Erfahrungen aus erster Hand
Niemand bleibt gerne mit seinem Leid und seiner Wut allein. Sich mitzuteilen, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Wer schwere Schicksalsschläge ertragen oder Lebenskrisen durchgestanden hat, will diese Erfahrungen teilen, um sich dadurch selbst zu bestätigen oder andere in ihrer Krisenbewältigung zu unterstützen. Sich alles im wahrsten Sinne des Wortes von der Seele zu schreiben – Zeugnis abzulegen, die Gedanken zu sortieren und das Durchlittene, aber auch Erreichte für sich zu formulieren –, kann befreiend sein. „Mit der Niederschrift meiner persönlichen Erfahrungen findet die letzte Phase meiner eigenen Problemverarbeitung und Selbstfindung statt“, formuliert es beispielsweise Arnold Gredig, der seine psychischen, gesellschaftlichen wie auch gesundheitlichen Erfahrungen durch seine Erkrankung an Hämophilie, HIV und Hepatitis schreibend aufgearbeitet hat.
Und wer die Mühen des Schreibens auf sich genommen hat, wünscht sich meist nichts mehr, als sein Werk auch gedruckt und verbreitet zu sehen. Doch einen Verlag zu finden, der das eigene Werk für veröffentlichenswert hält, gestaltet sich bisweilen schwieriger als das Schreiben. Die Chancen, dass das eigene Manuskript zu eben jenen Ausgewählten gehört, denen Lektoren und Verlagsleiter zutrauen, die Investitionen für Satz, Druck, Werbung und Vertrieb durch den Abverkauf auch wieder einzubringen, sind zumindest rein rechnerisch eher schlecht. Von 100 eingereichten Manuskripten widerfährt vielleicht gerade einmal einem dieses Glück.
„Wie man mit HIV lebt, erfährt man am besten aus erster Hand“
Aber es gibt inzwischen auch andere Möglichkeiten der Veröffentlichung. Längst gibt es zahlreiche Unternehmen, die den Weg zum Selbstverlag oder zum eigenen Buch beinahe zum Kinderspiel machen, sofern man es sich finanziell leisten kann und mag. Arnold Gredig zum Beispiel veröffentlichte seine Lebenschronik „Leben mit 3 H“ im Projekte-Verlag. Das Leipziger Unternehmen richtet sich in seiner Selbstdarstellung ganz direkt auch an „Schreibende, die Betroffenheitsliteratur, Biografien und Lebenshilfe veröffentlichen wollen“.
Lebenshilfe zu bieten, war auch einer der Beweggründe für Matthias Gerschwitz, der sein Bändchen „Endlich mal was Positives“ bei Book on Demand veröffentlichte. „Wie man mit HIV lebt, erfährt man am besten aus erster Hand“, schreibt er in seinem Vorwort. Weil konsequent aus einer sehr persönlichen Warte geschrieben, kann er den Lesern auf anschauliche Weise grundsätzliche Informationen über HIV und Aids liefern. Zugleich will Matthias Gerschwitz mit seinem Erfahrungsbericht Zuversicht vermitteln. Sein Credo: Mit der Infektion lässt sich nicht nur leben, sondern sogar gut leben.
„Jahrzehnte, fast mein ganzes Leben, bin ich dem großen Glück, dem großen Geld, der großen Erfüllung hinterhergelaufen“
Ralf Jantzen geht noch ein ganzes Stück weiter. Auch er betrachtet seine Erkrankung als Herausforderung, der er sich stellen will, statt sich von ihr unterkriegen zu lassen. Für ihn aber ist Aids auch eine „Chance zur Selbstfindung“ und ein überdeutlicher Hinweis darauf, dass das Streben nach Karriere und Erfolg in seinem bisherigen Leben einen zu großen Stellenwert eingenommen habe. Jeder Mensch bekomme zur richtigen Zeit das, was er brauche, ist sich Jantzen sicher, und Aids sei die große Keule, mit der der Körper auf sich aufmerksam mache. „Jahrzehnte, fast mein ganzes Leben, bin ich dem großen Glück, dem großen Geld, der großen Erfüllung hinterhergelaufen“, schreibt er in „Der Teufel zahlt gut. Glück oder Krise?“ Doch statt Erfüllung beschert ihm das Leben nur Niederlagen.
In einem Schaubild hat Jantzen den Weg aus seiner Krise und damit seine neugewonnene Lebensordnung zusammengefasst. Begriffe wie „Wünsche“, „Lebensplan“, „Konflikte“, „Mut“ und „Selbstwertgefühl“ sind hier ein wenig wirr gruppiert und mit Pfeilen miteinander in Beziehung gesetzt. In fiktiven Gesprächen diskutiert Jantzen Themen wie Fremdgehen, Homosexualität und Glaube. Leser, die mit esoterischer Literatur und Lebenshilferatgebern nicht vertraut sind, lässt dieses Konglomerat etwas ratlos zurück.
