Über den Tellerrand schauen

Von Gastbeitrag
Vernetzung
Mit Vernetzung kann man mehr bewirken (Foto: Gerd Altmann/pixelio.de)

„Wir können viel voneinander lernen“: Mit Unterstützung der Lotterie GlücksSpirale tauschen die Landesverbände der deutschen Aidshilfen regelmäßig ihre Erfahrungen aus. Tom Scheel (36), der Sprecher dieses Ländertreffens, über die Vorteile der Vernetzung

Unter dem Dach der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) gibt es rund 120 Aidshilfen, Spezialpflegedienste und Beratungsstellen, die auf Landesebene in derzeit zwölf Verbänden oder Arbeitsgemeinschaften organisiert sind. Um ihre Arbeit abzustimmen, kommen ihre Geschäftsführer viermal im Jahr zu einem Ländertreffen zusammen. Finanziert werden diese Treffen aus Mitteln der Lotterie GlücksSpirale. Sprecher Tom Scheel vom Rostocker Centrum für sexuelle Gesundheit (CSG) erläutert im Interview mit aidshilfe.de die Vorteile des Gremiums.

 

Tom, das Ländertreffen tagt drei- bis viermal pro Jahr, immer in einer anderen Stadt. Warum macht ihr keine Videokonferenz? Das wäre doch viel günstiger.

Tom Scheel: Natürlich fragt mancher kritisch, warum wir durch die Lande reisen. Aber es ist wichtig, dass alle mal an einem Ort zusammenkommen, um sich persönlich auszutauschen. Viele Fragen können auf direktem Weg geklärt werden – auch mit der DAH-Geschäftsführerin, die an den Treffen teilnimmt, weil es in vielen Fällen nicht zuletzt um das Zusammenspiel zwischen der Bundes- und Landesebene geht. Es erleichtert die Kommunikation enorm, dass wir bestimmte Dinge von Mensch zu Mensch ansprechen können.

Beim Ländertreffen der Aidshilfen kommen 13 Personen zusammen. Aber es gibt 16 Bundesländer. Da fehlt doch wer…

Leider sind noch nicht alle Länder vertreten. In Bayern zum Beispiel gibt es nur vier Aidshilfen, die nicht so vernetzt sind, dass sie einen Vertreter entsenden könnten.

Was steht  bei den Ländertreffen auf der Tagesordnung?

Ein großes Thema im Moment ist die Versorgung von HIV-positiven Menschen auf dem Land. Dort gab es nie besonders viele Angebote, aber die Situation wird immer schwieriger. HIV ist zu einer chronischen Krankheit geworden. Das heißt: Viele HIV-Positive leben inzwischen sehr viel länger mit dem Virus. Aber abseits der Ballungsräume gibt es für sie kaum passende Angebote. Sie sind immer unterwegs: wenn sie zum Arzt müssen, wenn sie Hilfe brauchen. Das kann zum Problem werden, vor allem wenn die finanziellen Mittel begrenzt sind.

 

Tom Scheel
Tom Scheel ist Sprecher des Ländertreffens (Foto: privat)

Wie kann das Ländertreffen helfen?

In diesem Gremium tragen wir zusammen, wo es vor Ort besonders brennt und wo die größten Lücken bestehen. Damit können wir zum Beispiel wichtige Anregungen und Informationen zu einem Fachtag für die Verbesserung der Versorgung liefern.

Was bringen die Ländertreffen dir persönlich?

Mir ist durch sie klar geworden, dass wir uns hier in Mecklenburg-Vorpommern selbst besser vernetzen müssen, um in den Kommunen mehr zu bewirken. Man kann ganz anders auftreten, wenn man einen Landesverband im Rücken hat. Und ich verhandle sehr viel selbstbewusster mit meinem Landesministerium, seit ich weiß: So machen das meine Kollegen in Nordrhein-Westfalen, die darin schon länger Erfahrung haben. Wir können viel voneinander lernen, auch weil sich unsere Organisationsstrukturen zum Teil gravierend unterscheiden.

Wo liegen die Unterschiede?

Ein Beispiel: Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit vier Aidshilfen in den vier großen Städten. Auf Landesebene gibt es zwar eine Arbeitsgemeinschaft, aber wir treffen uns nur, wenn etwas anliegt, meistens vor dem Welt-Aids-Tag – und das alles ehrenamtlich. In anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen gibt es einen vom Land finanzierten Dachverband, der sogar die Landesmittel für die einzelnen Aidshilfen verwaltet.

Das nächste Ländertreffen findet in Amsterdam statt. Warum das denn?

Einmal pro Jahr treffen wir uns mit Kollegen aus einem anderen europäischen Staat, um zu sehen, wie dort gearbeitet wird. Was können wir von dort lernen?

Wenn man vernetzt ist, kann man ganz anders auftreten

Warum gerade Amsterdam?

Die Stadt bietet sich an, weil bei vielen deutschen Aidshilfen gerade der HIV-Schnelltest Einzug hält. Die Holländer haben damit schon viel mehr Erfahrung gesammelt. In Amsterdam wird der Schnelltest sogar nachts in der Disko angeboten.

Bei der mühsamen Abstimmung von derzeit zwölf Landesverbänden – schaut man da manchmal neidisch auf andere Staaten, wo alles zentral regiert wird?

Im Gegenteil. Wir können glücklich sein, dass wir so hervorragend vernetzt sind. Bei einem Besuch in Polen habe ich erstaunt festgestellt, dass es dort viele engagierte Gruppen und Vereine gibt, die zuvor noch nie miteinander geredet hatten. Manche haben sich bei dem Treffen mit uns zum ersten Mal gesehen. Die enge Zusammenarbeit hier in Deutschland ist also keine Selbstverständlichkeit.

Interview: Philip Eicker

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