Von der „Pille gegen Aids“ über die Heilung bis zum universellen Zugang zu Therapie, Prävention, Beratung und Versorgung: Die XIX. Internationale Aids-Konferenz brachte keine Durchbrüche, hat aber Signale gesetzt – einige wichtige und richtige, aber auch ein falsches. Am Ende herrschte Aufbruchstimmung. Holger Wicht über die wichtigsten Ergebnisse.

Logo der XIX. Internationalen Aids-Konferenz
Logo der XIX. Internationalen Aids-Konferenz

Am Anfang stand die Heilung. „Towards an HIV cure“ („Auf dem Weg zu einer HIV-Heilung“) lautete der Titel einer Vorkonferenz, und unter diesem Motto präsentierte sich eine internationale Arbeitsgruppe von HIV-Forscherinnen und -Forschern. Es war nicht irgendwer, der da die Heilung von der HIV-Infektion in Aussicht stellte: Eingeladen hatte die Internationale Aids-Gesellschaft (IAS), für die Arbeitsgruppe sprach unter anderem Françoise Barré-Sinoussi, Mitentdeckerin des HI-Virus und dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Der Auftakt war maßgeschneidert für eine Konferenz, die sich das Ziel „Turning the Tide Together“ („Gemeinsam das Blatt wenden“) auf die Fahnen geschrieben hatte. Kurz vor Beginn der Konferenz erschien zudem der neue Bericht von UNAIDS – unter dem Titel „Together we can end AIDS“. Immer wieder war dann der Begriff der „AIDS free generation“ zu hören, die man in Kürze erreichen könne. Auch US-Außenministerin Hillary Clinton nahm dieses große Wort bei ihrer Eröffnungsrede in den Mund. Die Presse griff die Signale gerne auf und ging mit dem Wort „Hoffnung“ nicht sparsam um.

Das Ziel „Heilung“ nimmt uns moralisch in die Pflicht

Ist die HIV/Aids-Katastrophe also bald vorbei? Können wir Aids tatsächlich in absehbarer Zeit beenden? Ganz sicher nicht heute und nicht morgen.

Das hielt auch Rowenta Johnston von der Amerikanischen Stiftung für Aids-Forschung (AmFAR) auf der Pressekonferenz fest: „Wenn jemand sagt, Heilung geht für x Millionen Dollar und in y Jahren, dann ist das zu viel versprochen. Sie sollten dann misstrauisch werden.“

Die großen Worte und all der Optimismus sind also weniger wörtlich zu verstehen denn als politische Signale. Wir wissen, welche Maßnahmen gegen die HIV/Aids-Epidemie wirken. Wenden wir sie an! Und: Eine Heilung erscheint heute – im Gegensatz zur Situation vor wenigen Jahren – endlich vorstellbar. Lasst uns also die Forschung intensivieren! Und: Wenn wir die Chance haben, noch wirkungsvoller zu agieren als bisher, stehen wir moralisch in der Pflicht.

Die Konferenz von Washington war vor allem dies: ein Appell an die Weltgemeinschaft, insbesondere an die reicheren Länder. UNAIDS hatte kurz vor der Konferenz betont, dass deren Anstrengungen sich noch vergrößern müssen, während die weniger finanzstarken und besonders stark von HIV betroffenen Länder bereits mit gutem Beispiel vorangehen. „Together we can end AIDS“ ist weniger Prognose als eine Aufforderung.

Demo Keep the Promise
Haltet das Versprechen, mehr gegen Aids zu tun, forderten Demonstranten in Washington (Foto: DAH)

Die Vorkonferenz darf man dabei durchaus auch als eine Art Antrag auf Finanzierung verstehen. Bezüglich der Heilung gibt es heute schließlich mehrere vielversprechende Ansätze. Jetzt geht es darum, mit vereinten Kräften und gut koordiniert voranzuschreiten. Dazu dient die internationale Arbeitsgruppe aus mehr als 30 Wissenschaftlern, die mehrere Forschungsfelder definiert und wichtige Fragen umrissen hat. Etwa jene, wie sich der Heilungserfolg überhaupt kontrollieren ließe. Dafür gibt es nämlich noch keine verlässlichen Messinstrumente – außer die antiretrovirale Therapie abzusetzen und zu hoffen, dass HIV sich nicht doch noch irgendwo im Körper versteckt (ausführliche Informationen bieten die Beiträge „Wir müssen das jetzt anpacken“ und „Pioniere der Heilung“).

Mehr Forschung also, mehr Geld für die Suche nach Heilung – ohne bei den antiretroviralen Therapien, die es bereits gibt, und der Prävention nachzulassen. Es ist zu hoffen, dass dieses Signal auch in Deutschland gehört wird, denn die Finanzierung der Forschung ist hier gemessen an der Wirtschaftskraft viel zu gering. Und dies, obwohl ein vielversprechender Ansatz aus Deutschland stammt: Die „molekulare Schere“, die HIV aus infizierten Zellen heraustrennen kann, ist von Wissenschaftlern des Hamburger Heinrich-Pette-Instituts entwickelt worden. Sie funktioniert bereits im Labor – jetzt geht es darum, das vorhandene Wissen auf die Anwendung am Menschen zu übertragen. Kann man bei solch einem Vorhaben ernsthaft knausern?

