HIV & ARBEIT

„Dieses Bisschen mehr macht den Unterschied zwischen Überleben und Leben“

Von Axel Schock
„Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit“ hat sich der Deutsche Gewerkschaftsbund als Hauptforderung  auf Transparente für die Demonstrationen am 1. Mai drucken lassen. Für Menschen mit HIV stellt sich allerdings oft das Problem, überhaupt erst mal einen Job zu finden.

In einer dreiteiligen Porträtserie beleuchten wir die besonderen Herausforderungen für HIV-Positive auf dem Arbeitsmarkt.

HIV-positiv und substituiert: geringe Chancen bei der Jobsuche. Foto: Jörg Sabel, pixelio.de

Wer HIV-positiv und zudem substituiert ist, hat auf dem Arbeitsmarkt nicht unbedingt die besten Chancen. Auch Hartmut Organiska hatte Schwierigkeiten bei der Jobsuche – und zuletzt doch großes Glück. Von Axel Schock.

Hartmut Organiska hat von Jugend an gelernt, anzupacken. Ob als Monteur von Blitzableiteranlagen in schwindelnder Höhe, als Arbeiter in Gärtnereien oder Fahrzeugwäscher in einer Autovermietungsfirma: seit er mit 16 Jahren die Hauptschule ohne Abschluss verließ, hat er sich eigentlich immer als Hilfsarbeiter durchschlagen können, und es waren ausnahmslos Knochenjobs.

„Auf dem Papier bin ich 54. Mein Körper aber entspricht wohl eher einem 70- oder 80-Jährigen“

Doch damit ist es schon eine Weile vorbei. „Seit ich 16 bin, dreht sich alles in meinem Leben um Drogen. Seit 20 Jahren habe ich HIV, und genauso lang werde ich nun auch schon substituiert. Das hat die Kräfte aufgezehrt und Spuren hinterlassen“, sagt Organiska. „Auf dem Papier bin ich 54 Jahre alt. Mein Körper aber entspricht wohl eher einem 70- oder 80-Jährigen.“

Als er Jugendlicher war, starben die Großeltern, bei denen er aufgewachsen war. Zunächst halfen ihm die sehr geregelten Fluchten in den Rausch, um die ständige Überforderung zu vergessen, die sich aus der neuen Situation ergeben hatte. Mit Valium, Alkohol, Cannabis und schließlich auch ganz gezielt mit Heroin versuchte er, die verlorengegangene Geborgenheit und Liebe auszugleichen. Weil er hart schuftete, reichte auch das Geld für die Drogen am Wochenende.

Hartmut erlebte die Arge-Betreuerin als unterstützend. Foto: Matthias Balzer, pixelio.de

Als er anfing, auch an den Werktagen zu drücken, und eines Tages schweißgebadet aufwachte, war das Ende der geregelten Existenz eingeläutet. Die Sucht übernahm die Regie über sein Leben, und es folgten die klassischen Stationen einer Suchtbiografie: Dealen, um den Eigenbedarf zu finanzieren, Entziehungstherapien, zeitweilige Obdachlosigkeit, Probleme mit der Polizei, Knast. Und schließlich bei der freiwilligen Eingangsuntersuchung in der Haftanstalt ein positives Testergebnis. „Zum Glück gab es dort einen guten Arzt, der mich, nachdem ich meine fünf Monate abgesessen hatte, zur Substitution weitervermittelte“, erzählt Hartmut. Einmal im Monat absolvierte er nun pflichtgemäß auch ein Sozialarbeitergespräch beim Junkie Bund Köln e.V., um die für eine Substitution notwendige Bescheinigung der Psychosozialen Betreuung zu erhalten.

„Ich muss zusehen, dass ich mich nicht zu sehr verausgabe und die Warnsignale erkenne“

„Dort habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Vertrauen zu anderen Menschen gefunden“, sagt Hartmut. Mit entscheidend war, dass man ihn erst ganz nebenbei und unaufdringlich um kleine Reparatur- und Handwerkstätigkeiten bat und ihm außerdem ermöglichte, erste Erfahrungen im Umgang mit einem PC zu sammeln. Das weckte den Ehrgeiz und förderte das Selbstvertrauen. Bald schon war er neben seinen Brotjobs als Kurierfahrer und Autowäscher auch ehrenamtlich bei der mittlerweile in „VISION e.V.“ umbenannten Drogenselbsthilfe tätig. Nach einer MAE-Stelle, einem sogenannten 1-Euro-Job, bewilligte die Arbeitsagentur eine Wiedereingliederungsmaßnahme, die ihm eine zweijährige Zusatzausbildung ermöglichte.

