HIV-Tests: viele versäumte Chancen
Rund eine Million Menschen in der WHO-Region Europa wissen nicht, dass sie mit HIV infiziert sind, schätzt die Weltgesundheitsorganisation. In Deutschland sollen etwa 20 Prozent der geschätzten 78.000 Menschen mit HIV nichts von ihrer Erkrankung wissen.
Ohne Diagnose und Behandlung läuft man aber Gefahr, andere unwissentlich mit HIV zu infizieren und selbst an Aids zu erkranken. Menschen mit spät diagnostizieren HIV-Infektionen und Aids-Erkrankungen machen inzwischen einen Großteil der Patienten auf den Aids-Spezialstationen aus, und ein großer Teil aller Todesfälle aufgrund von HIV und Aids hat die Ursache in zu spät gestellten Diagnosen.
Viele Aids-Todesfälle sind die Folge zu spät erkannter HIV-Infektionen
Besonders hoch ist der Anteil nicht diagnostizierter HIV-Infektionen bei Menschen, die sich bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr infiziert haben, erklärt Dr. Ulrich Marcus von der Abteilung Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts (RKI). Dies gelte auch für die in Deutschland lebenden Menschen aus Hochprävalenzländern.
Doch was hält Menschen ab, einen HIV-Test zu machen? Die Gründe dafür sind vielfältig: „Zum einen gibt es Leute, die – obwohl sie wissen oder ahnen, dass sie HIV-infiziert sind – nicht zum Test gehen, weil sie Angst vor dem Ergebnis haben“, sagt Marcus. Und weil eine HIV-Infektion immer noch stigmatisierend ist, verdrängen sie den Gedanken daran oder wagen nicht, den Verdacht gegenüber ihrem Hausarzt anzusprechen. Manch einer hält sich nicht für gefährdet, für andere ist das bestehende Test-Angebot zu umständlich, oder es liegt eine Hürde darin, wenn für den HIV-Test bezahlt werden oder eigens ein Termin vereinbart werden muss.
Die massenhafte Testung der Bevölkerung ist keine Lösung
Wäre dann nicht die massenhafte Testung der Bevölkerung eine Lösung, um die unentdeckten HIV-Infektionen aufzuspüren? Ulrich Marcus sieht das äußerst kritisch. „Ich halte dies nicht für zweckmäßig, da die meisten von ihnen keine relevanten Infektionsrisiken hatten.“ Für ihn ist weitaus sinnvoller, die tatsächlich Gefährdeten dahingehend zu sensibilisieren, dass sie ihr Risiko erkennen und dann Testangebote wahrnehmen.
Die beste Testrate ist – wenig überraschend – unter Schwulen und anderen Männern zu finden, die Sex mit Männern haben (MSM). Sie lassen sich am häufigsten auf eine mögliche HIV-Infektion untersuchen. Zugleich werden rein zahlenmäßig die meisten nicht diagnostizierten HIV-Infektionen in Deutschland innerhalb eben dieser größten Gruppe vermutet – und zwar bei jenen Männern, die sich durchaus schon einmal haben testen lassen. Wie lässt sich dieser scheinbare Widerspruch erklären?
„Hier geht es nicht um die Frage, ob sie sich testen lassen, sondern wie häufig“, betont Ulrich Marcus. „Und es geht darum, dass der Test meist nur dann gemacht wird, wenn eine Situation als Risikosituation wahrgenommen wurde – gewissermaßen nach einer ‚Verfehlung‘ gemacht wird“, ergänzt Karl Lemmen, Leiter der DAH-Abteilung Medizin und Beratung. Seine Empfehlung: „Wer sexuell viel unterwegs ist, sollte sich mit der gleichen Regelmäßigkeit und Routine ein- bis zweimal jährlich testen lassen, wie man zur Kontrolle zum Zahnarzt geht.“
HIV: ein unaussprechlicher Verdacht?
Doch nicht nur Menschen aus den sogenannten Risikogruppen müssen in Sachen Test sensibilisiert werden, sondern auch die Ärztinnen und Ärzte. Erschreckend viele der „Late Presenter“ hatten nämlich vor ihrer HIV-Diagnose ihren Arzt wegen unklarer Beschwerden aufgesucht, ohne dass dieser Warnsignale wie Fieber, Lymphknotenschwellungen, Durchfall, Nachtschweiß oder Gewichtsverlust richtig eingeordnet und die Patienten auf einen HIV-Test angesprochen hätte.
