Großbritannien: Kaum noch HIV-Übertragungen von Mütter auf ihre Kinder

Von Gastbeitrag
Beitrag zu HIV-Mutter-Kind-Übertragungen in Großbritannien
(Symbolbild)
Von 2006 bis 2013 wurden 108 HIV-Mutter-Kind-Übertragungen in Großbritannien gemeldet. Etwa zwei Drittel betrafen Frauen, die erst nach der Geburt eine HIV-Diagnose bekamen, in 53 Prozent der Fälle gab es widrige Umstände in der Schwangerschaft.

Von Michael Carter*

In Großbritannien sind Faktoren wie ungesicherter Aufenthaltsstatus, prekäre Wohnsituation und Gewalt durch Beziehungspartner bei Frauen, die HIV auf ihre Babys übertragen, weit verbreitet. Dies ist das Ergebnis einer Auswertung, die in der Zeitschrift HIV Medicine veröffentlicht wurde.

HIV-Mutter-Kind Übertragungen in Großbritannien auf historischem Tiefstand

Die Daten zeigen, dass die Zahl der perinatalen [Anm. d. Red.: um die Geburt herum auftretenden] HIV-Infektionen in Großbritannien auf dem tiefsten je gemessenen Stand ist: Von 2006 bis 2013 wurden 108 Fälle gemeldet. Etwa zwei Drittel der Fälle betrafen Frauen, die erst nach der Geburt eine HIV-Diagnose bekamen, in 53 Prozent der Fälle gab es widrige Umstände in der Schwangerschaft.

„Unsere Auswertung zeigt, dass bei mindestens der Hälfte der Frauen schwierige soziale Umstände vorlagen, in etwa einem Drittel der Fälle wurden mehrere Faktoren berichtet“, so die Forscher_innen. In der großen Mehrheit der Fälle konnte mindestens ein Schlüsselfaktor identifiziert werden, der wahrscheinlich direkt zur HIV-Übertragung beigetragen hat. Am häufigsten war dies die Ablehnung eines HIV-Tests in der Schwangerschaft (was auf beinahe die Hälfte der nicht diagnostizierten Frauen zutraf) und eine HIV-Infektion in der Schwangerschaft (bei etwa einem Viertel).

In etwa der Hälfte der Fälle lagen schwierige soziale Umstände vor

In Großbritannien leben etwa 35.000 Frauen mit HIV, von denen jedes Jahr etwa 1.200 schwanger werden. HIV-Tests vor der Geburt, medizinische Begleitung und das Management der HIV-Infektion in der Schwangerschaft haben zu einer Senkung der Rate vertikaler HIV-Übertragungen [Anm. d. Red.: Übertragungen von der Mutter auf ihr Kind] in Großbritannien von 2 Prozent in den Jahren 2000 bis 2001 auf 0,3 Prozent in den Jahren 2012 bis 2014 geführt.

Bei Müttern, die um ihre HIV-Infektion wissen, gibt es nur sehr wenige Übertragungen auf ihre Babys. Übertragungen gibt es bei HIV-infizierten Müttern, die zum Zeitpunkt der Geburt noch keine HIV-Diagnose bekommen haben. Das ist eine ernste Angelegenheit, denn bei perinatal mit HIV infizierten Babys (PHIV) ist das Risiko schwerer Krankheiten oder sogar von Todesfällen sehr hoch, sofern nicht sofort eine antiretrovirale Therapie begonnen (ART) begonnen wird.

Schwierige soziale Umstände erhöhen das HIV-Risiko

Eine Untersuchung der in den Jahren 2002 bis 2005 in England perinatal mit HIV infizierten Babys zeigte, dass in den meisten Fällen von Mutter-Kind-Übertragungen Kommunikationsprobleme, eine suboptimale ART und widrige soziale Umstände eine Rolle spielten. Die Forscher_innen wiederholten diese Untersuchungen nun für Kinder, die zwischen 2006 und 2013 rund um die Geburt mit HIV infiziert wurden. Ziel war, mögliche gemeinsame Trends und Faktoren bei den Fällen zu identifizieren und Lösungen zu finden, wie sich solche Infektionen künftig vermeiden lassen.

Eine Gruppe von Expert_innen untersuchte anonymisierte Fallzusammenfassungen, um Faktoren zu identifizieren, die zu perinatalen HIV-Infektionen beitragen. Dabei kristallisierten sich folgende acht gemeinsame Faktoren heraus:

  • Ablehnung eines vorgeburtlichen HIV-Tests durch die Mutter
  • Serokonversion in der Schwangerschaft
  • Probleme mit der Wahrnehmung ärztlicher Termine oder mit der Therapietreue
  • Übertragung nach der Geburt wahrscheinlich durch Stillen
  • Später Beginn der vorgeburtlichen Betreuung
  • Wechsel des Arztes oder der Ärztin
  • Durch Frühgeburt verkürzte antiretrovirale Therapie der Mutter, sodass die Viruslast bei der Geburt noch über der Nachweisgrenze lag
  • Probleme mit dem Ergebnis des vorgeburtlichen HIV-Tests (z. B. wenn kein Ergebnis mitgeteilt wurde).

