Bloggen kann die Welt verändern!
Bloggen kann die Welt verändern? Ganz schön vermessener Gedanke, oder? Was kann ich als HIV-Positive(r) denn schon tun?
Ganz schön viel – gerade ein Blog ist eine einfache und wirksame Möglichkeit, seine Meinung zu äußern, seiner Stimme Gehör zu verschaffen und Schritt für Schritt die Wirklichkeit zu verändern.
Ein Beispiel: Ein junger Mann, schwul, HIV-positiv, kehrt nach zehn Jahren im europäischen Ausland in seine Heimatstadt zurück, möchte ein Restaurant eröffnen. Alles scheint gut zu laufen, der Pachtvertrag, die Gespräche mit der Bank. Er ist Sternekoch, sein Geschäftsmodell verspricht Erfolg. Doch plötzlich versagt die Bank den Kredit. Drohbriefe treffen bei ihm ein, niemand im Dorf wolle „eine schleichende Infizierung“ – solche wie ihn brauche man nicht. Schließlich erhält die Lokalzeitung Briefe, die ihn als HIV-positiv denunzieren. Und dann ruft auch noch die Redaktion an, möchte Details einer Todesanzeige abklären – seiner eigenen, wie sich herausstellt. Ein anonymer Fremder hat sie aufgegeben.
Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie massiv HIV-Positive immer noch Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sind. Öffentlich wahrgenommen wurde das kaum. Einzig zwei Medien berichteten in ihren Regionalausgaben darüber, das „Bayern-Blatt“ der Süddeutschen Zeitung sowie eine Boulevard-Zeitung. Alle anderen Medien haben diesen Vorfall, soweit ich feststellen konnte, ignoriert, verschwiegen.
Hetze und Psychoterror gegen einen HIV-Positiven – nicht der Rede wert? Ist es nicht der Rede wert, ist es belanglos, was hier einem HIV-Positiven geschieht? Macht es nicht wütend zu sehen, dass derartige Jagdszenen heute immer noch zur Realität des Lebens mit HIV gehören? Genau hier setzen die Möglichkeiten des Bloggens an:
Öffentlichkeit herstellen
Über den Vorfall wurde nur in Bayern berichtet. Im Rest Deutschlands: Fehlanzeige. Ein Blogger hat hier schnell eine erste Nachricht erstellt (Anhaltspunkt: die „journalistischen W-Fragen“ Wer?, Was?, Wann?, Wo?, Wie?, Warum?, möglichst auch: Woher/welche Quelle?). Mit wenigen Mitteln kann er gerade die Zielgruppen informieren, die dieser Vorfall betrifft, kann Aidshilfen und HIV-Positive aufmerksam machen. Öffentlichkeit herstellen ist der erste Schritt, Dinge zu verändern. Und kann ein wichtiger Schritt sein, dem jungen Mann in Bayern zu zeigen: „Du bist nicht allein, nicht vergessen.“
Kommentieren
Bei Vorfällen wie dem obigen fällt es vielen vermutlich schwer, nur eine neutrale, die Fakten darstellende Nachricht zu verfassen. In einem Kommentar kann ein Blogger auch „klare Kante“ zeigen und seine Meinung äußern, kann zuspitzen, Fragen scharf auf den Punkt bringen, nach Konsequenzen fragen. Dabei hat sich bewährt, Nachricht und Meinung zu trennen, sei es in getrennten Texten oder zum Beispiel durch Kursivsetzen der Meinungs-Teile. Leser/innen haben so die Möglichkeit, sich zunächst einmal zu informieren und sich dann selbst eine Meinung zu bilden.
