Der Traum vom Fliegen: HIV kein Hindernis mehr für Piloten
Nun ist es auch in Deutschland amtlich: Bewerber für eine Lizenz zum Berufspiloten dürfen HIV-positiv sein, sofern sie sonst gesund sind und die flugmedizinische Tauglichkeitsprüfung bestehen. So schreibt es die Verordnung der Europäischen Kommission 1178/2011 vom 3. November 2011 vor, die am 8. April 2013 zu weiten Teilen auch in Deutschland in Kraft getreten ist (die Deutsche AIDS-Hilfe berichtete).
Im Anhang IV der Verordnung, dem sogenannten PART-MED, der die medizinischen Tauglichkeitsvoraussetzungen für Piloten und Flugbegleiter beinhaltet, wird nun erstmals HIV nicht mehr als Ausschlussgrund genannt. Stattdessen heißt es für angehende Piloten: „Bewerber mit positivem HIV-Befund können vorbehaltlich einer zufriedenstellenden flugmedizinischen Beurteilung als tauglich beurteilt werden.“ Das ist ein Novum, war es für HIV-Positive doch bisher ausgeschlossen, als flugtauglich anerkannt zu werden – der Berufswunsch Pilot damit unerfüllbar.
„Damit wird endlich ein Stück Diskriminierung abgebaut“
Auch wenn in Deutschland noch nicht alle Teile der EU-Verordnung in Kraft getreten sind, der PART-MED gilt. Das Bundesverkehrsministerium hatte in einem Schreiben an die EU-Kommission vom 14. August 2012 von der sogenannten Opt-out-Klausel Gebrauch gemacht. Danach können Mitgliedsstaaten Teile der Verordnung später umsetzen. Für die Bestimmungen zur Flugtauglichkeit hatte das Verkehrsministerium eine einjährige Verschiebung bis zum 8. April 2013 gewählt. Seither müssen Airlines in Deutschland die neuen Tauglichkeitsvorgaben für Piloten und Flugbegleiter anwenden.
Für die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) war die neue EU-Vorgabe längst überfällig: „Damit wird endlich ein Stück Diskriminierung abgebaut“, erklärt DAH-Referentin Silke Eggers. „Denn HIV-Positive sind natürlich in der Lage, als Pilotin oder Pilot tätig zu sein, wenn ihre Gesundheit es erlaubt. Für uns ist nun entscheidend, inwieweit sich die Fluggesellschaften an diese Verordnung halten.“
Grundsätzlich sind die Airlines dafür zuständig, die Tauglichkeit ihres Flugpersonals festzustellen. In der Regel haben sie dafür einen eigenen medizinischen Dienst. Lediglich bei Einschränkungen der Tauglichkeit – und hierunter fällt eine HIV-Infektion – ist die oberste Genehmigungsbehörde, in Deutschland das Luftfahrt-Bundesamt, zuständig. Die EU-Verordnung schreibt dazu vor: „Bewerber um ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 müssen an die Genehmigungsbehörde verwiesen werden.“ Das bedeutet: Wer sich mit bekanntem HIV-Befund um eine Pilotenlizenz bewirbt, wird an das Luftfahrt-Bundesamt überwiesen, das über die Tauglichkeit entscheidet. So weit, so gut – denn wie die neuen Regelungen vorschreiben, ist eine HIV-Infektion kein Ausschlusskriterium mehr.
Eine Einschränkung allerdings besteht, wie das Luftfahrt-Bundesamt bestätigt: „Die Tauglichkeit Klasse 1 kann bei HIV-positiven Bewerbern nur mit der Einschränkung OML (Operational Multi-Pilot Limitation) festgestellt werden.“ Im Klartext: HIV-positive Berufspiloten dürfen nur mit Kopiloten oder als Kopiloten fliegen.
Wie gehen die Airlines tatsächlich mit HIV um?
