NATIONALER AIDS-BEIRAT

„Ich kann nicht für alle sprechen“

Von Axel Schock
Am 17. September tritt der Nationale AIDS-Beirat (NAB) zu seiner konstituierenden Sitzung in neuer Zusammensetzung zusammen. Neu dabei sind als Vertreter der Selbsthilfe die Psychologin Kelly Cavalcanti und der Aktivist und Blogger Ulrich Würdemann. Der Jurist und HIV-Aktivist Bernd Aretz sowie die Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe, Silke Klumb, sind weiterhin Mitglied des Gremiums. Auch Gaby Wirz, Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg, wurde bereits zum zweiten Mal berufen. Im Gespräch mit Axel Schock schildert sie die Arbeit in diesem Gremium, das seit über 25 Jahren das Bundesministerium für Gesundheit berät und Stellung zu neuen und kontrovers diskutierten Fragen bezieht.

Gaby Wirz
(Bild: privat)

Gaby, unter den 17 Mitgliedern des NAB sind Mediziner, Sozialwissenschaftler, Juristen und viele andere. Bist du als Vertreterin einer bestimmten Gruppierung berufen worden?

Ich wurde als positive Frau und Selbsthilfevertreterin in das Gremium eingeladen, so hat es  bei meiner Einberufung zumindest der Bundesgesundheitsminister formuliert. 2011 hieß der noch Philipp Rösler.

Eine ganz schöne Verantwortung, als Vertreterin der Community zu sprechen, oder?

Ich war anfangs tatsächlich etwas verunsichert. Denn diese eine geschlossene HIV-Community gibt es meiner Ansicht nach nicht. Wie sollte ich sie also vertreten können? Mir war völlig klar, dass ich nicht für alle HIV-Positiven stehen kann. Ich bin allerdings gut vernetzt, hole mir in der Selbsthilfe Rückendeckung und bespreche natürlich alles auch mit den anderen Community-Vertretern im Nationalen AIDS-Beirat.

„Es herrscht ein respektvoller Umgang.“

Wie ist das, wenn Menschen mit HIV mit jenen an einem Tisch sitzen, die sich von einer wissenschaftlichen oder politischen Warte aus mit dem Thema befassen?

Natürlich haben alle ihre eigenen Interessen, aber ich habe nie erlebt, dass jemand versucht hat, unbedingt seine Position durchzuboxen. Im Gegenteil, es geht darum, einen Konsens zu finden. Es herrscht ein respektvoller Umgang und manchmal wird so lange um Formulierungen gerungen, bis alle mitgehen können.

Zum Beispiel?

Das Votum zur Kriminalisierung war ein sehr kniffliger Fall. Für mich war es sehr spannend, auf einem fachlich und wissenschaftlich hohen Niveau zu diskutieren, welche Fragen die Forderung nach der Entkriminalisierung der HIV-Übertragung aus anderen Perspektiven aufwirft – zum Beispiel auf juristischer Ebene.

Mal ketzerisch gefragt: Hat der NAB tatsächlich Einfluss auf die Aidspolitik  oder landen die Voten einfach in den Akten?

Ich habe schon den Eindruck, dass wir gehört werden. Die zuständige Referatsleiterin im Bundesgesundheitsministerium, Ines Perea, sitzt ja mit am Tisch, ebenso wie die Vertreter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Robert-Koch-Institutes. So können wir schon in den Sitzungen vermitteln, was uns wichtig ist. Die einzelnen Beiratsmitglieder tragen die Themen dann ja außerdem in ganz verschiedene Zusammenhänge, etwa durch Aufsätze in juristischen und medizinischen Fachzeitschriften.

Hattest du in deinen ersten beiden Jahren ein ganz persönliches Erfolgserlebnis?

Ich fand es natürlich schön, dass ich gleich als stellvertretende Sprecherin des NAB gewählt wurde (lacht). Das erste richtige Erfolgserlebnis war für mich, als wir in der zuständigen Arbeitsgruppe, deren Sprecherin ich war, das Votum zu HIV und Arbeit kurz und prägnant formuliert hatten. Das war ein gutes Stück Arbeit.

Wie emotional geht es in solchen Sitzungen zu?

Die meisten sind durchaus mit großer Leidenschaft bei der Sache.

„Versorgung in ländlichen Gegenden ist ein wichtiges Thema für die Zukunft.“

Das heißt, da fliegen auch mal die Fetzen?

Es ist nicht so, dass man sich da lautstark ins Wort fällt, man hält sich schon sehr gewissenhaft an die Rednerliste. Aber man merkt, dass man es mit Profis zu tun hat. Die können ihre Standpunkte nicht nur rhetorisch pointiert vermitteln, sondern, wenn’s drauf ankommt, auch energisch und mit Nachdruck.

Was zeichnet die Arbeit im NAB für dich besonders aus?

Es gibt wahrscheinlich kein anderes Gremium im Bereich HIV/Aids, in der so viele kompetente Experten aus den unterschiedlichsten Professionen und Bereichen zusammensitzen. Ich habe beispielsweise auch schon in Medizinerausschüssen gesessen, doch das ist kein Vergleich dazu. Ich finde die Arbeit des NAB für mich persönlich sehr anregend und bereichernd.

Hast du dir für die neue Arbeitsperiode besondere Aufgaben vorgenommen?

Für mich ist das Thema Versorgung sehr wichtig. In den ländlichen Gegenden, gerade auch in einem Flächenstaat wie Baden-Württemberg, ist die ärztliche wie psychosoziale Versorgung sehr schwierig. Einrichtungen und Praxen sind für viele nicht leicht erreichbar und es gibt leider immer noch viel Diskriminierung von Menschen mit HIV auch in diesem Bereich. Insbesondere muss das Thema Versorgung von Menschen mit HIV im Alter in den Fokus gerückt werden.

Gibt es da denn Schwierigkeiten?

Ich hatte kürzlich erst die Anfrage einer Krankenkasse auf dem Tisch, die für einen psychisch erkranken Patienten kein Pflegeheim finden konnte, nachdem acht angefragte Einrichtungen ihn wegen seiner HIV-Infektion abgelehnt hatten. So etwas darf einfach nicht passieren! Ein weiteres Thema, das wir dringend angehen müssen, ist die gesundheitliche Situation für Menschen mit Migrationshintergrund, speziell auch für solche ohne Krankenversicherung und ohne Papiere.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

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