IN SORGE

Meningokokken: Erhöhtes Risiko für junge Schwule?

Von Axel Schock
Seit Oktober 2012 wurden in Berlin fünf schwere Fälle von Meningokokken-Erkrankungen bei schwulen Männern registriert. Die Bakterien können Hirnhautentzündung (Meningitis) und Blutvergiftung hervorrufen. Drei Männer sind bereits verstorben, einer liegt im Koma. Die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales hat am 18. Juli eine Impfempfehlung für alle in Berlin lebenden Männer veröffentlicht, die Sex mit Männern haben. Axel Schock sprach darüber mit Dr. Ulrich Marcus vom Robert Koch-Institut:

Impfpass
Schwule in Berlin sollten sich gegen Meningokokken impfen lassen (Foto: Andreas Morlok/pixelio.de)

Herr Dr. Marcus, die Zahl der Erkrankungsfälle ist überschaubar, dennoch haben sie große Aufmerksamkeit erregt. Weshalb?

Weil von diesen fünf Erkrankten drei verstorben sind und einer im Koma liegt. Wir haben es hier also mit sehr schwer verlaufenden Erkrankungen zu tun. Aber es gibt prinzipiell eine Impfung, mit der man die Erkrankung verhindern kann.

Wie bedrohlich ist die Situation?

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass wir hier am Beginn einer neuen Epidemie stehen, die sich jetzt rasant ausbreiten wird. Womöglich bliebe es bei einer überschaubaren Zahl von Fällen, selbst wenn wir jetzt gar nichts tun würden. Aber, wie gesagt: Es sind potenziell tödlich verlaufende Erkrankungen, vor denen man sich individuell relativ schwer schützen kann. Von daher ist es zum einen wichtig, besser zu verstehen, was da eigentlich passiert, also wer tatsächlich gefährdet ist, und zum anderen rechtzeitig zu impfen.

Nicht alle Menschen, die Träger von Meningokokken sind, erkranken auch daran.

Richtig. Es gibt eine sehr große Anzahl von symptomfreien Trägern, bei denen die Meningokokken vor allem die Schleimhaut von Nase und Rachen besiedeln, aber keine Erkrankung verursachen. Nur bei einem kleinen Bruchteil der Menschen, die mit Meningokokken in Kontakt kommen, führen diese zu einer Erkrankung.

Meningokokken
Meningokokken lösen unter anderem Hirnhautentzündungen aus (Foto: Robert Koch-Institut)

Offensichtlich erkranken schwule Männer überdurchschnittlich häufig.

Der Grund dafür ist in der Tat derzeit noch ein Rätsel. Die Meningokokken-Erkrankung ist ja grundsätzlich nichts Neues. Es ist ein bisschen merkwürdig, dass erst jetzt solche Erkrankungshäufungen unter Schwulen auffallen. Möglicherweise wurde dieser Zusammenhang bei bisherigen Meningokokken-Erkrankungen schlicht übersehen. Bei den fünf aktuellen Berliner Fällen ist man auch nur deshalb darauf gekommen, weil zwei Fälle unmittelbar zusammenhängen.

Um diese Zahl besser einschätzen zu können: Wie viele Fälle von Meningokokken-Erkrankungen treten denn durchschnittlich in Deutschland auf?

Im Schnitt ist es einer pro Tag, wobei lediglich zehn Prozent davon schwer verlaufen. Es gibt Erkrankungsgipfel im Kleinkindalter und bei Jugendlichen. Erwachsene erkranken eher selten an Meningokokken. Wahrscheinlich entwickeln die meisten Menschen, die mit den Bakterien in Kontakt kommen, im Laufe ihres Lebens eine Immunität, die sie vor einer Erkrankung schützt.

Bei bisherigen Meningokokken-Ausbrüchen in Toronto 2001 und in New York 2010 bis 2013 wurden gezielt schwule Männer geimpft, um damit eine Ausbreitung zu verhindern. Hat diese Strategie gewirkt?

Das kann man nur sehr schwer einschätzen, weil dafür die Zahl der Erkrankungen innerhalb dieser lokalen Cluster zu gering ist. In New York waren es innerhalb von zwei Jahren nicht mehr als 22 Fälle. Solange wir nichts Genaueres wissen, worauf diese Häufungen wirklich zurückzuführen sind, kann man auch nicht sagen, ob diese Impfaktionen tatsächlich auch geholfen haben. Womöglich hätte die Ausbreitung auch von allein aufgehört oder eine Pause gemacht.

Auch die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales empfiehlt nun, sexuell aktive Schwule in der Stadt gegen Meningokokken zu impfen. Könnte in der Öffentlichkeit der schiefe Eindruck entstehen, dass Schwule eine neue bedrohliche Epidemie in der Bevölkerung verbreiten?