Die großen Airlines in Deutschland bestätigen auf Nachfrage, dass die neuen EU-Vorgaben bereits Anwendung finden, lassen sich aber kaum in die Karten schauen, wie ihr tatsächlicher Umgang mit HIV aussieht:
Lediglich Lufthansa gibt offen an, Bewerber auf HIV zu untersuchen, betont aber, dass ein positiver Befund kein Ausschlusskriterium sei. Stattdessen finde eine individuelle Risikoanalyse statt. „Bei guter medikamentöser Einstellung und Nebenwirkungsfreiheit ist eine Einstellung als Pilot/in möglich, wenn das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) dies mitträgt“, erklärt die Pressestelle. Bei bereits angestellten Piloten, die eine positive HIV-Diagnose erhalten haben, werde an das LBA verwiesen, „welches bei guter, nebenwirkungsfreier medikamentöser Einstellung in der Regel eine Sondergenehmigung erteilt“, so Lufthansa weiter.
Auch Condor gibt an, dass bei „Vorliegen einer HIV-Infektion eine positive Tauglichkeitsentscheidung getroffen werden“ könne, verweist aber auch hier auf das Luftfahrt-Bundesamt als oberste Genehmigungsbehörde.
TUIfly lässt wissen, dass „keine HIV-Tests mit Flugkapitänen und FlugbegleiterInnen durchgeführt“ werden. Damit ist sie die einzige Fluggesellschaft, die nach eigener Aussage gänzlich auf HIV-Tests verzichtet.
Weniger offen kommunizieren die übrigen Airlines. Die Lufthansa-Tochter Germanwings lässt lediglich wissen, dass die medizinischen Einstellungsuntersuchungen „grundsätzlich auf den gesetzlichen sowie berufsgenossenschaftlichen Anforderungen“ basierten und alle Untersuchungen entsprechend dem neuen PART-MED angepasst würden. Mehr noch: Über „konkrete Untersuchungen und ihre Auswirkungen auf eine Einstellung oder Beschränkungen des Arbeitsverhältnisses“ gebe die Airline „aus Datenschutzgründen grundsätzlich keine Auskunft“.
Es finden engmaschigere HIV-Kontrollen statt als vorgeschrieben
Ähnlich verklausuliert äußert sich Air Berlin, wonach bei Piloten und Flugbegleitern „die flugmedizinische Beurteilung den notwendigen Vorgaben für die Ausübung der beiden Berufe entsprechen muss“. Immerhin betont Air Berlin, dass HIV-Tests im Rahmen der regelmäßigen Flugtauglichkeitsuntersuchungen freiwillig seien.
Easyjet und Germania gaben auch auf wiederholte Nachfrage keine Stellungnahme ab.
Die Interessenvertretungen des Flugpersonals bestätigen jedoch, dass engmaschigere HIV-Kontrollen stattfinden, als es die Regelungen vorschreiben. So berichten UFO, die Gewerkschaft der Flugbegleiter, und Wake Up! e.V., ein Selbsthilfeverein für HIV-Positive bei Lufthansa, von HIV-positiven Piloten, die beim medizinischen Dienst der Lufthansa regelmäßig ihre Werte übermitteln müssen – ohne zu wissen, „ob diese Werte gespeichert werden, wie lange sie gespeichert werden und ob bei den Werten intern ‚Grenzen‘ definiert sind, die zu einem Entzug oder einer Einschränkung der Flugtauglichkeit führen könnten“, so eine UFO-Sprecherin.
UFO fordert deshalb, auf HIV-Tests sowohl bei Neueinstellungen als auch bei Beschäftigten zu verzichten: „Die Vorgehensweise von manchen Airlines, nach wie vor HIV-Tests durchzuführen, trägt dazu bei, das Bild von HIV in der Gesellschaft nach wie vor in eine Ecke zu stellen, die von mangelndem Rückhalt, Toleranz und Respekt geprägt ist. Ein Ende der HIV-Tests bei Airlines würde dazu beitragen, eine HIV-Infektion ein Stück weiter zu enttabuisieren.“
Unterstützung erhält sie dabei von der Deutschen AIDS-Hilfe. Denn auch wenn das neue Recht HIV-Positiven eine Pilotenlizenz ermöglicht und damit eine deutliche Verbesserung darstellt, sind nach Ansicht der DAH und des Nationalen AIDS-Beirats (NAB) generell HIV-Tests als Bestandteil von Einstellungsuntersuchungen abzulehnen (siehe auch das Votum des NAB). „Wir müssen endlich dazu kommen, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten oder Bewerber prinzipiell nicht mehr auf HIV testen – und das nicht nur bei Piloten oder Flugbegleitern“, so DAH-Referentin Silke Eggers. „Denn diese Tests sind schlichtweg nur eines: diskriminierend.“
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