Für Substituierte sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt gering

Inzwischen ist er bei VISION e.V. fest angestellt und kümmert sich dort unter anderem um die Besucher des Kontaktladens, arbeitet im Empfang und ist Ansprechpartner der 1-Euro-Jobber. Er liebt seine Arbeit, auch wenn sie manchmal anstrengend ist. „Ich muss zusehen, das ich mich nicht zu sehr verausgabe und die Warnsignale erkenne, wann ich Stopp sagen muss.“ Dass er mit seiner Erkrankung und der Substitution an seinem Arbeitsplatz offen umgehen kann, ist bei VISION e.V. eine Selbstverständlichkeit. „Würde ich mich für eine vergleichbare Stelle bei einem anderen, zum Beispiel kirchlichen Träger bewerben, hätte ich als Substituierter keine Chance“, ist sich Organiska sicher.

„Dieses Doppelleben am Arbeitsplatz bedeutet einen enormen Stress“

Er kennt eine Reihe von Leuten, die ihre Substitutionsbehandlung auch deshalb an ihrem Arbeitsplatz verheimlichen: eine Journalistin, die in gehobener Stellung in einem Kölner Verlag arbeitet, einen Dozenten an der Universität, einen Computerfachmann in einem datenverarbeitenden Unternehmen. „Dieses Doppelleben bedeutet einen enormen Stress. Denn auch die müssen jeden Morgen den Gang um Arzt einplanen, um sich die Methadon-Ration abzuholen, und das alles so organisieren, dass ihr Arbeitgeber nicht dahinterkommt“, sagt Organiska. Hinzu kommt die Angst, dass es irgendwann vielleicht doch auffliegt, durch einen Zufall oder weil Daten von der Krankenkasse versehentlich beim Arbeitgeber landen.

Mit offenen Karten spielen kann Stress ersparen. Foto: Uta Herbert, pixelio.de

Dieser permanenten Panik wollte sich Hartmut nie aussetzen und hat deshalb gegenüber seiner zuständigen Jobvermittlerin bei der Arbeitsagentur seinerzeit auch mit offenen Karten gespielt. „Es hätte doch überhaupt nichts gebracht, ihr zu verschweigen, dass ich substituiert bin. Ich musste ja jeden Tag zu meinem Arzt, darf unter Substitutions- und Opiateinfluss nicht an Maschinen arbeiten und auch nicht Auto fahren. Was bringt es, wenn man mir Jobs anbietet, die ich dann gar nicht antreten kann?“ Auch über seine HIV-Infektion setzte er die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur in Kenntnis. „Die hätte mich sonst vielleicht wieder als Arbeiter in den Gartenbau geschickt. Aber bei Wind und Wetter draußen zu stehen, kann ich mir heute nicht mehr zumuten.“

„Man muss den Mut haben, zu sagen, ich komme allein nicht klar“

Seine Offenheit wusste man zu schätzen. „Ich hatte meine Arge-Betreuerin immer als sehr unterstützend erlebt, vielleicht auch durch mein Auftreten, weil ich nicht dem Klischee des abgerockten Junkies entsprach.“ Er wollte nicht bedauert werden, sondern einfach nur ein Angebot finden, das seinen beruflichen wie körperlichen Möglichkeiten und Einschränkungen entspricht.

Stütze – für Hartmut keine Alternative. Foto: Thorben Wengert, pixelio.de

Mit entscheidend aber sei gewesen, und das ist Hartmuts Rat an alle, die sich in einer ähnlichen Situation befinden: „Man muss um Hilfe auch bitten können und den Mut haben, zu sagen, ich komme allein nicht klar.“ Wie er es sieht, hat er mit seiner Stelle bei VISION e.V. letztlich großes Glück gehabt. Der Verein sei wahrscheinlich der einzige Arbeitgeber in Köln, der auch ganz öffentlich dazu stehe, Substituierte zu beschäftigen. Eine solche Chance hätte ihm sonst sicherlich niemand geboten. „Ich weiß, wie man eine Schippe anpackt, aber die Zeiten, dass ich das kräftemäßig stemmen konnte, sind lange vorbei“, schätzt er seine eigene körperliche Belastbarkeit ein. „Mir bliebe sonst nur, die Stütze abzuholen und mich vor den Fernseher zu setzen.“ Eine verlockende Alternative ist das für ihn aber keineswegs. „Ich verdiene jetzt zwar nicht die Welt, aber dieses Bisschen mehr macht genau Unterschied zwischen Überleben und Leben.“

 

Weitere Beiträge zum Thema gibt es im DAH-Dossier „HIV und Arbeit“

Informationen zum Thema bietet die Interessenvertretung HIV im Erwerbsleben

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