Ein langer Weg zum starken Wir
Heutzutage ist kein Verein mehr einfach ein Schwulenverein, sondern „LGBT“, „lesbisch-schwul-trans-queer“ usw. Es darf offenbar nicht der Anschein erweckt werden, man würde jemanden vergessen oder gar ausschließen.
Der frühere „Schwulenverband in Deutschland“ (SVD) ist bereits vor Jahren zum „Lesben- und Schwulenverband“ (LSVD) geworden. Auf seiner Homepage heißt es: „Wir wollen, dass Lesben, Schwule und Transgender als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität respektiert und anerkannt werden“, und unter dem Menüpunkt „Bürgerrechte“ ist zu lesen: „Als Bürgerrechtsverband sind wir offen für Transgender und setzen uns für ihre Rechte ein.“ Auch andere Verbände oder Projekte, wie z.B. das Kölner Wohnprojekt „Villa Anders“ , zeigen sich offen für Lesben, Schwule und Bi-/Transsexuelle.
„Wen man liebt“ ist nicht gleich „Wer man ist“
Aber wie sieht die Realität aus? Und wo finden sich Trans*-Menschen wieder in diesem weiten Feld? Ist die Öffnung für alle Gruppen aus dem LGBT-Spektrum eine positive Entwicklung oder bloß ein Feigenblatt? Fühlen sich Trans*-Menschen überhaupt der schwul-lesbischen oder queeren Community zugehörig? Oder fühlen sie sich durch solche Bestrebungen eher vereinnahmt?
„Vom Grundsatz her haben wir keine Berührungspunkte“, stellt Eva Casi*, Aktive im Selbsthilfeverein für Transidenten TXKöln, klipp und klar fest: „Schwul-lesbisch beschreibt, wen man liebt; Transidentität beschreibt, wer man ist.“ Doch als Minderheiten mit der Erfahrung des Coming-outs gebe es auch einiges Verbindende, betont sie: „Wir kennen zum Beispiel alle die Problematik, von der Gesellschaft schräg angesehen zu werden.“
Diese dünne Linie zwischen Gemeinsamkeit und Unterschieden ist möglicherweise die Quelle vieler Schwierigkeiten. Denn egal wie ehrlich und offen sich Projekte und Vereine um die Beteiligung aller Personen bemühen, die in irgendeiner Form Geschlechterrollen und -identitäten in Frage stellen, die Interessen sind und bleiben unterschiedlich.
Im Wohnprojekt „Villa anders“ in Köln leben laut Eigenbeschreibung „Lesben, Schwule, Bi-/Transsexuelle mit offenen Heterosexuellen unter einem Dach“. Doch momentan sind es nur Schwule und Lesben – nicht mangels Offenheit, sondern einfach „mangels Masse“, meint Eva Casi: „Teilweise müssen wir transidente Menschen uns an die eigene Nase fassen und uns mehr einbringen“, so ihre Diagnose. Die „Villa Anders“ freut sich mittlerweile über transidente InteressentInnen, die voraussichtlich demnächst einziehen können.
Selbstfindungsphase
In einer Selbstfindungsphase suchen transidente Menschen oft nach einer Gruppe, die ihnen helfen kann. Viele künftige heterosexuelle Transfrauen landen bei ihrer Suche nach sich selbst zunächst in der schwulen Szene – so nach dem Motto „Vielleicht bin ich ja nur schwul?“. „Schon am ersten Abend fühlte ich mich in dieser Szene angenommen“, berichtet beispielsweise Denise Cline in ihrem biografischen Buch „Telefonate mit Denise“ – sicherlich stellvertretend für viele Transfrauen.
