Menschen ohne Papiere oder Krankenversicherung haben es schwer, medizinische Versorgung zu erhalten. Clearingstellen unterstützen Hilfesuchende. Doch es bleiben Lücken, und es fehlt an einem bundesweiten Konzept.

Wer in Deutschland krank wird, geht zum Arzt oder ins Krankenhaus. Vielleicht muss er_sie etwas länger auf einen Termin warten, man kann sich aber sicher sein, dass einem geholfen wird. Doch das trifft nicht auf alle zu.

In Deutschland haben Hunderttausende nur einen sehr eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung oder sind sogar faktisch davon ausgeschlossen:

  • Menschen ohne Papiere, die ihre Ansprüche auf ambulante Behandlung nicht geltend machen können, weil Sozialamtsmitarbeiter_innen verpflichtet sind, sie an die Ausländerbehörde zu melden;
  • EU-Bürger_innen, die vom Leistungsausschlussgesetz betroffen und damit von jeglicher Gesundheitsversorgung – auch im Notfall – abgeschnitten sind;
  • Asylsuchende, für die das Asylbewerberleistungsgesetz die Leistungsansprüche einschränkt;
  • deutsche Staatsbürger_innen ohne Krankenversicherung oder mit Beitragsschulden.

Clearingstellen sollen helfen: Pilotprojekte nun auch in Berlin und München

Spezielle Clearingstellen und Notfallfonds, wie sie etwa 2015 in Hamburg und Düsseldorf und 2016 in Köln, Duisburg, Dortmund, Münster und Gelsenkirchen eingerichtet wurden, sollen helfen, die medizinische Versorgung dieser Menschen sicherzustellen.

Konkret bedeutet dies, dass im geschützten Raum der aufenthaltsrechtliche und sozialrechtliche Status geklärt und individuell geprüft wird, ob eine Vermittlung in das reguläre Gesundheitssystem möglich ist.

Ein großer Teil der Menschen kann ins Regelsystem integriert werden

Die Erfahrungen aus den bereits bestehenden Modellprojekten zeigen, dass ein großer Teil der Menschen ins Regelsystem integriert werden kann. Für alle anderen werden Gelder aus Fonds zur Finanzierung notwendiger medizinischer Versorgung gebraucht.

Der von den Clearingstellen übernommene Leistungsumfang bezieht sich in der Regel auf ärztliche und zahnärztliche Leistungen gemäß §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dazu gehören die Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie alle Untersuchungen und Behandlungen rund um Schwangerschaft und Geburt.

Im vergangenen Monat wurde nun auch in Berlin und München eine solche Clearingstelle eingerichtet.

60.000 Menschen ohne Krankenversicherung allein in Berlin

Die Berliner Clearingstelle ist zunächst bis Ende 2019 befristet. Für diesen Zeitraum stehen insgesamt drei Millionen Euro zur Verfügung. Schätzungen zufolge leben in der Hauptstadt 60.000 Menschen ohne Krankenversicherung.

„Die Clearingstelle hat als Anlaufstelle die Aufgabe, jenen Menschen, die durch das Raster unseres Gesundheitssystems gerutscht sind, zu ihrem Recht zu verhelfen“, sagte die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) anlässlich der Eröffnung Anfang Oktober.

Doch schon im Vorfeld äußerten sich Organisationen, die sich um Nichtversicherte kümmern, kritisch zum Konzept. In einem Offenen Brief bedauerten die Unterzeichner_innen – darunter der Flüchtlingsrat Berlin, das Gesundheitskollektiv Berlin und das Medibüro Berlin –, dass wichtige Eckpunkte des zusammen mit Expert_innen entwickelten Projekts „scheinbar aus dem Fokus geraten“ seien.

Das von der Stadtmission eingerichtete „Willkommenszentrum“, welches in schlichten Containern am Berliner Hauptbahnhof untergebracht ist, wende sich vor allem an wohnungslose Menschen.