Im Untersuchungszeitraum gab es etwa 9.200 Lebendgeburten von HIV-positiven Müttern. In 41 Fällen wurden HIV-Übertragungen von bereits als HIV-positiv diagnostizierten Frauen auf ihre Babys identifiziert, hinzu kamen 67 Fälle von Mutter-Kind-Übertragungen, in denen die HIV-Infektion der Mutter erst nach der Geburt diagnostiziert wurde.

Zu den Risikofaktoren gehören eine unsichere Situation, Gewalt, psychische Probleme und Drogen

Das Medianalter der Mütter lag bei 29 Jahren, 90 Prozent von ihnen waren nicht in Großbritannien geboren worden. Die Zahl der Kinder mit einer festgestellten perinatalen HIV-Infektion fiel von 31 im Jahr 2006 auf einen einzigen berichteten Fall im Jahr 2013.

Ein einzelner Faktor, der zur Übertragung beigetragen hatte, wurde in 62 Prozent der Fälle identifiziert. In 22 Prozent der Fälle waren es zwei Faktoren, in fünf Prozent drei und in einem Fall waren es vier oder mehr Faktoren. In jedem zehnten Fall konnten keine Faktoren identifiziert werden.

Häufig kommen mehrere Faktoren zusammen

Die Ärzt_innen, welche die Fallberichte geschrieben hatten, berichteten bei 53 Prozent der bereits als HIV-positiv diagnostizierten Mütter von mindestens einem ungünstigen sozialen Faktor. Dazu gehörten ein unsicherer Aufenthaltsstatus (29 Prozent), eine prekäre Wohnsituation (29 Prozent), Gewalt durch Beziehungspartner (10 Prozent), Betreuung durch soziale Dienste (20 Prozent), psychische Probleme (20 Prozent), unzureichende Englischkenntnisse (20 Prozent) und Drogen-/Alkoholmissbrauch (10 Prozent).

Eine detaillierte Analyse der 41 Kinder von bereits als HIV-positiv diagnostizierten Müttern zeigte, dass wahrscheinlich über die Hälfte im Mutterleib infiziert wurden, 20 Prozent bei der Geburt und 20 Prozent in der Phase nach der Geburt (vermutlich durch Stillen).

Der am häufigsten, nämlich in 14 Fällen identifizierte Faktor war unzureichende medizinische Versorgung oder mangelnde Therapietreue.

Weitere Verbesserungen sind nötig und möglich

Ein später Beginn der vorgeburtlichen Betreuung wurde in 11 Fällen, eine Übertragung nach der Geburt (vermutlich durch Stillen) in sieben Fällen, eine Frühgeburt in drei Fällen und eine späte Diagnose der HIV-Infektion der Mutter in der Schwangerschaft in zwei Fällen berichtet.

Bei den noch nicht diagnostizierten Frauen waren die am häufigsten berichteten Faktoren für eine HIV-Übertragung die Ablehnung eines HIV-Tests durch die Mutter (in 28 von 67 Fällen) und eine Serokonversion in der Schwangerschaft (in 23 von 67 Fällen).

Insgesamt acht Kinder starben im Untersuchungszeitraum: eines aufgrund von Komplikationen nach einer Frühgeburt, die anderen sieben an HIV-bedingten Ursachen. Die Gesamtsterblichkeitsrate lag bei 1,3 pro 100 Personenjahren und bei Kindern von noch nicht diagnostizierten Müttern bei 2,2 pro 100 Personenjahren.

„Die Rate der Mutter-Kind-Übertragungen in Großbritannien ist auf dem tiefsten je gemessenen Stand, und auch die Zahl von perinatalen Infektionen von Kindern undiagnostizierter Mütter sinkt“, so die Forscher_innen. „Unsere Untersuchung hat wichtige Erkenntnisse zum aktuellen HIV-Übertragungsgeschehen in Großbritannien erbracht und Felder in der medizinischen Versorgung identifiziert, die verbessert werden müssen.“

Zu den Prioritäten gehören:

  • Früherer Beginn der vorgeburtlichen Versorgung
  • Senkung der HIV-Übertragungsraten in der Schwangerschaft
  • Verbesserung der Therapietreue und des Kontakts zur HIV- sowie zur sonstigen medizinischen Versorgung
  • Engagement gegen gesundheitliche und soziale Ungleichheit.

Quelle

Peters, H. et al.: National audit of perinatal HIV infections in the UK, 2006–13: what lessons can be learnt? HIV Med, 19: 280–89, 2018

* Original: Mother-to-child HIV transmission at all-time low in the UK but around two-thirds of reported cases involve women diagnosed after delivery, veröffentlicht am 2. Mai 2018 auf aidsmap.com; Übersetzung: Literaturtest.de. Vielen Dank an NAM/aidsmap.com für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung!

 

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