LEBENSORT VIELFALT

Gemeinsam leben im Alter

Von Axel Schock
Noch herrscht im Haus in der Niebuhrstraße 59/60 das übliche Chaos einer Großbaustelle. Doch bereits im kommenden Frühjahr sollen in diesen Altbau im Berliner Stadtteil Charlottenburg die ersten Mieterinnen und Mieter einziehen können: überwiegend ältere schwule Männer, aber auch Lesben und Heterosexuelle. „Lebensort Vielfalt“ heißt das Projekt der Berliner Schwulenberatung, das erste schwule Mehrgenerationenhaus in Europa.

Noch sind die Bauarbeiten nicht abgeschlossen: Der „Lebensort Vielfalt“ in Berlin. (Foto: Axel Schock)

„Und wo wird hier die Küche sein?“ Die Frage des Mannes mit dem grauen Lockenkopf ist nicht ganz unberechtigt. Wie ihm dürfte es wohl auch vielen der Hunderten Besuchern an diesem „Tag der offenen Baustelle“ ergehen, denen die Vorstellungskraft fehlt, um in den ersten neu errichteten Zwischenwänden bereits die fertigen Raumaufteilungen erkennen zu können. Wo heute noch Rigips-Platten und rohe Balken Türen und Wände immerhin erahnen lassen, werden im kommenden März bezugsfertige Wohnungen sein, da ist sich Marcel de Groot sicher.

Ein europaweit einmaliges Modellprojekt

Seit 2006 ist der Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin damit beschäftigt, dieses europaweit einmalige Wohnprojekt zu realisieren: Ein Haus, in dem ältere Schwule, die ansonsten häufig isoliert ihren Lebensabend verbringen, ein ideales  Zuhause finden sollen. Das als Mehrgenerationenhaus angelegte Projekt trägt deshalb auch den programmatischen Titel „Lebensort Vielfalt“.

Entstanden war die Idee bei einem Gesprächskreis für ältere Schwule . Die Vorstellung, in einem Altersheim zu enden, wo man „allein unter Heteros“ noch einmal gegen Vorurteile und Ressentiments ankämpfen muss, war für die meisten keine lockende Zukunftsperspektive. 43 Menschen werden hier in diesem Modellprojekt mitgestalten, wie eine andere Form des Lebens im Alter aussehen kann. An diesem Ort soll das Schwulsein die Normalität sein, kein Ort also für Diskriminierung oder Ausgrenzung und auch nicht für Vereinsamung. Das Gebäude, 1938 ursprünglich als Polizeistation errichtet und zuletzt als Kindertagesstätte genutzt, wird in 24 Wohnungen zwischen 33 und 80 Quadratmetern umgebaut. Der Großteil davon wird für ältere Schwule reserviert, es sollen aber auch ein fester Prozentsatz jüngerer Bewohner wie auch Frauen  hier ein neues Zuhause finden.

Kein Alten-Ghetto, sondern Kontakt zwischen den Generationen

„Es ist für uns wichtig, dass wir hier kein schwules Alten-Ghetto errichten, sondern dass eine bunte Mischung entsteht und der Kontakt zwischen den Generationen ermöglicht wird“, sagt Marcel de Groot. „Die Älteren haben junge Leute um sich, und die Jüngeren können von den Erfahrungen der Älteren lernen.“ Auch ein klassisches Altersheim ist hier nicht angestrebt. Ob in einer Ein- oder Drei-Zimmerwohnung oder in einer etwas luxuriöseren Maisonette-Wohnung mit Loggia unterm Dach –  die Bewohnerinnen und Bewohner haben die Möglichkeit zu einem selbstständigen, privaten Leben. Zugleich aber bietet das Haus ausreichend Möglichkeiten zum Kontakt.

Nicht nur der große gemeinschaftlich genutzte Garten wird ein solcher Ort der Begegnung werden, sondern auch das Café-Restaurant “Wilde Oscar“, das im Erdgeschoss, in der einstigen Polizeikantine, seinen Platz finden wird. Die Hälfte der Arbeitsplätze ist hier für Menschen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen vorgesehen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur schwer eine geeignete Beschäftigung finden. „Ein Café hat in der Straße bislang gefehlt, darauf freuen wir uns wirklich“, wirft eine Nachbarin beim Rundgang durch die fünf Etagen ein. Wenn das Konzept des „Lebensortes Vielfalt“ aufgeht, dann wird der Gastronomiebetrieb zu einer wichtigen Begegnungsstätte für Bewohner, Besucher und auch für die Nachbarn aus dem Kiez. Genutzt werden soll der geräumige Saal zudem auch für Kultur- und Tanzveranstaltungen, private Feste und Fortbildungen. „Wir wollen einen Ort der Begegnung schaffen, eine aktive Gemeinschaft vor allem, aber eben nicht nur für ältere Schwule. Auch der Kontakt mit der Nachbarschaft ist uns wichtig – eine Ghettoisierung wollen wir vermeiden“, sagt der 66-jährige Bernd Gaiser, der das Projekt mit angestoßen hat.