Später, in ihrer neuen Rolle angekommen, brauchen sie die Gruppe oder die Schwulenszene nicht mehr. Die meisten wollen sich in der Öffentlichkeit nicht als Trans* zu erkennen geben, sondern möglichst unauffällig in ihrem Wunschgeschlecht leben: „Wenn Leute wissen, dass du transident bist, dann kippt die Stimmung. Sie suchen bei dir immer nach Spuren des alten Geschlechts“, erklärt Eva Casi. Deshalb seien diejenigen, die in die Öffentlichkeit gehen, oft nicht repräsentativ. „Die Öffentlichkeit soll erfahren, dass es uns gibt und welche Probleme wir haben“, so Casi. Wer aber keine Probleme im Hier und Jetzt hat, möchte in der Regel mit seinem früheren Ich möglichst nicht mehr konfrontiert werden.
Lesbische Transfrauen oder schwule Transmänner wiederum nähern sich oft erst später an die lesbische oder schwule Communityan an. So hat die vielfältig engagierte Eva Casi in Köln einen Lesbenstammtisch mitgegründet und bewegt sich sowohl in Trans*- als auch in Lesbenzusammenhängen. Allerdings haben lesbische Transfrauen in der Lesbenszene nicht nur positive Erlebnisse. Einige Lesben haben ein Problem mit Transfrauen in ihren Reihen und würden sie am liebsten ausschließen, und manche Transfrauen seien aufdringlich und würden sich in den Vordergrund schieben. „Unter Umständen fühlen sich Lesben bedroht, wenn ein ‚Ex-Mann‘ sich so verhält“, berichtet Casi.
In Schwulenprojekten wiederum könne es die Befürchtung geben, dass knappe Ressourcen mit immer mehr Gruppen geteilt werden müssen, so Arn Sauer von TrIQ (TransInterQueer), einem Berliner Verein zur Beratung und Information für trans- und intergeschlechtliche sowie queer lebende Menschen. Er hat auch beobachtet, dass Transmänner oft eine Verbundenheit zur Lesbenszene beibehalten. „Das Zugehörigkeitsgefühl wechselt, bleibt gleich oder kommt neu dazu“, erzählt er.
Das Zugehörigkeitsgefühl wechselt
Hinzu kommt, dass aktuell hierzulande für Trans*- und Inter*-Menschen „mehr im Argen liegt als für Schwule und Lesben“, erklärt Arn Sauer weiter. So steht eine Reform des Transsexuellengesetzes bereits länger im Raum, Inter*-Menschen kämpfen für die Abschaffung von Geschlechtseinträgen oder zumindest die Möglichkeit eines dritten Geschlechtseintrags bei der Geburt und vor allem gegen geschlechtszuweisende Eingriffe an Kindern und Jugendlichen im nicht zustimmungsfähigen Alter.
Für Arn Sauer ist es aber wichtig, diese Themen solidarisch als Community durchzukämpfen. Deshalb sieht er die Einbeziehung von Trans*- und Inter*-Menschen in verschiedene Gruppen und Vereine als positiv. „Nur müssen die Repräsentation und die Selbstbestimmung von Trans*- und Inter*-Menschen eingelöst werden“, betont er, damit das „T“ oder „I“ im Namen keine bloße Alibifunktion erfüllen.
Für ihn ist dies in erster Linie keine private, sondern eine politische Frage: „Schwule und Lesben sind unsere Verbündete und Partner_innen. Wir können auch andere Partner_innen haben, zum Beispiel Menschenrechtsorganisationen, Behindertenverbände, Migrant_innengruppen, Aktivist_innen aus der Antipsychiatriebewegung – unsere Anliegen überschneiden sich.“
Was die HIV- und Aidsprävention angeht, steckt die Zusammenarbeit noch ganz am Anfang. Spezielle Angebote der Aidshilfen gibt es noch nicht, aber immerhin erste Gespräche. So würde sich Arn Sauer freuen, wenn der deutsche Datensatz der europaweiten EMIS-Studie, der größten jemals unternommenen Erhebung zu Sexualität und Gesundheitsverhalten von schwulen und bisexuellen Männern, auch im Hinblick auf Trans*-Menschen analysiert würde. Eine solche Auswertung würde z. B. Erkenntnisse liefern über das Risikoverhalten und die HIV-Betroffenheit von Trans*-Menschen. Anhand dieser Ergebnisse sollte man dann Informationsmaterial speziell für Trans*-Menschen entwickeln, und zwar indem man ihre Expertise nutzt und nicht bloß „für sie“ arbeitet. „Das wäre auch Empowerment“, betont Arn Sauer. Bis dahin lässt sich nur analog zu Untersuchungen aus anderen Ländern annehmen, dass Trans*-Menschen von HIV und Aids im besonderen Maße betroffen sind, so wie sie übrigens auch in ihrer psychosozialen Gesundheit besonders gefährdet sind.