Bei Nachrichten wie auch Meinungen hat der Blogger und die Bloggerin in der Regel einen großen Vorteil: Er oder sie muss nicht „staatstragend“ sein, unterliegt meistens nicht den berühmt-berüchtigten „Sachzwängen“, mit denen so gerne begründet wird, warum man nur vorsichtig agieren oder gar nicht aktiv werden könne. Blogger sind meist nicht eng in Machtgefüge und Hierarchien eingebunden, sind nicht von öffentlichen Geldgebern oder Sponsoren abhängig. Hierin liegt eine große Freiheit: Blogger können (innerhalb des medienrechtlichen Rahmens) vergleichsweise frei und unabhängig agieren, können sagen, was andere (auch in Aidshilfen, Behörden oder Ministerien …) vielleicht im Stillen denken, aber aus (begründeter oder falscher) Rücksichtnahme nicht sagen – eine Freiheit, die wir nutzen sollten!
Dokumentieren
„Das ist ein bedauerlicher Einzelfall“ – das hören wir nur allzu oft, schütteln den Kopf, sind aber auch ratlos. Wie können wir das Gegenteil beweisen? Hier setzen die Möglichkeiten für den Blogger an: Er kann all diese „kleinen“, vermeintlich unbedeutenden Einzelfälle (die anderen Medien oft keine Nachricht „wert“ sind) sammeln, kann immer wieder, und sei es mit einer kurzen Notiz, darüber berichten, sie dokumentieren und so im Laufe der Zeit deutlich sichtbar machen: Das sind keine Einzelfälle. Hier findet strukturelle Diskriminierung statt. Hier ist ein Missstand, der behoben werden muss.
Ein gutes Beispiel dafür sind die zahlreichen Fälle, in denen HIV-Positive in Zahnarztpraxen diskriminiert werden oder sich diskriminiert fühlen, was ebenso ernst zu nehmen ist. Das kann so weit gehen, dass ihnen eine erforderliche Behandlung wegen ihres HIV-Status erschwert oder verweigert wird (oder dass sie zumindest diesen Eindruck haben). „Bedauerlicher Einzelfall“ – immer wieder ist dann dieser Kommentar zu hören, oft mit einem Achselzucken verbunden. Einzelfall: Das soll meist auch heißen, dass keine strukturellen Konsequenzen gezogen werden müssen.
Einzelfälle? Nein! HIV-Positive werden strukturell diskriminiert
Doch durch das Sammeln und Immer-wieder-öffentlich-Machen von Fällen, in denen HIV-Positive Probleme bei der zahnärztlichen Behandlung haben, können wir zeigen: Bei dieser Häufigkeit kann es sich nicht um Einzelfälle handeln, hier besteht ein strukturelles Problem. Aidshilfen konnten aktiv werden, Medien, Verbände und Politiker auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Erst dadurch kam es zu Bewegung – und Gesprächen mit den zuständigen Berufsverbänden.
Neben dem Informieren und Herstellen von Öffentlichkeit, dem Kommentieren sowie dem Dokumentieren bieten Blogs aber noch weitere Möglichkeiten – Bloggerinnen und Blogger können skandalisieren, deutlich machen, welche Bedeutung ein Thema für Menschen mit HIV hat, scharf zuspitzen, und sie können bündeln und in Bewegung setzen, zum Beispiel, indem sie Leser/innen die Möglichkeit geben, Artikel zu kommentieren, Menschen mit ähnlichen Interessen oder Meinungen in Kontakt mit einander bringen und so Handlungsmöglichkeiten schaffen. Kann man so die Welt verändern? Ja, man kann.
Und der HIV-positive Sternekoch? Ein schwuler Landrat eines Nachbarkreises bot ihm medienwirksam Asyl an (TZ). Und auch wenn dies nur die zweitbeste Lösung ist – dem Aufsuchen eines Asyls, eines Zufluchtsorts, geht ja immer eine Flucht als letzter Ausweg vor Verfolgung voraus –, so ist es doch immerhin ein Schritt. Die bessere Lösung aber wäre wohl, sich zusammenzuschließen, sich der Situation zu stellen und gemeinsam zu versuchen, sie zu ändern.
Bloggen kann hierbei ein starkes Werkzeug sein – ein Beitrag dazu, die Welt zu verändern.
Positiv bloggen Teil 1: „Ich mache es einfach selbst“ von Marcel Dams
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