Menschen bei der Baustellenbesichtigung
Interessierte beim „Tag der offenen Baustelle“ inspizieren die künftigen Maisonette-Wohnungen. (Foto: Axel Schock)

In die erste Etage wird die Schwulenberatung als Mieter einziehen und dort künftig wesentlich die breitgefächerten Beratungs- und Betreuungsangebote  für schwule und bisexuelle Männer, Menschen mit HIV und Aids sowie transidente Menschen leisten. Dazu gehören unter anderem auch Suchttherapie, ein Besuchsdienst für ältere Männer, die Beratung bei HIV, Aids, psychischen Problemen, Coming-out und Partnerschaft. Bundesweit bislang einmalig wird die WG von schwulen mit alters- oder Aids-bedingter Demenzerkrankung sein. Acht Männer werden in der Wohngemeinschaft in der 2. Etage des „Lebensort Vielfalt“ leben und durch einen externen Pflegedienst rund um die Uhr betreut werden. Auch die Bewohner der anderen Wohnungen werden bei Bedarf jederzeit einen ambulanten Dienst in Anspruch nehmen können.

5,2 Millionen Euro kosten die Berliner Schwulenberatung der Kauf und Umbau des Hauses. Realisierbar wurde das Projekt letztlich nur durch einen 2,7 Millionen-Euro-Zuschuss der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. Für die Restsumme wurde ein Kredit aufgenommen. Die Bank wiederum erwarb sich damit auch ein Mitspracherecht bei der Mietpreisgestaltung. Um die 10 bis 11 Euro pro Quadratmeter Warmmiete werden nun wohl berechnet werden – keine unbedingt preiswerte, aber ortsübliche Miete. Immerhin: 7 der 24 Wohnungen werden auch für Sozialhilfeempfänger finanzierbar sein.

Mit einem schwulen Projekt wollten die meisten Stiftungen nicht zu tun haben

Dass Bürgermeister Klaus Wowereit im Stiftungsrat sitzt, war  sicherlich nicht zum Nachteil des Projektes. „Ohne die Klassenlotterie wäre das Ganze nicht zu realisieren gewesen“, gibt Marcel de Groot freimütig zu. „Wir haben es auch bei anderen Stiftungen versucht, aber die hatten uns alle abgesagt oder zwischen den Zeilen deutlich ihre Vorbehalte formuliert. Mit einem schwulen Projekt wollten die nichts zu tun haben.“ Das hätte noch einmal Jahre der Aufklärungsarbeit bedurft, um hier die Vorurteile aus dem Weg zu räumen.

Plakat auf der Baustelle, das die entstehenden Wohnungen anzeigt
24 Ein- bis Drei-Zimmer-Wohnungen sollen im „Lebensort Vielfalt“ entstehen. (Foto: Axel Schock)

Ein deutliches Zeichen, wie wichtig ein solches integratives Wohnprojekt auch in Zeiten eines schwulen Bürgermeisters und Außenministers noch ist. Dass der tatsächliche Bedarf größer ist, als ein einziges Haus wie der „Lebensort Vielfalt“ ihn je abdecken könnte, war den Initiatoren bewusst. Die Nachfrage nach den begrenzten Wohnplätzen hat die Schwulenberatung dennoch überrascht. Über 170 Bewerberinnen und Bewerber stehen derzeit auf der Warteliste. Längst hat die Bau- und Wohnungswirtschaft hier einen möglichen Markt gewittert. In der Schwulenberatung war man anfänglich noch erstaunt, als erste Interviewanfragen aus der Immobilienbranche zu dem Projekt kamen, die das zielgruppenspezifische Wohnen im Alter als Investmöglichkeit für sich entdeckt hat.

Die Initiatoren des „Lebensort Vielfalt“ wünschen sich allerdings eher reichlich Nachahmer aus den Zielgruppen selbst, die von den Berliner Erfahrungen profitieren könnten. Interesse zeigten, sehr zur Überraschung von Marcel de Groot, bisher aber weniger deutsche Schwulen- und Lesbeninitiativen, sondern umso mehr internationale Aktivisten von Moldawien über China bis Weißrussland  und Dänemark. „Für viele Interessenten gerade aus osteuropäischen Ländern ist es geradezu unvorstellbar, dass wir hier für ein derartiges Projekt tatsächlich öffentliche Unterstützung bekommen“, erzählt de Groot und erinnert bei solchen Gelegenheiten auch an den langen  Weg, der in Deutschland bewältigt werden musste. Und auch ein Ansporn sein kann, dass der gesellschaftliche wie  politische Kampf und die Mühen langfristig zu einer Veränderung führen können. Ganz sicher hätten sich die Polizisten, die in diesem Gebäude in den 1940er Jahren ihren Dienst schoben und vielleicht sogar aktiv zur Verfolgung Homosexueller eingesetzt waren, sich nicht träumen lassen, dass in ihrer Kantine eines Tages Schwule, Lesben und Heteros gemeinsam feiern und zusammenleben könnten.

1 Kommentare

christa grandmont 23. Dezember 2013 23:57

hallo ist es auch für mich als hetoro frau
mit 65 j eine generationen wohnung zubekommen
bin bescheiden hätte auch mal gern kontakt
zu euch
liebe grusse chrissy

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