„Es ist doch jetzt eigentlich nichts anders als vorher“
Holger ist Geschäftsführer eines Fundraising-Unternehmens, das für gemeinnützige Organisationen Spenden sammelt. Der Botschafter des Welt-Aids-Tages zeigt sich auf seinem Plakat mit seiner Arbeitskollegin und guten Freundin Leonie. Sein Motto: „Ich habe HIV. Und die Solidarität meiner Angestellten.“ Mit ihm sprach Kriss Rudolph.
Holger, wie viele Leute arbeiten bei dir?
Mit den vielen Minijobbern sind es etwa 45 Leute, und alle wissen, dass ich HIV habe. Zuerst habe ich es den Mitarbeitern im Büro gesagt, mit denen ich hauptsächlich zu tun habe. Mit vielen bin ich ja auch befreundet. Wir unternehmen auch etwas in der Freizeit zusammen und feiern betriebliche Sommerfeste oder Weihnachtsfeiern. Nach der Diagnose war klar: Es geht mir zwar jetzt gut, aber es kann natürlich sein, dass ich irgendwann mal für ein paar Tage ausfalle. Ich wollte dann nicht lügen müssen und erzählen, ich hätte eine Grippe.
Es wissen aber jetzt ausnahmslos alle?
Als ich mich entschlossen habe, Botschafter für den Welt-Aids-Tag zu werden, wollte ich es auch den Telefonisten sagen – auch wenn es für deren Arbeit eigentlich gar keine Relevanz hat. Ich habe mich dann bei unserem Sommerfest geoutet. Das war schon sehr aufregend, das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wollte auch nicht zu oberlehrerhaft auftreten. Also habe ich gesagt: Ich bin in diesem Jahr einer der Botschafter des Welt-Aids-Tages. Das bedeutet, dass ich HIV-positiv bin. Ich nehme an, ihr wisst, wie sich HIV überträgt? Dann hab ich sie eingeladen, zu mir zu kommen, falls sie Fragen hätten.
„Für eine Sekunde waren sie ganz still, dann haben alle geklatscht“
Und wie lief’s?
Es war sehr schön – für eine Sekunde waren sie ganz still, dann haben alle geklatscht. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Einige kamen auch zu mir, erkundigten sich aber vor allem, wie es mir geht. Ich habe ganz viel Wertschätzung erfahren. Eine Mitarbeiterin sagte: Es ist doch jetzt eigentlich nichts anders als vorher, oder? Das fand ich toll.
Es gab also nur positive Reaktionen.
Ja. Ich war dann gespannt auf den weiteren Verlauf des Sommerfests – wir sind ja Selbstversorger, also jeder bringt etwas zum Essen mit. Und ich dachte mir, mal sehen, was sie machen – selbst wenn sie wissen, dass sich HIV nicht übers Essen überträgt. Aber das war kein Thema. Mein Salat ging genauso weg wie immer. (lacht)
Nun kann man vielleicht annehmen, dass Menschen in sozialen Berufen ohnehin toleranter sind. Hättest du es deinen Leuten auch erzählt, wenn du z. B. eine KFZ-Werkstatt leiten würdest oder Präsident eines Boxclubs wärst?
Ich glaube, ich hätte es in jeder anderen Branche auch getan. Man macht sich halt unangreifbar, wenn man offen ist. Auch was mein Schwulsein angeht: Irgendwann kommt es ja eh raus. Zumal ich ja jetzt gesehen habe, was für tolle Effekte es hatte. Ich finde, es kommt auch immer dem Betrieb zugute. Wenn man Wert auf Diversity legt und seinen Mitarbeitern Freiheiten lässt, wirkt sich das positiv auf die Produktivität aus. Bei uns arbeiten zum Beispiel auch Muslime und im Ramadan passen wir abends die Pausen so an, dass sie gleich nach Sonnenuntergang essen können. Einer wollte fünfmal am Tag beten – kein Problem für mich, solange das den Arbeitsablauf nicht stört.
Auch vom obersten Chef wie von den Kunden kamen tolle Reaktionen
Wie waren die Reaktionen der Organisationen, für die ihr arbeitet?
Ich habe ja noch einen Chef über mir – den hab ich aber nicht um Erlaubnis gefragt, sondern ihm schlicht gesagt, dass ich Botschafter werde – und das hat auch vollkommen gereicht. Mein Chef hat mich sofort unterstützt und gesagt: Ja, du musst das tun. Auch wenn er ein bisschen Bedenken hatte, weil unter unseren Organisationen auch kirchlich geprägte Einrichtungen sind. Wobei die aber auch mit meinem Schwulsein zurechtkommen. Letztendlich gab es von den Kundenorganisationen viele tolle Reaktionen, nach dem Motto: Super, dass du das machst! Sogar eine Organisation, mit der es in der Zusammenarbeit geholpert hat und für die wir nicht mehr arbeiten, meinte, du hast unseren tiefsten Respekt! Das war noch mal eine Bestärkung.
Und in deinem privaten Umfeld?
