Queere Solidarität gegen Queerfeindlichkeit
Die „Anti-Gender-Bewegungen“ und Kampagnen gegen die Rechte queerer Menschen sind länderübergreifend organisiert. Umso wichtiger sind internationale queere Solidarität und gemeinsames Handeln.
Genau genommen lebt Derrick inzwischen im Untergrund, notgedrungen. Denn alles, was der Geschäftsführer der Organisation Let’s Walk Uganda für die LGBTIQ*-Community seines Landes tut, steht unter Strafe: Seit das ostafrikanische Land im Mai eines der queerfeindlichsten Gesetze der Welt verabschiedet hat, drohen ihm allein schon für die „Förderung von Homosexualität“ bis zu 20 Jahren Haft.
Doch der Aktivist ist unerschrocken. Auf dem Podium der Diskussionsveranstaltung „LGBTIQ*-Menschenrechte weltweit in Gefahr. Queere Solidarität jetzt!“ am 27. Juli 2023 berichtet er über die Lage in seiner Heimat: Für „homosexuelle Handlungen“ drohen langjährige Haft, wenn dabei HIV übertragen wird, sogar die Todesstrafe. Wer von queeren Mitmenschen Kenntnis hat, ist zur Denunziation gezwungen, sonst drohen auch hier Gefängnisstrafen. Das gilt auch für Arbeitgeber*innen, Vermieter*innen, ja sogar Familienangehörige. Und zugleich wird von mancher Kanzel zum Hass gegen queere Menschen angestachelt, wird offen zum Mord aufgerufen, um „Kinder zu schützen“.
Queerfeindlichkeit verletzt auch das Menschenrecht auf Gesundheit
Queere Menschen verlieren ihr Zuhause, ihren Job, ihre Existenz, ihr soziales Umfeld. Viele trauen sich nicht mehr aus dem Haus und haben so auch keinen Zugang mehr zum Gesundheitssystem, etwa zur Versorgung mit lebenswichtigen HIV-Medikamenten.
Lebensgefährlich und geprägt von offenen Anfeindungen und Angriffen ist auch die Lage queerer Menschen in vielen anderen Ländern, zunehmend auch in Europa.
Abwärtsspirale der Queerfeindlichkeit in Russland
In Russland etwa haben sich die Lebensbedingungen der LGBTIQ*-Community seit 2013 immer weiter verschlechtert. Damals trat im gesamten Land das sogenannte Gesetz gegen „Homo-Propaganda“ in Kraft, das die „Werbung für nichttraditionelle Lebensweisen“ gegenüber Minderjährigen unter Strafe stellt – das heißt, jede positive Äußerung über oder Darstellung von LGBTIQ* ist verboten.
„Durch die Anti-LGBTIQ*-Gesetze verschwinden die Community und ihre Organisationen aus der legalen Öffentlichkeit“
Natalia Soloviova, Russian LGBT Network
Vorläufiger Tiefpunkt der staatlich verordneten Queerfeindlichkeit ist ein im Juli 2023 verabschiedetes Gesetz, das gezielt trans* Personen trifft: Es verbietet ihnen unter anderem, ihren Namen zu ändern oder eine Transitionsbehandlung durchführen zu lassen. Ehen, in denen ein*e Partner*in das Geschlecht angepasst hat, werden annulliert, trans* Personen dürfen außerdem keine Kinder adoptieren.
„Durch die Anti-LGBTIQ*-Gesetze verschwinden die Community und ihre Organisationen aus der legalen Öffentlichkeit. Wir werden unsichtbar gemacht“, erklärt Natalia Soloviova vom Vorstand des Russian LGBT Network, das LGBTIQ*-Gruppen und Aktivist*innen miteinander vernetzt.
Aktivist*innen können nicht mehr öffentlich in Erscheinung treten, die Medien berichten – wenn überhaupt – nur abwertend und hetzend über LGBTIQ*und ihre Organisationen. Die Folge: ein enormer Anstieg an Gewalt und offener Aggression. „Die Angst nimmt zu“, sagt Natalia Soloviova.
Türkei: Gewalt gegen Frauen und queere Menschen steigt – wie auch die Zahl der Aktivist*innen
Ähnliches berichtet Buğra Büyükşimşek aus Istanbul, Aktivist des queeren Projekts „Get REAL Movement“. In der Türkei müssen LGBTIQ*-Aktivist*innen damit leben, vom Regierungschef als „Mitglieder von Terrororganisationen“ verunglimpft zu werden.
Die Hoffnung, dass Erdoğan nach der Wiederwahl von seinem harten Kurs gegen LGBTIQ* im Land ablassen würde, haben sich zerschlagen. Die Community hat aber allen Anfeindungen zum Trotz nicht aufgegeben. „Unter Erdoğan ist die Gewalt gegen Frauen und queere Menschen gestiegen, aber auch die Zahl der Aktivist*innen“, berichtet Buğra. Und er benennt zwei entscheidende Faktoren, wie es der Community gelingt, in dieser feindlichen Atmosphäre zu bestehen:
Da ist zum einen ein enges Bündnis mit anderen Aktivist*innen, Gruppen und Initiativen, die sich beispielsweise für die Rechte von Frauen und Kurd*innen einsetzen. Zum anderen, sagt Buğra, finde man kreative Formen des Protests. Weil in Istanbul die Pride-Demonstration auf dem Taksim-Platz verboten wurde, wich man – für die Polizei überraschend – auf verschiedene andere Straßen aus und trug die Transparente nicht mit sich, sondern hängte sie an Hausfassaden.
Attacken auf Demokratie und Menschenrechte nehmen zu
In der intersektionalen Vernetzung und Kooperation sieht auch Francesca Sanders von Trans Gender Europe eine entscheidende Strategie, sich national wie international gegen den Rechtsruck und die damit verbundenen Anfeindungen und Einschränkungen zu wehren.