„Eine reale Infektionsgefahr für die Bevölkerung sehe ich nicht“

Eine reale Infektionsgefahr für die Bevölkerung sehe ich nicht. Es gibt bisher keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich die Meningokokken-Erkrankungen aus der schwulen Community heraus ausbreiten würde. Die Gefahr einer Stigmatisierung sehe ich allerdings, wenn der Meningokokken-Ausbruch in einer reißerischen Art und Weise von Medien aufgenommen wird und irgendwelche Halbwahrheiten verbreitet werden.

Die Impfphase soll bis zum 31. Januar 2014 dauern, weshalb diese Frist?

Normalerweise gibt es neben immer wieder einmal auftretenden sporadischen Einzelfällen kleinere Häufungen oder Ausbrüche, bei denen mehrere in direktem Zusammenhang stehende Leute erkranken. In deren Umgebung versucht man die Menschen zu impfen, um weiteren Erkrankungen vorzubeugen. Das sind natürlich zeitlich begrenzte Aktionen. Die Meningokokken-Ausbrüche, die wir in den letzten Jahren in der schwulen Community beobachten konnten, haben allerdings einen etwas anderen Charakter. Sie sind offensichtlich zeitlich nicht so eng eingegrenzt und nicht auf einen sehr engen Personenkreis beschränkt. Hier handelt es sich um ein etwas anderes Ausbreitungsmuster. Von daher weiß ich nicht, ob man diesem Phänomen tatsächlich nur mit einer zeitlich begrenzten Impfempfehlung begegnen kann.

Könnte es also angebracht sein, dass sich alle sexuell aktiven Schwulen gegen Meningokokken impfen lassen, so wie dies auch bei Hepatitis A und B empfohlen wird?

Möglicherweise wird es darauf hinauslaufen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob tatsächlich auch ältere sexuell aktive Schwule besonders bedroht sind – es sei denn, ihr Immunsystem ist durch eine HIV-Infektion geschwächt. Für mich ist auffällig, dass es sich bei den Erkrankten in Berlin durchweg um junge Männer handelte. Das deutet für mich darauf hin, dass nicht unbedingt sexuell besonders aktive Männer in höherem Maße gefährdet sind, sondern vielleicht jene, die gerade erst in die Szene hineinkommen und noch keine Gelegenheit hatten, eine Immunität gegen die Bakterien zu entwickeln. Aber das ist derzeit noch spekulativ.

Dr. UIrich Marcus
Dr. Ulrich Marcus (Foto: Dirk Hetzel)

Das heißt, es gibt möglicherweise Kofaktoren, die zufälligerweise schwule Männer betreffen, aber in erster Linie sexueller Art sind?

Wir wissen, dass diese Meningokokken auch sexuell übertragen werden können. Ob und welche Rolle dies für die Erkrankung spielt, können wir im Moment noch nicht sagen. Es gibt auch durchaus Anhaltspunkte, dass schwule Männer weitaus häufiger von diesen Bakterien besiedelt sind als die Durchschnittsbevölkerung.

Wie viel Prozent der Bevölkerung sind Träger der Meningokokken-Bakterien?

Bislang gibt es zu dieser Frage noch sehr wenige Untersuchungen. Der Prozentsatz ist sicherlich auch altersabhängig. Im Rahmen der Untersuchung eines Meningitis-Ausbruchs bei einer Faschingsfeier unter Jugendlichen haben wir bei etwa zehn Prozent der Nichterkrankten eine solche Bakterienbesiedlung der Nasen-Rachen-Schleimhaut festgestellt. Und bei einer slowenischen Untersuchung junger schwuler Männer im vergangenen Jahr wurden bei jedem zweiten Meningokokken als harmlose Schleimhautbesiedler gefunden. Ob man auch bei Untersuchungen unter 40- oder 50-jährigen Männern so hohe Zahlen finden würde , wage ich zu bezweifeln. Vielleicht reicht diese Häufung auch schon aus, um zu erklären, warum es ausgerechnet unter schwulen Männern mehr Erkrankungsfälle gibt. Ich hatte die Gelegenheit, zu drei der Berliner Fälle Informationen zu den Erkrankten und zum Ablauf des Erkrankungsgeschehens einzuholen. Die bisherigen Beobachtungen lassen für mich derzeit nicht den Schluss zu, dass die Erkrankungen auf ein besonders ausgeprägtes sexuelles Risikoverhalten zurückzuführen sind.

Herr Dr. Marcus, vielen Dank für das Gespräch!

 

Weitere Informationen:

DAH-Infoblatt zu Meningitis (Stand 18. Juli 2013)

HIVreport 03/2013 zu Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (PDF-Datei)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

7 + 2 =