Meiner Familie und engen Freunden durfte ich es vorher schon verraten. Mein Bruder, der in Süddeutschland wohnt, rief auch direkt an, als er das erste Plakat sah. Es ist toll zu sehen, wo man überall hängt. Ein Freund hat mich neulich mal in Berlin rumgeführt und gezeigt, wo er mich schon entdeckt hat.
Seit wann weißt du, dass du HIV hast?
Seit ungefähr zehn Jahren. Ich habe nach der Diagnose acht Jahre ohne Medikamente gelebt, weil ich wissen wollte, was mein Immunsystem aushält. Dann hat aber irgendwann der Arzt gesagt, ich sollte mal mit der Therapie beginnen. Ich habe auch bislang wenige Nebenwirkungen – nur das Übliche: Verdauungsprobleme, Schlafstörungen. Aber das schränkt meine Arbeit nicht ein.
„Ich bin froh und glücklich, dass ich die Medikamente habe“
Unter welchen Umständen hast du es herausgefunden?
Ich hab mich immer regelmäßig testen lassen, einmal pro Jahr. Und irgendwann war ich positiv. Ich hatte ein paar Jahre vorher schon einmal die Situation, dass ich fest überzeugt war, dass ich HIV hätte. Ich musste damals noch zwei Wochen auf das Ergebnis warten – das war die Hölle. Das hatte ich also schon einmal durchgemacht. Deshalb, glaube ich, war ich dann bei der tatsächlichen Diagnose fast entspannt.
Hattest du damals schon Erfahrungen mit HIV und Aids?
Als ich mein Ergebnis bekam, war ich Ende 30. Ich habe Freunde sterben sehen, und auch ein Ex-Freund ist an Aids gestorben – den habe ich bis zum Tod begleitet. Ich bin froh und glücklich, dass ich die Medikamente habe. Ich weiß, was auf mich zukommen kann – dass sich Resistenzen bilden können. Aber ich bin nicht panisch. Ich passe nur genau auf, dass ich täglich meine Medizin nehme und sie nicht vergesse.
„Ich fand, es ist jetzt mal Zeit für die Arbeitgeberseite“
Wie läuft deine Therapie?
Ich war sofort unter der Nachweisgrenze und bin es noch – also bin ich nicht ansteckend. Als ich damals die Diagnose erhielt, wusste ich, dass es wirksame Therapien gab, aber da musste man noch feste Zeiten einhalten – das war insgesamt etwas aufwendiger. Heute reicht eine Pille am Tag. Deshalb wollte ich es zunächst ohne Medikamente probieren. Heute sagt man ja, man solle am besten sofort mit der Therapie beginnen, um möglichst lange ohne Beschwerden zu leben.
Wann kam es zu deiner Entscheidung, Botschafter zu werden?
Im Laufe dieses Jahres. Ich hab mir die bisherigen Plakate angeguckt, die bisherigen Akzente der Kampagne und fand, es ist jetzt mal Zeit für die Arbeitgeberseite. Außerdem arbeite ich im gemeinnützigen Sektor und war mir ziemlich sicher, dass mein Outing mir nicht schaden würde. Ich bin ja schon lange offen schwul und auch darüber hat sich noch nie jemand negativ geäußert. Also dachte ich mir: Wenn nicht ich, wer dann? Bislang habe ich ja auch nur Zuspruch erhalten.
„Offenheit ist dem Betriebsklima zuträglich“
Darum bist du nicht allein auf dem Plakat.
Das ist Leonie, eine gute Freundin und Arbeitskollegin. Wir waren schon befreundet, bevor wir zusammen gearbeitet haben. Meine Mitarbeiter wollten mich alle unterstützen; viele waren betroffen, weil ich ja mit denen befreundet bin. Leonie hat früher Partys veranstaltet und kannte auch viele Männer mit HIV, die mittlerweile gestorben sind. Daher war ihr die Unterstützung wichtig. Und wir haben eine gemeinsame Linie: Offenheit ist dem Betriebsklima zuträglich. Solidarität entsteht nicht von ungefähr, man muss immer aufs Neue für sie werben.
Wie ist das, wenn man Männer kennenlernt?
Bei der Diagnose war ich Single, und ich dachte sofort, das wird ja jetzt schwierig mit der Partnersuche. Da kann ich ja nur mit einem Mann zusammen sein, der auch positiv ist. Jetzt bin ich natürlich schlauer. Aber es passiert mir schon bei Verabredungen: Wenn ich sage, dass ich positiv bin, tun sich die Leute schwer. In der Schwulenszene gibt es noch viel Ausgrenzung.
Und du hoffst, du kannst das als Botschafter ändern.
Ja! Für viele ist es noch neu, wenn man ihnen sagt, dass man unter der Nachweisgrenze nicht ansteckend ist. Sie können dann ihren Kopf nicht ausschalten; es bleiben diffuse Ängste. Einige sagen sogar: Ich weiß, dass das doof ist, aber ich kann das nicht – auch wenn ein Kondom sie beim Sex ja ohnehin schützen würde.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen:
Website der Welt-Aids-Tags-Kampagne „Positiv zusammen leben!“
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