Erste Daten zur Nutzung von HIV-Selbsttests in Großbritannien

Von Gastbeitrag
HIV-Heimtest
HIV-Selbsttests könnten zur Steigerung der HIV-Testraten beitragen, zeigt eine Studie aus England. Als erfolgreich erwies sich dabei auch das Marketing über die schwule Dating-App Grindr.

Von Roger Pebody*

Von April 2015 bis Februar 2016 haben rund 28.000 Personen je 29,95 Pfund für ein Set bezahlt, mit dem sie sich zu Hause selbst auf HIV testen konnten. Diese Daten wurden auf der Konferenz der Britischen HIV-Vereinigung vom 19.–22.4. in Manchester präsentiert. Ein Grund für die hohen Verkaufszahlen, die sich auf nichtstädtische Gebiete konzentrieren, war das Marketing auf Grindr.

Auch wenn beide Formen oft als „HIV-Heimtests“ beworben werden, muss man aber zwischen  dem „Home-Sampling-Test“ (Eigenprobe) und dem „Selbsttest“ unterscheiden:

Bei der Eigenprobe (Home-Sampling-Test) nehmen die Nutzer_innen selbst eine Probe und schicken sie zur Untersuchung an ein Labor. In den zurückliegenden Jahren haben Gesundheitsorganisationen wie Test.HIV oder der Terrence Higgins Trust verschiedene solcher Home-Sampling-Verfahren beworben.

Demgegenüber führen die Nutzer_innen beim Selbsttest den gesamten Test selbst durch – von der Entnahme der Probe bis zur Interpretation des Ergebnisses. Im April 2015 bekam das Unternehmen BioSure die Marktzulassung für den ersten HIV-Selbsttest in Großbritannien. Während mehrere Home-Sampling-Angebote für die Endverbraucher_innen kostenlos angeboten werden, kann der Selbsttest derzeit nur über Online-Händler erworben werden, könnte aber demnächst auch in Drogeriemärkten erhältlich sein.

Der BioSure-Konkurrent OraSure hat ebenfalls bereits die europäische Zulassung für seinen HIV-Selbsttest erhalten, bietet ihn aber derzeit noch nicht in Europa an, sondern scheint sich zunächst auf den amerikanischen Markt zu konzentrieren.

Werbung und mediale Aufmerksamkeit für HIV steigern den Absatz von HIV-Selbsttest

Drei Viertel der 27.917 von BioSure verkauften Testsets wurden von Männern erworben. Die erfolgreichste Marketingform war Werbung auf der schwulen Dating-App Grindr – nach Werbeanzeigen vervierfachten sich die Verkaufszahlen in der Regel. Auch während der HIV-Testwoche und am Welt-Aids-Tag wurden viele Sets verkauft; am stärksten war der Absatz allerdings, nachdem Charlie Sheen öffentlich seine HIV-Infektion bekanntgemacht hatte.

Drei Viertel der Testsets wurden an Personen verkauft, die nicht in großen Städten leben. Die Hälfte dieser Personen gab an, vorher noch nie auf HIV getestet worden zu sein.

Diese Nachfrage- und Nutzungsmuster ähneln im Großen und Ganzen denjenigen der HIV-Home-Sampling-Tests. Doch während man bei Home-Sampling-Angeboten die Zahl der HIV-positiven Ergebnisse kennt, müssen Nutzer_innen von Selbsttests die Ergebnisse niemandem melden. Einzelberichten zufolge nutzen viele Personen, die bei einem Selbsttest ein reaktives Ergebnis bekommen haben, verschiedene HIV-Testangebote wie zum Beispiel von Community-Zentren, um das Ergebnis bestätigen zu lassen.

Laut Angaben von BioSure ist die Anzahl der ihnen gemeldeten falsch reaktiven Ergebnisse (sechs Fälle) weit niedriger als erwartet und entspricht 0,02 % der verkauften Tests. Darüber hinaus gaben 12 Personen (0,04 %) ein ungültiges Ergebnis an, das heißt, sie konnten den Test nicht mit einem eindeutigen Ergebnis abschließen.