„Wir erleben ein Rollback der LGBTIQ*-Rechte nicht nur in Ungarn, Russland oder Bulgarien“
Francesca Sanders, Trans Gender Europe
„Die Anti-Gender-Bewegung ist über die Grenzen hinweg koordiniert. Wir erleben ein Rollback der LGBTIQ*-Rechte nicht nur in Ungarn, Russland oder Bulgarien“, so Francescas Beobachtung. Auch die Rechte von Frauen, insbesondere das Recht auf Abtreibung, würden beschnitten. „Diese Attacken auf die Demokratie, auf unsere Gesundheit und unsere Identität nehmen in vielen Ländern zu. Wir erleben es auch gerade in Deutschland im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsgesetz“, so Sanders.
So bildeten sich etwa gezielt Allianzen von LGBTIQ*-Feind*innen auf Ebene des Europäischen Parlaments. Eine ihrer einfachen, aber wirkungsvollen Strategien: Die Abgeordneten stimmen bei jedem Antrag, der das Wort „Gender“ enthält, mit „Nein“. Deshalb müssten LGBTIQ*, Frauen und andere zum politischen Feind erklärte Menschen auf gleiche Weise Bündnisse schließen, um zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen und Aufmerksamkeit auf diese Entwicklungen zu lenken, so Sanders.
Entscheidend ist internationale Kooperation, um LGBTIQ*-Communitys zu schützen
Auch Natalia Soloviova sieht die internationale Kooperation als mitentscheidend, wenn die LGBTIQ*-Communitys überleben und ihre Freiheit und Rechte wiedererlangen möchten. So sollten queere Organisationen gemeinsam Strategien erarbeiten, um Anti-LGBTIQ*-Gesetze proaktiv bereits dann zu verhindern, wenn diese sich noch in der Planungsphase befinden. „Wir müssen nicht alle das Rad neu erfinden, sondern sollten Beispiele für erfolgreiche Kampagnen und Lobby-Arbeit untereinander weitergeben“, schlägt Soloviova vor.
Wie die Aktivist*innen in Istanbul haben auch die Mitstreiter*innen des Russian LGBT Network Wege gefunden, um trotz des Gesetzes gegen „Homo-Propaganda“ nicht zu verstummen. Durch kreative Formulierungen können etwa Hinweise auf Veranstaltungen und Treffen in den Sozialen Medien veröffentlicht werden, ohne dass diese juristisch als „Werbung“ eingeordnet werden können. Allerdings ist dies ein mühsames, zeitfressendes Geschäft, denn jede öffentliche Äußerung muss zuvor von Anwält*innen geprüft werden.
Soziale Medien: für LGBTIQ* ein zweischneidiges Schwert
Könnten die Sozialen Medien auch in Ländern wie Uganda für die Interessenvertretung von LGBTIQ* sowie für Beratung und Unterstützung eine größere Bedeutung erlangen und sich vielleicht zum einzig verbleibenden, halbwegs sichereren Kommunikationsweg entwickeln?
Derrick ist sich da unsicher. Für ihn sind Facebook, Snapchat, Twitter und Co. ein zweischneidiges Schwert. Einerseits seien diese Apps zwar weit verbreitet und man erreiche damit auch Menschen, die im ländlichen Raum und fernab der Städte lebten. Doch nicht alle hätten Internet oder verfügten über ein Mobiltelefon. Vor allem aber würden in diesen Medien auch viele homosexuellenfeindliche Postings und Kommentare abgesetzt. „Dieser Hass schlägt queeren Menschen unweigerlich entgegen, wenn sie diese Medien nutzen.“
Christliche Kirchen tragen maßgeblich zur Queerfeindlichkeit bei
Die homo- und trans*feindliche Haltung ist nicht allein in der politischen Führung des Landes zu beobachten, sie hat sich tief in die Gesellschaft eingegraben. Dafür haben maßgeblich christliche Kirchen und insbesondere US-amerikanische Evangelikale gesorgt.
Finanziell gefördert wird die anti-queere Agenda unter anderem von US-Großbanken wie Goldman Sachs, aber auch aus Deutschland, wie der Journalist und Aktivist Dirk Ludigs erläutert.
Ebenjene kirchliche Organisationen, die Mittel der Entwicklungshilfe etwa zum Bau von Schulen erhalten, hetzten auch zur Verfolgung von queeren Menschen auf und unterstützen die Politik bei der LGBTIQ*-feindlichen Gesetzgebung. Es sei daher wichtig, dass alle Förderungen auf nationaler und europäischer Ebene auf den Prüfstand gelangen. Sanktionen gegen seine Heimat aber sieht Derrick nicht als geeignet, träfen sie doch nicht nur die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft, sondern auch die queeren Menschen seines Landes.
Uganda: LGBTIQ* brauchen jetzt einen langen Atem
Trotz der bedrohlichen Lage geben Derrick und viele andere Aktivist*innen in Uganda nicht auf. Sie arbeiten derzeit an einem 15-Jahres-Plan, wie die queere Community gerettet, die Rechte von LGBTIQ* erkämpft und die Haltung der Gesellschaft zu queeren Menschen verändert werden können.
Queere Menschen in Uganda brauchen unsere Solidarität und unsere Unterstützung, zum Beispiel durch Spenden.
Das Bündnis Queere Nothilfe Uganda wird von WE AID unterstützt, einer Plattform für gemeinnützige Krisennothilfe. Auf diese Weise kommen 100 % der gespendeten Gelder den Spendenzwecken zugute, ohne Abzug von Verwaltungskosten.
Weitere Informationen und Spenden: https://www.we-aid.org/initiatives/queere-nothilfe-uganda/
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