauly (Foto: Privat)

Warum war das notwendig?

Wenn ich etwa das Ziel formuliere, dass die HIV-Ansteckungsquote drastisch verringert werden soll, könnte ich dieses Ziel mit Zwangstests zwar erreichen, aber ethisch wäre dieser Weg nicht vertretbar.

Kannst du noch ein weiteres Beispiel für ein PQ-Instrument nennen?

Die sogenannte ZiWi-Methode – ZiWi steht für „Ziele“ und „Wirkung“ – hilft einem, aus einem klar definierten Ziel die Maßnahme abzuleiten, die zur Zielerreichung notwendig ist. Diese Methode setzten wir vor einigen Wochen in der Arbeitsgruppe HIV-positiver Hauptamtlicher ein. Wir trugen dort unsere Ziele für 2015 zusammen und konziperten dann mit ZiWi alle Schritte, die bis zu den nächsten beiden Treffen gemacht werden müssen.

Was macht ihr nun mit diesem neu erworbenen Fachwissen? 

Wir werden nun in die Rolle von Trainern und Multiplikatoren schlüpfen und unsere Kenntnisse zum Beispiel in nationalen Trainings weitergeben. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat für 2015 mindestens einen bundesweiten Workshop dafür geplant.

Das Schöne ist, dass diese Tools im Grunde alle sehr einfach zu verstehen und anzuwenden sind. Das heißt, wenn ich beispielsweise die ZiWi-Methode in meinem Arbeitsalltag nutze, kann ich sie auch gleich an die Kolleginnen und Kollegen weitervermitteln. Alle Teilnehmer der AG HIV-positiver Hauptamtlicher haben diese Methode kennengelernt und dieses Wissen mit nach Hause genommen, um es in der täglichen Arbeit anwenden zu können. Für drei der fünf Instrumente hat das Projekt auch ein E-Learning, also eine Methode für „elektronisch unterstütztes Lernen“ entwickelt, die man mit einer gewissen Portion Vorwissen darüber, wie man mit Gruppen arbeitet, auch schon mal selbst ausprobieren kann.

Leicht verständliche Hilfestellungen für die alltägliche Arbeit

Wie gesagt, diese Methoden kennt man auch aus dem Wirtschafts- und Projektmanagement. Heißt das, dass HIV-Projekte künftig verstärkt unter (betriebs-)wirtschaftlichen Gesichtpunkten geplant und umgesetzt werden sollen?

Diese Werkzeuge dienen letztlich ja nur dazu, bei der Projektplanung und -durchführung besser den Überblick zu behalten. Vor allem aber soll die Bereitschaft gestärkt werden, überhaupt partizipativ zu arbeiten. Denn diese Denkweise muss bei den Menschen und Organisationen erst noch ankommen: Bin ich tatsächlich bereit, die jeweilige Zielgruppe – das können auch Mitarbeiter sein – mit ins Boot holen? Möchte ich nicht nur ihre Meinung hören, sondern sie vielleicht auch mitentscheiden lassen? In der Schulung gab es immer wieder Beispiele von Organisationen, die glauben, bereits partizipativ zu arbeiten, es in Wirklichkeit aber gar nicht tun. 

Weil sie den Menschen zwar Gelegenheit geben, Vorschläge zu machen, diese dann aber nicht aufgreifen?

Richtig. Um es an einem konstruierten Beispiel festzumachen: Ich organisiere in meiner Aidshilfe ein Positivenfrühstück und frage vorab, ob die Gäste lieber Wurst oder Käse hätten. Dann aber serviere ich Obstsalat, weil der preiswerter ist und ich auf die Kosten schauen muss. Es scheitert oft daran, dass man zwar glaubt, alles für die Zielgruppe zu tun, ihre tatsächlichen Bedürfnisse aber nicht zur Kenntnis nimmt. Oder dass man sich wegen vermeintlich unveränderbarer struktureller Hindernisse nicht in der Lage sieht, von der Erfahrung und dem Wissen der Zielgruppe zu profitieren.

Jetzt hör ich schon Ehren- und Hauptamtliche, zumal langjährig tätige, laut aufstöhnen: „Wenn alle Beteiligten ihren Senf dazugeben und mitentscheiden dürfen, geht gar nichts mehr voran!“

Man muss ja nicht gleich alles über den Haufen werfen. Bei der PQ kann ich zum Beispiel Teilprojekte auswählen, bei denen ich die betreffenden Methoden anwende. Ich überlege mir also, bei welchem Vorhaben ich die Zielgruppe ganz oder in einem zuvor bestimmten Rahmen einbinden möchte. Manchmal ist es gar nicht erforderlich oder gewünscht, die Leute bis ins letzte Detail einzubeziehen.

Als Hilfestellung gibt es die sogenannten Stufen der Partizipation. Diese neunstufige Leiter hilft mir bei der Entscheidung, inwieweit ich die Zielgruppe einbeziehe. Will ich sie nur über das Vorhaben informieren oder vorher auch anhören? Möchte ich sie mitentscheiden lassen oder ihr die Entscheidungsmacht komplett übergeben? Manchmal hilft es schon, einfach mal zu schauen, auf welcher Stufe ich mit meiner Gruppe aktuell stehe. Vielleicht schaffe ich es, sie in punkto Partizipation ein, zwei Stufen weiter nach oben zu bringen. Das reicht manchmal schon aus. Es muss ja nicht immer das Ziel sein, diese Leiter bis ganz nach oben zu erklimmen. Der DAH-Referent für Qualitätsentwicklung, Karl Lemmen, hat das mal gut auf den Punkt gemacht: „Unser Anspruch ist nicht, perfekt zu sein, sondern von Tag zu Tag ein Stück besser zu werden.“

Du wirst jetzt dein Wissen in die Community und in die Aidshilfen hineintragen. Werden nicht einige sagen: „Diesen modernen Kram brauch ich nicht. Ich bin in den letzten zehn, zwanzig Jahren ganz gut ohne Listen, Leitern und Module ausgekommen“?

Begriffe wie Qualitätsentwicklung klingen immer sehr nach Theorie und nach noch mehr Formularen, die man ausfüllen muss. Aber so ist es ja nicht. Vielmehr geht es darum, das partizipative Selbstverständnis zu stärken und die Vorteile zu erkennen, die Partizipation für die eigene Arbeit mit sich bringt, nämlich, dass sie vielleicht leichter und besser wird. Zum anderen sind die PQ-Instrumente sehr einfach zu verstehen und zu handhaben. Vieles davon wenden wir im Arbeitsalltag ohnehin bereits an. Nun aber habe ich diese Methoden auf eine einfache Formel reduziert vorliegen, anhand der ich Punkt für Punkt abklopfen kann, ob ich bei meinem Projekt auch alles Wichtige beachtet habe. Das hilft mir, meine Arbeit schneller, effizienter und leichter zu machen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weiterführender Link: Internetseite von Quality Action Europe

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