Forschung

Weniger Gonorrhö-Fälle in London, sinkende HIV-Zahlen down under – ist’s die PrEP?

Von Gastbeitrag
Ein Mediziner blickt durch ein Mikroskop
Zwei auf der IAS 2017 in Paris vorgestellte Studien legen die Vermutung nahe, dass die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) die Zahl der HIV- und sogar der Gonorrhö-Infektionen bei schwulen Männern senkt

Von Gus Cairns*

Sinkende Gonorrhö-Raten an der größten britischen STI-Klinik

Die Gonorrhö-Diagnosen bei schwulen Klienten der größten britischen Klinik für sexuell übertragbare Infektionen (STIs), 56 Dean Street im Londoner Stadtteil Soho, sind im letzten Jahr um 24 Prozent gesunken. Dies teilte Professorin Sheena McCormack, Studienleiterin der PROUD-PrEP-Studie und Mitarbeiterin der Klinik, am 24. Juli auf der 9. Konferenz der Internationalen Aids-Gesellschaft (IAS 2017) in Paris mit.

Auch die Zahl der HIV-Infektionen geht zurück

Der Rückgang der Gonorrhö-Diagnosen von etwa 1.600 im dritten Quartal 2015 auf rund 1.000 pro Quartal ein Jahr später ging Hand in Hand mit einem Rückgang der HIV-Infektionen um 42 Prozent an weiteren STI-Zentren in London (sowie in geringerem Maße im Rest Englands) im selben Zeitraum.

Unterbrochene Infektionsketten

Die Gründe für den Rückgang der Gonorrhö-Fälle sind laut McCormack noch unklar. Ursache könnte eine gestiegene Häufigkeit von Tests auf HIV und andere STIs bei den Klient_innen sein. Weil Gonorrhö häufig ohne Symptome verläuft, kann man mit regelmäßigen Tests mehr Infektionen diagnostizieren und Infektionsketten unterbrechen.

HIV-Tests: Mehr und häufiger

Bei den Chlamydien-Infektionen war interessanterweise kein solcher Rückgang zu beobachten. Laut McCormack könnte das darauf zurückzuführen sein, dass die Inkubationszeit bei Chlamydien länger ist als bei Gonorrhö – in der Inkubationszeit können Infektionen bei Tests übersehen werden.

Bei einer PrEP gehören Tests auf HIV und STIs dazu

Der nachweisbare Anstieg bei der Inanspruchnahme von HIV-Tests und insbesondere die gestiegene Testhäufigkeit bei schwulen Männern in Großbritannien könnten zum Teil auf Tests schwuler Männer im Rahmen der Prä-Expositions-Prophylaxe zurückzuführen sein, aber auch Folge eines gestiegenen Bewusstseins für den Nutzen einer früh begonnenen HIV-Behandlung.

Möglicherweise mehr PrEP-Nutzer_innen als gedacht

McCormack sagte außerdem, dass die Zahl der PrEP-Nutzer_innen in Großbritannien (es handelt sich dabei vor allem um schwule Männer) größer sein könnte als bisher gedacht. Eine auf der schwulen Kontaktplattform Grindr durchgeführte Auswertung habe gezeigt, dass insgesamt 3.938 britische Männer angaben, HIV-negativ zu sein und die PrEP zu nutzen. Anzunehmen sei, dass diese Zahl aufgrund der Furcht vor der anhaltenden Stigmatisierung der PrEP um etwa 20 Prozent zu niedrig sein könnte.

Australien: PrEP-Studien expandieren, HIV-Diagnosen sinken um 29 Prozent

In derselben Sitzung präsentierte Andrew Grulich von der University of New South Wales die Fortschritte bei den australischen PrEP-Implementierungs[1]-Studien.

Erfolge bei den 90-90-90-Zielen, aber bisher Stagnation bei den HIV-Infektionen

Australien könne sich glücklich schätzen, so Grulich, dass die Regierung gemeinsam mit den HIV-Wissenschaftler_innen das ehrgeizige Ziel verfolge, HIV weitgehend zu eliminieren: 69 Prozent aller Menschen mit HIV im Lande seien unter antiretroviraler Therapie und hätten eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Damit komme man zwar der Erreichung der 90-90-90-Ziele von UNAIDS sehr nahe (wonach 72,9 Prozent aller Menschen mit HIV eine Viruslast unter der Nachweisgrenze haben sollen), doch sei die Zahl der HIV-Diagnosen zwischen 2006 und 2015 hartnäckig bei etwa 1.000 pro Jahr geblieben.

Erst Demonstrations-, dann Implementierungsstudien

Aus diesem Grund habe man sich für die Einführung der PrEP entschieden – zunächst in drei kleinen Demonstrationsstudien in New South Wales, Queensland und Victoria mit insgesamt 500 Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Diese Demonstrationsstudien [2] habe man dann in große Implementierungsstudien überführt.