Die „PrEP“ wird die Prävention nicht grundlegend verändern

Neben der Heilung bildete die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) einen weiteren Schwerpunkt. Bei der PrEP nehmen gesunde Menschen HIV-Medikamente, um sich vor einer Infektion zu schützen. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hatte unerwartet kurz vor Konferenzbeginn das Medikament Truvada für diesen Zweck zugelassen – trotz widersprüchlicher Studienergebnisse zur Wirksamkeit – und damit einen Medienhype ausgelöst. „Die Pille gegen Aids“ wurde die PrEP in vielen deutschen Zeitungen genannt.

In Washington wurde deutlich: Die PrEP wird die HIV-Prävention nicht grundlegend verändern. Sie ist lediglich ein kleiner neuer Baustein, der für spezielle Gruppen mit hohem Risiko eine zusätzliche Option bieten könnte. Viele Fragen sind offen: Kann sich die PrEP im Alltag bewähren? Wie verändert sie das sexuelle Verhalten? Und: Wer soll sie bezahlen?

Trotz des Schwerpunkts auf Heilung und des Hypes um die PrEP hat die Konferenz keine Schlagseite Richtung Medizin bekommen. Ganz im Gegenteil, nicht nur UNAIDS-Direktor Michel Sidibé hat immer wieder betont, dass die „klassische“ Präventionsarbeit ein unverzichtbarer Bestandteil dessen bleibt, was international „HIV/AIDS Response“ genannt wird.

Diese Form der Prävention wird international als „behavioral prevention“, also Verhaltensprävention bezeichnet, weil sie das Verhalten von Menschen in den Blick nimmt, während Medikamente auf die Übertragungswahrscheinlichkeit einwirken.

Die Deutsche AIDS-Hilfe fügt dem noch die „Verhältnisprävention“ hinzu, die darauf zielt, die von HIV besonders betroffenen und marginalisierten Gruppen zu stärken. Dieser Aspekt findet sich international in der Forderung wieder, Diskriminierung jeder Art zu beenden – weil Ausgrenzung und Repression den Menschenrechten widersprechen und eine treibende Kraft der HIV/Aids-Epidemie sind. Die Tabuisierung von HIV und die Stigmatisierung von HIV-Positiven sowie von Gruppen mit höherem HIV-Risiko führen dazu, dass Menschen sich nicht informieren, Schutz vor HIV nicht thematisieren und sich nicht zum Test trauen.

Neben medizinischer und Verhaltensprävention muss Verhältnisprävention stehen

Das allgemeine Bekenntnis zur Verhaltens- und Verhältnisprävention in Washington ist hoch erfreulich. In den letzten Jahren hatte sich in internationalen Diskussionen der Fokus massiv in Richtung der medizinischen Prävention verschoben. Seit klar geworden war, dass die HIV-Therapien in hohem Maße HIV-Infektionen verhindern, drohte die andere Säule des Erfolges, die sozialen Maßnahmen – etwa Informationen über Schutz, Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe –, zu kurz zu geraten.

Dass erfolgreiche Prävention aus einer Kombination unverzichtbarer Maßnahmen bestehen, unterstrich die Konferenz nun – analog zur Bezeichnung „Kombinationstherapie“ – mit dem sehr präsenten Begriff der „kombinierten Prävention“.

Demo No Drug Users
Keine Drogengebraucher_innen und Sexarbeiter_innen? Keine Aids-Konferenz! Protest in Washington (Foto: DAH)

Immer mehr Optionen spielen zusammen

Die Bestandteile dieser kombinierten Prävention werden dabei immer vielfältiger. Zum Schutz durch Kondome, HIV-Therapien und Beschneidungen von Männern (Studien zufolge senkt die Beschneidung der Vorhaut das HIV-Infektionsrisiko für heterosexuelle Männer um ca. 60 %) kommen weitere Möglichkeiten wie die PrEP.

Die Diversifizierung im medizinischen Bereich macht dabei sogar ein Mehr an Aufklärung und Beratung notwendig, weil die Methoden nur funktionieren, wenn Menschen das Wissen und die Möglichkeit haben, sie auch richtig anzuwenden.

Ein Beispiel: In PrEP-Studien nahmen viele Menschen die Medikamente nicht regelmäßig ein, weil sie der Auffassung waren, kein HIV-Risiko zu haben. Tatsächlich gingen sie aber hohe Risiken ein. Beratung kann solche Irrtümer aufklären.