Zugehörigkeit zu einer Community ist offenbar veränderlich und fließend, ergibt sich aber auch nicht einfach von selbst. Damit „wir“ als große und starke Community nicht nur privat, sondern auch und vor allem politisch gemeinsam auftreten und Erfolge feiern können, sind von allen Seiten nicht nur Willensbekundungen, sondern auch Anstrengungen nötig.
*Name geändert
Bücher und Texte zum Thema:
Jana Henschel & Denise Cline: „Telefonate mit Denise. Eine Transsexuelle erzählt ihr Leben“, Berlin 2008
Arn Thorben Sauer: „HIV und Trans*: Kein Thema oder viele?“, HIV&more 2/2012
kollektiv sternchen & steine: „Begegnungen auf der Trans*Fläche – reflektiert 76 queere momente des transnormalen alltags“, Münster 2012
Weitere Beiträge im DAH-Blog zum Thema:
– Ankommen im Wunschgeschlecht
– Porträt des Trans*mannes Kay Garnellen
– Glossar zu Begriffen rund um Gender, Geschlechteridentitäten und Sexualitäten
– Neugeboren in Casablanca. Über den Dokumentarfilm „I Am A Woman Now“
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1 Kommentare
Xanthia 16. Mai 2013 16:54
„Wen man liebt“ ist nicht gleich „Wer man ist“
Genauso ist es, es geht hierbei bei Trans* Menschen doch noch ned mal grossartig darum das diese anerkannt werden, oder von der allgemeinen Menschheit akzeptiert.
Es geht grösstenteils ja auch darum wen man lieben darf und wer dich so nimmt wie du bist als Mensch und nicht als Trans* (wie auch immer)
Es geht auch um Sexualität, es geht um die Frage der Partnerschaft denn auch Trans* Menschen wollen geliebt werden, aber darüber machen sich wohl wenige nen Kopf, wenn Schwule und Lesben von Gleichgeschlechtlicher Liebe reden oder Partnerschaften dann ist gleich ne Unterstützung da, aber wer redet über das was Trans* wollen?
Die meisten heterosexuellen Menschen wollen mit Trans* keine Beziehungen eingehen, und wie siehts dann bei Schwulen aus, oder gar den Lesben die besonders da oft laut HIER schreien wenns um Akzeptanz geht?
Da isses doch noch viel schlimmer, als Transfrau M2F hast es ja besonders schwer, denn n Schwuler will dich ned als Partner, denn für den ist des n Greuel das dir den Pimmel abschneiden lassen willst, und bei den Lesben isses auch ned besser, weil die nur „Frauen“ lieben und bei denen bist ja keine Frau sondern n Kerl der auf Frau macht, und wenns klar ist das mal männlich warst hast eh ausgeschissen.
Ich find die Integrierungsversuche ja wunderschön, aber den Kern der Sache behandeln sie nicht, denn es ist wie von Euch beschrieben ~„Wen man liebt“ ist nicht gleich „Wer man ist“~ denn um wen zu lieben der offensichtlich anders ist, muss erstmal ein SEIN bestehen…
MfG
Xanthia