Bestimmte Gruppen könnten erneut durchs Raster fallen

Andere Zielgruppen könnten leicht aus dem Fokus geraten oder erneut durchs Raster fallen, insbesondere Menschen ohne Papiere (wie abgelehnte Asylbewerber_innen) und neue EU-Bürger_innen ohne Versicherung.

Ein weiterer Kritikpunkt: Anders als ursprünglich geplant, sind die Klärung der aufenthaltsrechtlichen Fragen, die Sozialberatung (das Clearing) und die Krankenscheinvergabe nicht mehr an einem Ort gebündelt.

Hilfesuchende müssen also verschiedene Stellen aufsuchen. „Wie dabei Anonymität und Niedrigschwelligkeit aufrechterhalten werden sollen, ist uns unklar“, heißt es in dem Offenen Brief. Die Stadtmission hat die Kritiker_innen und andere Kooperationspartner_innen daraufhin zum Gespräch eingeladen. Dabei wurden viele konstruktive Verbesserungsvorschläge gemacht, die hoffentlich bei der Umsetzung berücksichtigt werden.

Das „Münchner Modell“

Seit 1998 kooperieren die Stadt München und freie Träger (Malteser Migrantenmedizin, Café 104 e. V. und Ärzte der Welt) im sogenannten Münchner Modell, bei dem soziale Beratung und medizinische Notfallhilfe von Menschen ohne Versicherungsschutz eng miteinander verknüpft sind.

„Die Einschränkungen nach Asylbewerberleistungsgesetz bleiben bestehen“

Ende Oktober 2018 wurde vom Münchner Stadtrat fraktionsübergreifend die Einrichtung einer Clearingstelle beschlossen. In diesem Zuge werden auch bereits bestehende Gesundheitsfonds zusammengefasst und mit jährlich 500.000 Euro bezuschusst, um insbesondere auch die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere sicherstellen zu können.

Dem Café 104, das seit 1998 Migrant_innen ohne Aufenthaltsstatus unterstützt und bisher ausschließlich ehrenamtlich und auf Spendenbasis betrieben wurde, wurde zudem finanzielle Unterstützung zugesichert.

Gute Entwicklungen, aber keine nachhaltigen Lösungen

„Grundsätzlich sind das positive und begrüßenswerte Entwicklungen“, sagt Tanja Gangarova, Referentin für Migration bei der Deutschen AIDS-Hilfe.

„Bedauerlicherweise sind die meisten Clearingstellen befristet und gedeckelt. Somit wird keine nachhaltige und flächendeckende Wirkung erzielt. Wünschenswert wäre die vom Bund als Modellprojekt finanzierte, bundesweite Errichtung von Clearingstellen. Ein Wunsch, der von vielen Bündnispartner_innen wie Diakonie, Ärzte der Welt oder Armut und Gesundheit mitgetragen wird.“

„Könnten alle Menschen ihre Rechte wahrnehmen, wären diese Parallelstrukturen überflüssig“

Doch wirklich gelöst wären die Probleme dadurch bei weitem nicht. „Für Menschen, die nicht in die Regelversorgung eingegliedert werden können, kann im Rahmen von Notfallfonds zwar meist eine Basisversorgung zur Verfügung gestellt werden, doch die Einschränkungen nach Asylbewerberleistungsgesetz bleiben bestehen“, erklärt Tanja Gangarova.

„Aufgrund der gedeckelten Fondsfinanzierung gelingt die Finanzierung kostspieliger Leistungen nur im Ausnahmefall, geschweige denn die langjährige Abdeckung einer antiretroviralen Therapie bei HIV-positiven Menschen.“

Tanja Gangarova ist sich sicher, dass die ehrenamtliche Arbeit in und mit Parallelstrukturen auch in der Grundversorgung weiterhin von großer Bedeutung bleiben wird. „Das ist eigentlich ärgerlich! Denn könnten alle Menschen ihre Rechte wahrnehmen – dazu gehört auch das Recht auf Gesundheit – wären diese Parallelstrukturen überflüssig.“

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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