Mit anderen Worten: Große Durchbrüche hat die XIX. Internationale Aids-Konferenz nicht gebracht, wohl aber einige Signale gesetzt. Leider waren auch falsche dabei. Das US-Einreiseverbot für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sowie intravenös Drogen konsumierende Menschen war fatal.

„Nichts über uns ohne uns!“

„Hoffnung zu inszenieren ist eine schöne Sache“, sagte ein Community-Vertreter aus der Karibik am letzten Konferenztag im Plenum, „aber wir hätten ihre Stimmen auf dieser Konferenz gebraucht!“

Der Ausschluss sorgte dafür, dass der gute alte Slogan der HIV/Aids-Bewegung „Nothing about us without us!“ (Nichts über uns ohne uns) wieder einmal lautstark zum Einsatz kam. Das hatte auch sein Gutes: So wurde noch einmal sehr deutlich, dass erfolgreiche HIV-Prävention immer nur unter Beteiligung der Menschen entstehen kann, für die sie gedacht ist. Menschen der am stärksten von HIV betroffenen Gruppen von einer Konferenz auszuschließen, widerspricht diesem Grundsatz der HIV-Prävention – und das wurde in Washington sehr deutlich gesagt. Dass die USA das Einreiseverbot für HIV-Positive aufgehoben haben, ist hoch erfreulich, aber sie sind auf halbem Wege stehen geblieben.

Es besteht Hoffnung, dass so etwas im Vorfeld einer Internationalen Aids-Konferenz nicht wieder passiert. Beim Abschluss war es schließlich eine Wissenschaftlerin, die ein flammendes Plädoyer gegen Ausgrenzung hielt: Françoise Barré-Sinoussi, designierte Präsidentin der International AIDS Society. „Ich bin eine Anwältin!“ rief die HIV-Mitentdeckerin kämpferisch ins Publikum und erklärte, ihr Nobelpreis gehöre allen Menschen, die sich seit 30 Jahren für Gerechtigkeit engagierten. Das Publikum reagierte mit Standing Ovations auf ihre Rede.

An Aids müsste kaum jemand noch erkranken

Ex-US-Präsident Bill Clinton stieß ins selbe Horn und beklagte Ausgrenzung und Diskriminierung von schwulen Männern, Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern und Drogenkonsumenten – auch in den USA und vor allem in deren Süden, seiner Heimat. Und er betonte: „Es gibt keine moralische Rechtfertigung, den Menschen die Medikamente vorzuenthalten, die sie brauchen.“

Eine Community-Vertreterin formulierte es noch drastischer. An die Pharmavertreter auf der Konferenz richtete sie die Frage: „Warum bewirten Sie auf dieser Konferenz Ärzte, während gleichzeitig Menschen an Aids sterben?“

Das treffendste Fazit zog vielleicht Dmitri Nicholson aus Guyana, der in der „Rapporteurs-Session“ die Aktivitäten im Community-Bereich der Konferenz, dem Global Village, zusammenfasste: „Es war eine gerechte Mischung aus Protest und Feier.“

„Hören Sie, was ich sage“, hatte UNAIDS-Direktor Michel Sidibé bei der Eröffnung gesagt, „gemeinsam können wir Aids beenden“.

Können wir? Aids ist heute eine meist vermeidbare Folge der HIV-Infektion. Die Zahl der HIV-Infektionen lässt sich in absehbarer Zeit mit geeigneten Maßnahmen weiter erheblich reduzieren. An Aids müsste kaum noch jemand erkranken, würde die Welt die moralische Verpflichtung, von der Clinton gesprochen hat, ernst nehmen.

Michel Sidibé hat also genau dann Recht, wenn sich viele Entscheidungsträger und andere Akteure der „HIV/AIDS Response“ dem von ihm formulierten Ziel verpflichtet fühlen.

 

Weitere Informationen:

„Ticker“ auf aidshilfe.de mit zahlreichen Impressionen und Berichten von der Konferenz

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Holger Wicht

Holger Wicht, Journalist und Moderator, ist seit 2011 Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe

1 Kommentar

  1. Ex-US-Präsident Bill Clinton stieß ins selbe Horn und beklagte Ausgrenzung und Diskriminierung von schwulen Männern, Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern und Drogenkonsumenten – auch in den USA und vor allem in deren Süden, seiner Heimat. Und er betonte: „Es gibt keine moralische Rechtfertigung, den Menschen die Medikamente vorzuenthalten, die sie brauchen.“

    Das sollte sich die jetzige Regierung der USA hinter die Ohren schreiben. Der Zugang zur Versorgung mit Medis ist für die Black Gay Community und Latinos bekannterweise katastrophal. Bevor man anderen gute Ratschläge bibt sollte man erst mal vor der eigenen Haustür kehren.

    Was den Internationale Aspekt der Versorgung von Menschen mit HIV betrifft, da habe ich so meine Zweifel.

    Conversations from AIDS 2012: General Manager of the Global Fund
    http://www.alaskadispatch.com/article/conversations-aids-2012-general-manager-global-fund

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