Seit Oktober 2005 bieten die Aidshilfen unter aidshilfe-beratung.de anonyme Online-Beratung an. Am 9. Januar 2014 wurde die 25.000ste Anfrage beantwortet. Ein Interview mit Beraterin Sandra Lemmer von der Münchner AIDS-Hilfe.

Sandra, du warst von Anfang an dabei. Was macht die Onlineberatung für dich attraktiv?

Das ist ein hervorragend organisiertes Projekt mit einer tollen fachlichen Leitung in der DAH- Bundesgeschäftsstelle, einem klasse Beraterteam und einer reizvollen Arbeit. Bevor ich hier einstieg, habe ich neun Jahre Telefonberatung bei der Münchner AIDS-Hilfe gemacht. Als Germanistin und Psycholinguistin schätze ich aber auch die Verbindlichkeit des geschriebenen Wortes und finde es spannend zu erfühlen, was zwischen den Zeilen steht. Oft transportieren ein paar einfache Sätze ein ganzes Wertesystem, eine ganze Geschichte.

Ich finde es spannend zu erfühlen, was zwischen den Zeilen steht

Mit welchen Fragen hast du am häufigsten zu tun?

Viele fragen nach den Übertragungswegen von HIV, Hepatitis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen oder möchten wissen, ob sie in einer Situation tatsächlich ein Ansteckungsrisiko hatten. Oft wird auch nach den Test- und Behandlungsmöglichkeiten gefragt. Und immer wieder melden sich auch Menschen, die eine Krisenintervention brauchen oder Probleme in der Partnerschaft besprechen wollen.

Wo bekommst du Hilfe, wenn du mal nicht weiterweißt?

Auf unserer Beratungsplattform gibt es ein Forum, in dem ich mich mit anderen Online-Beratern besprechen kann. Und wenn ich jemanden brauche, der meine Antwort mal kurz gegenliest, bitte ich meine Tagesteam-Kollegen oder die fachliche Leitung der Onlineberatung darum. Außerdem gibt’s ja noch das Telefon, um mit den „Offline“-Kollegen Rat zu halten. Und wenn ich einmal überhaupt keine Antwort weiß, kann ich die Anfrage einfach für einen Tagesteam-Kollegen liegenlassen.

Kollegialer Rat bei schwierigen Anfragen

 Welche Anfragen sind für dich besonders schwierig?

Das sind jene, die eigentlich den mündlichen Austausch erfordern, weil sie so viele Fragezeichen hervorrufen. Das können kurze Einzeiler mit fast null Information sein, aber auch lange und fühlbar belastete Zeilen. Wenn es mir sinnvoll erscheint, lade ich zum schriftlichen Dialog ein. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass ich damit an Grenzen komme, verweise ich auf die Beratung in einer örtlichen Aidshilfe.

Wie sieht es mit Supervision aus?

Alle 14 Tage findet ein „virtuelles Treffen“ meines Tagesteams im Chat statt. Dabei können alle im Team Unsicherheiten, schwierige Fälle und alle sonstigen unsere Arbeit betreffenden Angelegenheiten in einem geschützten und von Vertrauen geprägten Rahmen besprechen.

Onlineberaterin Sandra Lemmer
Onlineberaterin Sandra Lemmer

Und wie haltet ihr euch in punkto Fach- und Sachwissen auf dem Laufenden?

Unsere fachliche Leitung versorgt uns mit den nötigen Informationen, stellt Dokumente und den DAH-Newsletter „Beratung aktuell“ auf unserer Beratungsplattform ein, sendet Infomappen und Leitfäden. Über aktuelle Themen diskutieren wir im Forum. Außerdem nehmen wir an DAH-Fortbildungen teil und an den jährlichen Treffen des Gesamtteams der Onlineberatung mit verschiedenen Workshop-Angeboten. Und dann gibt es noch pro Jahr ein Tagesteamtreffen, wo wir im kleinen Kreis über neueste Entwicklungen diskutieren.

Hast du im Lauf der Jahre Veränderungen bei den Anfragen beobachtet?

Ja, 1996, als ich in der Telefonberatung anfing, ging es viel um die Erkrankung und auch ums Lebensende. Heute steht das gesunde Leben mit HIV im Vordergrund.

„Heute steht das gesunde Leben mit HIV im Vordergrund“

Themen wie Schutz durch Therapie, also dass erfolgreich Behandelte sexuell nicht ansteckend sind, waren noch vor wenigen Jahren undenkbar. Andererseits ist der Informationsbedarf in vielem gleich geblieben. Auch heute noch wird beispielsweise danach gefragt, ob man sich beim Küssen mit HIV infizieren kann. Die Vision, dass irgendwann jeder und jede vollkommen aufgeklärt und informiert ist, ist eine Illusion.

Gibt es Reaktionen von Ratsuchenden, die dir nicht aus dem Kopf gehen?

Besonders berühren mich Beratene, die sich dafür bedanken, dass sie nicht bewertet oder abgewertet wurden. Denn das lässt mich erahnen, wie oft es auch heute noch zu abwertenden Reaktionen im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung und dem Sexualverhalten kommt.

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Über

Christine Höpfner

Christine Höpfner war langjährige Mitarbeiterin der Deutschen AIDS-Hilfe. Sie ist feste freie Redakteurin von magazin.hiv.

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