Zielgruppe: Menschen mit sehr hohem HIV-Risiko

Laut mathematischen Modellrechnungen musste man, um signifikante Auswirkungen der PrEP auf die öffentliche Gesundheit zu erreichen, innerhalb von 10 Monaten 3.700 (90 %) der Menschen mit dem höchsten HIV-Risiko rekrutieren, und dieses Ziel wurde erreicht. In 14 Monaten haben sich sogar 5.500 Teilnehmer_innen eingeschrieben. Laut Modell sollte dies dazu führen, dass die Zahl der jährlichen HIV-Diagnosen bis zum Jahr 2020 auf 250 sinkt.

Rasante Rekrutierung

In der 56. Studienwoche hatten 5.375 Teilnehmer_innen mit einer PrEP begonnen – 5.325 Männer, die Sex mit Männern haben, 36 trans* Frauen, sieben trans* Männer und sieben Cis-Frauen.

Das Durchschnittsalter lag bei 35 Jahren, ein Viertel der Teilnehmer_innen war jünger als 30 Jahre.

Keine nennenswerten Veränderungen bei STIs, aber weniger HIV-Diagnosen

Bei den STI-Diagnosen gab es im Studienzeitraum keine nennenswerten Veränderungen; in der in New South Wales durchgeführten Studie wurde im Schnitt pro Quartal bei 10,2 % der Teilnehmer_innen eine Chlamydien-Infektion, bei 8,4 % eine Gonorrhö und bei 1,2 % eine Syphilis diagnostiziert.

Bei den HIV-Diagnosen dagegen gab es Zeichen für ein Absinken. Sie waren zuvor gestiegen und hatten in New South Wales mit 81 im letzten Quartal 2015 ihren Höchststand erreicht. Im ersten Quartal 2017 dagegen lag die Zahl nur noch bei 54, das sind 29 % weniger als der Quartalsdurchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre. Die Diagnosen bei Menschen mit frischer Infektion sanken um 43%.

Wegen des großen Erfolgs erweitert

Mittlerweile wurde die Studie auch auf Westaustralien und das Australische Hauptstadtterritorium ausgedehnt und hat nun mehr als 6.000 Teilnehmer_innen.

Die HIV-PrEP könnte Standardleistung werden

Derzeit prüft die australische Regierung, ob sie PrEP-Generika einkauft. Eine Entscheidung wird bis August erwartet. Sollte sie sich dafür entscheiden, besteht laut Grulich die Hoffnung, dass die PrEP mit Beginn des Jahres 2018 eine Standardleistung des Gesundheitssystems wird.

Literatur

McCormack, Sheena: After PROUD… 9th IAS Conference on HIV Science (IAS 2017), Paris, Präsentation Nr. SUSA0704, 23. Juli 2017; die Folien zu der Präsentation finden sich hier (direkter Download-Link: PowerPoint-Datei, 400 MB)

Grulich, Andrew: Taking PrEP to scale for gay and bisexual men in Australia. 9th IAS Conference on HIV Science (IAS 2017), Paris, Präsentation Nr. SUSA0705 (Website), 23. Juli 2017

 

* Original: London gonorrhea rates fall, and HIV rates falling in Australia as more join PrEP demo, veröffentlicht am 24. Juli 2017 auf aidsmap.com; Übersetzung: Literaturtest. Vielen Dank an NAM/aidsmap.com für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung!

[1] Anm. der Red.: Implementierungsstudien beschäftigen sich mit Fragen rund um die Implementierung (Umsetzung) von Strategien, Programmen oder Maßnahmen. Sie fördern die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis, indem sie Engpässe sowie optimale Ansätze für einen bestimmten Kontext (Setting) identifizieren. Ziel ist zum Beispiel eine verbesserte Gesundheitsversorgung. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Implementation_research#Public_Health

[2] Anm. der Red.: Demonstrationsstudien sollen Auswirkungen von Maßnahmen unter Bedingungen der realen Lebenswelt untersuchen und messen. Vgl. https://www.cdc.gov/hiv/research/demonstration/

[1] Anm. der Red.: Implementierungsstudien beschäftigen sich mit Fragen rund um die Implementierung (Umsetzung) von Strategien, Programmen oder Maßnahmen. Sie fördern die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis, indem sie Engpässe sowie optimale Ansätze für einen bestimmten Kontext (Setting) identifizieren. Ziel ist zum Beispiel eine verbesserte Gesundheitsversorgung. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Implementation_research#Public_Health

[2] Anm. der Red.: Demonstrationsstudien sollen Auswirkungen von Maßnahmen unter Bedingungen der realen Lebenswelt untersuchen und messen. Vgl. https://www.cdc.gov/hiv/research/demonstration/

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