Bei vielen auf eigene Faust veröffentlichten Büchern fehlt das Lektorat als unabhängige Kontrollinstanz
Selbst zu verlegen heißt nicht nur, auf eigenes Risiko, sondern auch unabhängig zu verlegen. Wo in herkömmlichen Verlagen gewöhnlich das Lektorat konzeptionelle oder literarische Schwächen aufspürt und korrigiert, fehlt bei vielen auf eigene Faust veröffentlichten Büchern diese unabhängige Kontrollinstanz. Nicht immer muss dies von Nachteil sein. Der unmittelbare und daher auch so authentische Tonfall, mit dem beispielsweise Horst Engel in „Sieg über Aids“ die Lebensgeschichte seiner thailändischen Frau erzählt, packt und verstört gleichermaßen in seiner Offenheit (derzeit nur als E-Book erhältlich, die Printausgabe folgt im Oktober).
Arnold Gredig wiederum hätte man gerne das eine oder andere für Leser weniger wichtige Detail herausgestrichen (so etwa die auf den Tag genaue Datierung einzelner Stationen in der Berufslaufbahn), um das Leserinteresse auf die Krankheitsgeschichte zu fokussieren: die Ängste, die aufgrund der Hämophilie seine Kindheit und Jugend ständig begleiten, wie auch der Zusammenbruch seiner bürgerlichen Existenz, nachdem bei ihm die durch Bluttransfusionen verursachten HIV- und Hepatitis-Infektionen diagnostiziert wurden. Gredig schildert dies alles nüchtern und sachlich. Sein Buch soll weder Klage noch Abrechung mit der Gesellschaft sein, sondern lediglich „ein über mehrere Jahrzehnte zusammengefasster Erfahrungsbericht über mein Leben als Bluter mit all seinen Folgen“.
„Es ist nicht mein Ziel, mit dieser Veröffentlichung in die Schriftstellergilde aufgenommen zu werden“
Doch er macht auch unumwunden deutlich, was ebenso für viele andere, gerade auch selbstverlegende Autoren gilt: Er hat das Buch vor allem für sich selbst und zur eigenen Problemverarbeitung geschrieben, und erst in zweiter Linie für einen möglichen Leser. „Mein Schreibstil und die Buchgestaltung mögen zu wünschen übrig lassen“, sagt Gredig. „Das ist mir egal. Es ist nicht mein Ziel, mit dieser Veröffentlichung in die Schriftstellergilde aufgenommen zu werden.“
Für Friedhelm Vogels Reisebericht „Aidshilfe abseits der Touristenpfade“ wiederum hätte man sich einen Lektor gewünscht, der ihn ermutigt, ausführlicher zu schreiben. Gerade mal 15 Textseiten umfasst das dünne Bändchen im Hochglanzdruck, bebildert mit stimmigen Porträtfotos, die beim Besuch eines privaten Aidsprojekts in Tansania entstanden sind. Vogels oft flapsig formulierte Notizen streifen die Küche des Landes genauso wie dessen Fernsehprogramm. Der naiv-interessierte Blick von außen auf das Projekt ist erfrischend, doch die Momentaufnahmen bleiben schon allein aufgrund ihrer Kürze oberflächlich. Nur angerissen werden beispielsweise die Bemühungen des deutschen Projektleiterpaares, durch ihr Engagement in den Augen der Einheimischen nicht wie Kolonialherren zu erscheinen.
Aber auch die besonderen Herausforderungen vor Ort – angefangen von der Medikamentenbeschaffung bis hin zu scheinbar banalen Problemen wie dem Kauf eines Gemeinschaftsfahrrads für Krankenbesuche – bleiben eher anekdotische Randbemerkungen. Gerne hätte man mehr gelesen über den Alltag mit den Kranken und den Umgang der Bevölkerung mit ihnen, aber auch über Heinz und Margit Langenbach, die das Projekt in Eigeninitiative gestartet haben und leiten. Vielleicht, wer weiß, war das kleine Bändchen für Friedhelm Vogel auch erst einmal eine erste Übung auf dem Weg zum nächsten selbstverlegten Buch.
Horst Engel: „Sieg über Aids“. Zykademedia Koblenz, 156 Seiten, 7,95 Euro (E-Book)
Matthias Gerschwitz: „Endlich mal was Positives. Offensiv & optimistisch: Mein Umgang mit HIV“. Books on Demand Norderstedt, 94 Seiten, 9,95 Euro
Arnold Gredig: „Mein Leben mit 3 H. Hämophilie – HIV – Hepatitis“. Projekte Verlag Halle, 135 Seiten, 14,50 Euro
Ralf Jantzen: „Der Teufel zahlt gut. Glück oder Krise?“. Ralf Jantzen Verlag Hillscheid, 116 Seiten, 9,80 Euro
Ralf Jantzen: „Zahltag“. Ralf Jantzen Verlag Hillscheid, 152 Seiten, 9,80 Euro
Friedhelm Vogel: „Aidshilfe abseits der Touristenpfade. Ein Besuch in Mbinga, Tansania“. Books on Demand Norderstedt, 30 Seiten, 11 Euro.
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