Positive Rückmeldungen der Nutzer_innen

Die Rückmeldungen der Nutzer_innen waren positiv: 97 % gaben an, sie würden den Test erneut einsetzen, und 98 % sagten, der Test sei einfach durchzuführen. Die Nutzer_innen fanden den Test offenbar diskret, einfach und praktisch.

In einer Plenarveranstaltung sagten Alison Rodger und Michael Brady, HIV-Selbsttests könnten möglicherweise zur Steigerung der HIV-Testraten beitragen, da sie soziale und strukturelle Hürden wie den Zeitaufwand für das Aufsuchen von oder die geografische Entfernung zu Testeinrichtungen beseitigten (besonders für Bewohner_innen ländlicher Gebiete). Selbsttests scheinen attraktiv für Leute zu sein, die Privatsphäre, Vertraulichkeit und Selbstbestimmung hochschätzen. Sie könnten häufigere HIV-Tests erleichtern, die für Schadensminderungs-Ansätze wie Serosorting, die Offenlegung des HIV-Status und die PrEP wichtig sind.

HIV-Selbsttests könnten neben wünschenswerten aber auch schädliche Auswirkungen haben. Anlass zur Besorgnis gibt insbesondere die Frage, ob Personen mit einem reaktiven Ergebnis dieses in einer Einrichtung des Gesundheitswesens bestätigen lassen und so effektiv ans medizinische Behandlungssystem angebunden werden können. Außerdem wissen wir nicht, ob jemand, der ein reaktives Ergebnis erhält, ohne sofort auf professionelle Unterstützung zurückgreifen zu können, nicht größere Schwierigkeiten hat, damit umzugehen. Nicht zuletzt könnten Personen zu solchen Tests gezwungen werden.

Auch negative Folgen sind möglich

Für bakterielle sexuell übertragbare Infektionen gibt es bisher keine Selbsttests – es könnte daher zu Verzögerungen bei ihrer Diagnose kommen. Bei den HIV-Selbsttests handelt es sich um Tests der zweiten Generation mit einem größeren diagnostischen Fenster als Tests der vierten Generation, die in den Kliniken für Sexuelle Gesundheit eingesetzt werden. Das bedeutet, dass akute (gerade erst erworbene) HIV-Infektionen leicht übersehen werden können – was insbesondere bei Selbsttests in Populationen mit erhöhtem Risiko problematisch ist ­– und dass Entscheidungen zum Kondomgebrauch oder -nichtgebrauch darauf gründen könnten.

Da unbekannt ist, ob der Nutzen den potenziellen Schaden überwiegt, wird demnächst eine große randomisierte kontrollierte Studie namens Pantheon starten. Sie soll herausfinden, ob die Schaffung eines niederschwelligen Zugangs zu HIV-Selbsttests die Rate neuer HIV-Diagnosen, die Häufigkeit von HIV-Tests und die Zahl schwuler Männer, die sich testen lassen, erhöht. Die Studie wird darüber hinaus auch die Auswirkungen von Selbsttests und anderen Präventions-Interventionen auf das Sexualverhalten untersuchen.

Durchgeführt wird diese britische Studie mit schwulen Männern. Zu HIV-Selbsttests in anderen sozialen Gruppen in Ländern mit hohen Einkommen gibt es kaum Daten und Studien.

Literatur

Brady, M. et al. Self-testing for HIV: initial experience of the UK’s first kit. 22nd Annual Conference of the British HIV Association, Manchester, April 2016, abstract 19.

Rodger, A. und Brady, M. DIY Testing. 22nd Annual Conference of the British HIV Association, Manchester, April 2016.

* Original: First data on uptake of HIV self-testing in the UK; veröffentlicht am 26. April 2016 auf aidsmap.com; Übersetzung: Literaturtest. Vielen Dank an NAM/aidsmap.com für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung!

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