„Diskriminierung tötet“ — Mobbing in der Schule
Für die 2013 von der International Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer Youth and Student Organisation (IGLYO) in Auftrag gegebene Untersuchung sammelte die Sozialwissenschaftlerin Eleanor Formby in einer Online-Befragung 187 Antworten von Jugendlichen aus fünf Ländern: Dänemark, Irland, Italien, Kroatien, Polen. Mit dieser Auswahl sollten Länder erfasst werden, die sich im Engagement gegen Mobbing, aber auch in punkto Arbeitsmarkt und Wirtschaftskraft unterscheiden: „Wenn alle um Arbeitsplätze kämpfen müssen, kann man davon ausgehen, dass manche noch mehr kämpfen müssen“, erklärt Jordan Long, Programme & Policy Officer der IGLYO. „Gleichberechtigung ist das erste, was unter den Tisch fällt.“
Zwar muss Eleanor Formby eingestehen, dass die Teilnehmerzahl zu gering war, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten. Doch gemessen am Budget und dem engen Zeitplan ist sie mit diesem Rücklauf zufrieden. Sie begreift die Ergebnisse als eine Stichprobe, die Tendenzen aufzeigt und Probleme benennt, die angegangen werden sollten. „Die Untersuchung zeigt auf jeden Fall, dass mehr Forschung nötig ist“, sagt Jordan Long.
Beschimpfungen, Spott, Ausgrenzung
So zeigte sich, dass nicht nur Gleichaltrige diskriminieren und mobben, sondern teilweise auch Lehrer und Eltern. In der Schule erlebten die Jugendlichen z. B. Beschimpfung, Spott, Outing, Ausgrenzung, Androhung und Ausübung körperlicher Gewalt oder Cybermobbing. Auch Diskriminierung auf breiterer gesellschaftlicher Ebene wurde als belastend genannt.
Die Folgen für die schulische und berufliche Laufbahn sind vielfältig, so etwa mangelndes Selbstbewusstsein, Verlust von Motivation und Konzentrationsfähigkeit, Isolation, Verzicht auf bestimmte Studiengänge, Auswanderungswünsche, Angst vor Outing und Diskriminierung. Für den Aktivisten Jordan Long waren diese Befunde keine große Überraschung. Erstaunt hat ihn jedoch, dass einige Umfrageteilnehmer berichteten, die erlittenen Diskriminierungen hätten sie dazu angespornt, noch mehr Leistung zu bringen, sich besonders anzustrengen, „um es allen zu zeigen“.
Ein Drittel der Umfrageteilnehmer hatte Suizidgedanken
Doch bei den meisten waren die Folgen zum Teil gravierend. Selbst in schwul-lesbischen Zusammenhängen aktive Jugendliche sorgten sich, ob sie z. B. in ihrem Lebenslauf ihr Engagement erwähnen oder am Arbeitsplatz offen mit ihrer Lebensweise und Partnerschaft umgehen können. Manche Umfrageteilnehmer schätzten sich glücklich, dass sie in Schule und Beruf nichts oder nur wenig Negatives erlebt hatten. „Darüber machen sich Heterosexuelle mit Sicherheit keine Gedanken“, erklärt Formby. Sie sieht daher das Selbstwertgefühl und die Identität der jungen Leute bedroht. 53 % der Umfrageteilnehmer berichteten von depressiven Verstimmungen, 33 % hatten Suizidgedanken. „Diskriminierung tötet“, sagte der EU-Abgeordnete Michael Cashman nach der Vorstellung des Berichts.
Mobbing in der Schule wirkt bis ins Berlufsleben hinein
Für die IGLYO war es wichtig aufzuzeigen, dass Mobbing in der Schule Einfluss auf die berufliche Laufbahn hat. So nämlich könne die EU-Kommission aktiv werden, die sonst bei reinen Bildungsangelegenheiten stets argumentiere, sie sei dafür nicht zuständig, erklärt Jordan Long. Durch den Bericht fühlt sich die IGLYO bestärkt, die Kommission zum Handeln aufzufordern. „Wenn man von Mobbing spricht, denken viele nur an die Schule“, pflichtet ihm Eleanor Formby bei. „Doch es hat sich gezeigt, dass das Problem sehr viel weiter reicht und sich auf die Wahl des Studiengangs und auch aufs Berufsleben auswirkt.“
Zeitgleich mit den Umfrage-Ergebnissen veröffentlichte die IGLYO ein Papier mit vier Minimalstandars eines mobbingfreien Bildungssystems: 1. Diversity-Politik und Anti-Mobbing-Strategien und entsprechende Trainings für Lehrende und Verwaltende, 2. Unterstützungssysteme für Schüler allgemein und Mobbing-Opfer im Besonderen, 3. Systematisches Sammeln und Auswerten von Daten zu Mobbing und 4. Anwenden von Gegenstrategien auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene.
Minimalstandards für ein mobbingfreies Bildungssystem
Die Adressaten des Papiers sind Politiker und Bildungseinrichtungen. Schulen beispielsweise können es dazu nutzen, ihren Umgang mit Minderheiten zu überprüfen und bei Bedarf für eine Verbesserung der Situation zu sorgen. Zu diesem Zweck hat die IGLYO die Mindeststandards auf einem Poster zusammengefasst. „Eine Schule, die unsere Standards gut sichtbar plakatiert, demonstriert ihren Willen, gegen Mobbing und Diskriminierung vorzugehen“, so Jordan Long. Das sei ja auch schon etwas, auch wenn sich nicht sofort etwas ändere. Auch für Schüler könne das Poster nützlich sein, weil sie damit etwas zur Hand hätten, was sie ihren Lehrern zeigen könnten.
Nun will die IGLYO ihre Empfehlungen, das Poster und die Untersuchungsergebnisse Organisationen wie der European Students’ Union (ESU) zukommen lassen, die das Anti-Mobbing-Paket dann an die Schulen bringen sollen. Es gebe bereits Bildungseinrichtungen, die sich um das Thema kümmern, sagt Jordan Long und verweist auf die „Stand Up!“-Kampagne der Organisation „BeLonG To“ in Irland: Sie will die Solidarität junger Heteros mit gleichaltrigen LGBT fördern und fordert dazu auf, gegen Mobbing aufzustehen und für ein tolerantes Miteinander einzutreten.
„Wir sollten nicht vergessen, dass nicht alle LGBT-Jugendlichen Opfer von Mobbing werden. Zum Glück gibt es immer auch positive Gegenbeispiele“, unterstreicht Eleanor Formby.
IGLYO-Untersuchung (in Englisch) The impact of homophobic and transphobic bullying on education and employment, A European survey 2013, Eleanor Formby, IGLYO, Sheffield Hallam University
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