Gerade Allgemeinmediziner, die womöglich nur äußerst selten mit HIV zu tun haben, hätten die Erkrankung schlicht nicht „auf dem Schirm“, gibt Lemmen zu bedenken. „Die Ärzte sind sich oft nicht bewusst, dass Symptome wie Herpes zoster oder Mundsoor auch HIV-Indikator-Eerkrankungen sein können“, erläutert Ulrich Marcus. „Zudem fällt es manchen nicht so leicht, einen derartigen Verdacht ihren Patienten mitzuteilen, zumal dann, wenn sie über HIV oder sexuelle Risiken nicht genau Bescheid wissen oder Scheu haben, darüber mit ihren Patienten zu reden.“
Dahinter könne die Angst stehen, Patienten mit dem Vorschlag eines HIV-Tests zu stigmatisieren. Und bisweilen spüre ein Arzt auch unbewusst, dass sein Patient nicht auf HIV angesprochen werden möchte, und tue es dann auch nicht. „Solche Prozesse verlaufen intuitiv und manchmal so schnell, dass der behandelnde Arzt es selbst manchmal gar nicht merkt, was er in diesem Moment entscheidet“, erklärt Lemmen. In der Psychologie wird ein solches unbewusstes Einverständnis als Kollusion bezeichnet.
Braucht es also mehr Fortbildung für die Ärzteschaft? „Es ist sicherlich nicht verkehrt, die Ärzteschaft verstärkt zu informieren“, sagt Ulrich Marcus. „Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass ein Arzt, der vielleicht nur ganz selten mit dem Thema konfrontiert ist, im Zweifelsfall nur bedingt an Aufklärungs- oder Unterstützungsangeboten interessiert ist, weil ihm das Thema für seinen beruflichen Alltag nicht relevant erscheint.“
Zumindest über die HIV- Indikator-Krankheiten sollten Ärzte informiert sein, wünscht sich Karl Lemmen:
„Einige sexuell übertragbare Infektionen wie beispielsweise Syphilis oder chronische Hepatitis B und C, aber auch Soor sowie Herpes zoster geben Hinweise darauf, dass ein Mensch möglicherweise auch für HIV ein erhöhtes Risiko hat – die Deutsche AIDS-Gesellschaft hat gerade eine aktualisierte Liste dieser HIV-Indikator-Erkrankungen veröffentlicht.“
Größeres Bewusstsein für HIV-Indikator-Erkrankungen notwendig
Darüber hinaus rät Lemmen den Ärzten, sich bewusst zu sein, dass eine HIV-Erkrankung selbstverständlich auch dort vorliegen kann, wo man sie für unwahrscheinlich hält. „Auch eine 70-jährige gutbürgerliche Frau kann ungeschützten Geschlechtverkehr und ein türkischstämmiger Familienvater kann sexuelle Kontakte zu Männern haben“, so Lemmen. Viele der HIV-Spätdiagnosen und damit der verpassten Chancen einer rechtzeitigen HIV-Therapie sind genau solche vermeintlich unwahrscheinlichen Fälle.“
Weiterführende Informationen:
Hintergründe zur European HIV Testing Week im Interview mit Christopher Knoll (DAH-Blog)
Internetseite der European HIV Testing Week
Diesen Beitrag teilen
2 Kommentare
Christian 23. November 2013 1:49
Auch ich habe für mich jahrelang eine HIV-Infektion ausgeschlossen. Ich war fit, habe Sport getrieben, ich habe mich gesund ernährt – mich hat nichts aus der Bahn geworfen. Und dann kamen die Sorgen: Viel Arbeit, pflegebedürftige Eltern, keine Zeit mehr für mich! Es hat kein Jahr gedauert, und mein Immunsystem war tiefseetauchen…Und das mir?!? Ich-der ich nie unsafen Sex hatte (wirklich!), ich, der ich nie leichtsinnig war?!? Ich, den eine Erkältung nicht weiter interessiert hat, weil sie nach einer Woche wieder weg war? Ich?!? HIV?!? Nie!!! Dachte ich…bis der Stress kam und damit auch AIDS… Die Diagnose ist nun ein Jahr her, und ich lerne wieder zu leben. Medikamente helfen dabei, aber sie haben auch Nebenwirkungen. Ist es das wert? Ich sage JA ! Denn ich weiß eben leider auch was es heißt, dem Gevatter grade eben so von der Schippe gesprungen zu sein. Und es lohnt sich zu leben, auch jetzt noch – gerade jetzt! Und vielen sei gesagt: Ja-es gibt Hilfe, ja, es gibt Pillen…aber schützt Euch vor dem Virus- man kann mit ihm leben, ja…aber ohne lebt es sich schöner…. Gruß Christian
Angelo 28. November 2013 1:19
Hallo Christian
wie hast du dich denn damit angesteckt wenn du nie ungeschützten Sex hattest?!
Drogen?
Und du sprichst von mit dem Stress kam AIDS. Wenn man AIDS bereits hat kann man nicht mehr normal leben. Auch nicht mit Medikamenten.
Würde mich interessieren deine Situation.
Beste Grüße
Angelo