Heilungsforschung

HIV-Remission? Die Tür zur HIV-Heilung ist einen Spalt offen

Von Armin Schafberger
Bild: © Wladimir Bulgar/stock.adobe.com
Bei einem HIV-positiven Mann aus Brasilien lässt sich über ein Jahr nach Absetzen seiner in einer Studie zusammengesetzten Medikamenten-Kombination kein HIV mehr im Blut nachweisen. Viele Fragen sind noch offen, dennoch könnte dieser Erfolg Grund zur Hoffnung für Menschen mit HIV sein, denn anders als bei den beiden bisher anerkannten Fällen einer sogenannten funktionalen HIV-Heilung wurde hier keine potenziell lebensgefährliche Stammzelltransplantation eingesetzt.

Von Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen Aidshilfe

Warum gibt es gerade in dem Fall Grund zur Hoffnung?

Der Brasilianer war – im Gegensatz zu bisherigen Fällen aus der Heilungsforschung – ein ganz durchschnittlicher HIV-Positiver. Er war nicht extrem früh (nach wenigen Tagen) diagnostiziert und behandelt worden. Er hat keine lebensgefährliche Stammzelltransplantation (infolge einer Krebserkrankung) hinter sich. Und er hat keine besonderen genetische Faktoren im Immunsystem, die für eine erfolgreichere Immunantwort sprechen.

Außerdem ist für den untersuchten Ansatz, der jetzt anscheinend zu einer sogenannten HIV-Remission – also dem Ausbleiben der HIV-Vermehrung – geführt hat, keine teure, komplizierte und gefährliche Methode erforderlich, sondern es reichen verhältnismäßig preiswerte, sicher anzuwendende und breit verfügbare Medikamente. (Anm. d. Red.: Remission bedeutet im medizinischen Sprachgebrauch das vorübergehende oder dauerhafte Nachlassen von Symptomen, ohne dass man von Genesung oder Heilung spricht.)

Wie sah der Forschungsansatz aus?

Im Jahr 2012 hatte der Mann aus São Paulo seine HIV-Diagnose bekommen und angefangen, HIV-Medikamente zu nehmen. 2015 wurde er dann zusammen mit 29 anderen Teilnehmer_innen in eine kleine Studie mit dem Namen SPARC-7 aufgenommen.

Er gehörte zu einer Gruppe, deren Mitglieder 48 Wochen lang neben ihrer ursprünglichen Therapie mit drei HIV-Wirkstoffen noch weitere zwei HIV-Medikamente nahmen: den Integraseinhibitor Dolutegravir, der seit 2019 von der WHO für die Ersttherapie bei allen Menschen mit HIV empfohlen wird, und den CCR5-Blocker Maraviroc.

Zusätzlich erhielten er und vier andere Teilnehmer_innen dann noch Nicotinamid (Vitamin B3). Die Wirkung von Nicotinamid kennt man bezüglich HIV noch nicht so genau, man spekuliert aber darauf, dass es die mit HIV infizierten „latenten“, „ruhenden“ Zellen aus dem „Dornröschenschlaf“ weckt und zur Virusproduktion antreiben könnte. Dann wären die Zellen für das Immunsystem zu erkennen und könnten bekämpft werden.

Ob Nicotinamid tatsächlich so wirkt, weiß man aber nicht. Unklar ist auch, ob und welchen Anteil am Erfolg die Therapieintensivierung hat.

Nach der Zeit der intensivierten Therapie kehrten die Patient_innen wieder zu ihrer vorherigen Wirkstoffkombination zurück und setzten dann die Medikament ab – unter enger medizinischer Begleitung.

Welchen Erfolg hatte die kleine Studie?

Beim Mann aus São Paulo hat der Ansatz bislang funktioniert – HIV ist bei ihm seit über einem Jahr nicht mehr im Blut nachweisbar.

Bei vier anderen Patienten kam das Virus jedoch wieder. Das Glas ist also nur zu einem Fünftel voll. Darauf kann aber mit weiterer Forschung aufgebaut werden.

Wichtig: Es ist eine Remission – und noch keine Heilung. Zwar nimmt der Mann seit über einem Jahr keine HIV-Medikamente mehr ein, und trotzdem kann man kein Virus mehr nachweisen. Möglicherweise aber wacht aber ja eine latent infizierte Zelle nach zwei oder drei Jahren doch noch auf? Es ist nicht klar, wie lange ohne Medikamente kein Virus mehr auffindbar sein soll, bevor man von Heilung spricht. Beim berühmten „Mississippi-Baby“ zum Beispiel fing die HIV-Vermehrung nach zwei Jahren wieder an.

Wichtige Tests sind – auch aufgrund von COVID-19 in Brasilien – noch nicht gelaufen und müssen nachgeholt werden. Normalerweise untersucht man – indem man punktiert – auch Zellen aus Lymphknoten, Nervengewebe und Darmschleimhaut. Es soll weitestgehend sichergestellt werden, dass auch in Geweben, in denen HIV sich normalerweise „versteckt“, nichts mehr auffindbar ist. 

Fazit

Der Fall ist interessant, weil sich in der Heilungsforschung mit solch einem Verfahren eine Tür für alle HIV-Positiven öffnen würde.

Allerdings gibt es noch eine ganze Reihe von Einschränkungen, die dazu führen, dass die Tür nur einen Spalt weit auf ist.

Mögliche, noch zu klärende Fragen wären, ob der Mann aus São Paulo tatsächlich seine ART-Medikamente abgesetzt hat und wie viel Zeit nach seiner Infektion ursprünglich vergangen war, bis er eine antiretrovirale Therapie begann.

Es muss also noch weitere Forschung folgen – aus diesen einzelnen Fall können keine Maßnahmen oder Empfehlungen abgeleitet werden.

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