„GEN-ETHIK“: Herausforderungen bei der Forschung mit Blut- und DNA-Proben

Von Steffen Taubert
Reagenzgläschen
Foto: Rolf van Melis/pixelio.de

„Haben Sie Lust, an einem Forschungsprojekt teilnehmen? Unter anderem soll untersucht werden, warum die HIV-Infektion bei einigen Menschen schneller und bei anderen langsamer verläuft“. So oder so ähnlich beginnen oft Gespräche zwischen Arzt und Patienten, wenn es um die Teilnahme an einem medizinischem Forschungsprojekt geht, in denen Blutproben genetisch analysiert werden sollen. Stimmt der Patient zu, entnimmt der Arzt Blut und schickt dies an die forschende Einrichtung. Eine schriftliche Patienteninformation erläutert den Studienzweck und benennt die Dauer des Projektes sowie die verantwortlichen Studienleiter.

Ob es um die Untersuchung von Phänomenen wie dem der „Long-Term Non-Progressors“ (Menschen, bei denen die HIV-Erkrankung auch ohne Therapie nur langsam voranschreitet) oder die Entwicklung von maßgeschneiderten HIV-Therapien geht: DNA- Analysen spielen in der Forschung eine immer größere Rolle. Doch so hilfreich sie zur Erforschung von Krankheiten sind, sie werfen auch ethische und rechtliche Fragen auf: In welchem Maße sollen Studienteilnehmer über die Bedeutung der Diagnose von Erbkrankheiten aufgeklärt werden? Könnten Arbeitgeber und Versicherungen Genanalyse-Ergebnisse zum Nachteil des Untersuchten benutzen? Wer ist Eigentümer von Patenten, die Unternehmen oder Universitäten durch einen möglicherweise einmaligen genetischen Code erwirken? Wie sicher sind genetische Daten vor unberechtigtem Zugriff?

Bei einem einzelnen Forschungsprojekt lassen sich diese Fragen vielleicht noch im Vorfeld einer Studie im Arzt-Patientengespräch klären. Doch wie verhält es sich mit Biomaterialbanken?

Biomaterialbanken werfen ethische und rechtliche Fragen auf

In Biomaterialbanken werden Blut, Gewebe aus Lymphknoten oder andere Biomaterialien gesammelt und stehen dann auf Jahre für die unterschiedlichsten Forschungsprojekte zur Verfügung. Eine dieser Biobanken ist die des Kompetenznetzes HIV/AIDS. Sie bietet derzeit über 56.000 Blut- und 16.000 DNA-Proben und weitere „Biomaterialien“, die systematisch gesammelt wurden.

Auch bei solchen Biobankenprojekten erhalten die Patient(inn)en eine Patienteninformation, jedoch kann die Beschreibung des Forschungsprojekts nur recht vage erfolgen, denn zukünftige Forschungsideen lassen sich nur ansatzweise voraussagen. Nach den geltenden ethischen Richtlinien müssen Studienteilnehmer jedoch die Möglichkeit haben, genau zu verstehen, an was für einem Forschungsprojekt sie teilnehmen.

Das Kompetenznetz HIV/AIDS versucht diese Schwierigkeit zu lösen, indem es seine Studienteilnehmer regelmäßig per Newsletter und Website informiert. Zudem könne die Patienten jederzeit aus dem Projekt ausstiegen. Doch reichen diese Regelungen aus?

Gendiagnostikgesetz gilt nicht für Forschungsprojekte

Zu klären gilt: Wie können Patient(inn)en einen Überblick erhalten, was mit ihren Blut bzw. ihrer DNA passiert? Und wie können die genetischen Daten vor unberechtigtem Zugriff geschützt werden? Einige der oben aufgeworfenen Fragen klärt das Anfang 2010 in Kraft getretene Gendiagnostikgesetz, allerdings nur für den medizinischen Bereich. Das Gesetz legt fest, dass Untersuchungen grundsätzlich nur mit Einwilligung der zu untersuchenden Person und ausschließlich von Ärzten vorgenommen werden dürfen. Erlauben die Untersuchungen eine Voraussage über die gesundheitliche Entwicklung, ist eine Beratung vor der Untersuchung zwingend vorgeschrieben. Ferner regelt das Gendiagnostikgesetz, dass Arbeitgeber Ergebnisse genetischer Untersuchungen weder erfragen noch verwenden dürfen und dass Versicherungsunternehmen gendiagnostische Daten nur bei höheren Abschlusssummen erfragen dürfen.

Die ärztliche Schweigepflicht sollte auch für die klinische Forschung gelten

Hat das Gendiagnostikgesetz im medizinischen Bereich etwas mehr Rechtssicherheit gebracht, so gelten für Forschungsbiobanken in Deutschland bislang allerdings weiterhin nur allgemeine rechtliche Vorschriften. Diese Regelungen hält auch der Deutsche Ethikrat für ungenügend – und hat daher in einer Stellungnahme Vorschläge gemacht, um dem abzuhelfen. So fordert er etwa die Etablierung eines Biobankgeheimnisses: Die ärztliche Schweigepflicht solle auch für Forschungsdaten gelten, das ärztliche Zeugnisverweigerungsrecht auf die Mitarbeiter von Biobanken ausgeweitet und die Beschlagnahmung von Biomaterial verboten werden. Außerdem fordert der Ethikrat, dass Biobanken transparent aufgebaut sein müssen. Biobanken sollten zudem regelmäßig über ihre Forschungstätigkeiten berichten. Patienten müssten bestimmte Formen der Forschung mit ihrem Biomaterial ausschließen können und jederzeit ein Recht auf Widerruf besitzen. Proben müssten vor missbräuchlicher Verwendung technisch optimal geschützt sein, und wenn personenbezogene Daten mit Biomaterial verknüpft werden sollen, müssten Ethikkommissionen einbezogen werden. Mit diesen und weiteren Regelungen will der Deutsche Ethikrat langfristig auch zu international verbindlichen Schutzstandards beitragen.

Folgen der Stellungnahme

Ein von der Deutschen AIDS Hilfe in Auftrag gegebenes Gutachten zur Beschlagnahmesicherheit von Patientenakten aus dem Jahr 2009 hat gezeigt, dass selbst die ärztliche Schweigepflicht keinen vollkommenen Schutz vor Beschlagnahme bietet (wir berichteten). Gleichwohl ist sie derzeit noch immer das juristisch stärkste Instrument. Dass dieser Schutz nicht für Daten und Biomaterial aus Forschungsprojekten gilt, ist ein unhaltbarer Zustand.

Verbindliche Gesetze zum Schutz der Daten und Rechte von Patienten werden immer dringender

In diesem Sinne sind die Forderungen des Ethikrates zu unterstützen. Die Stellungnahme des Ethikrates ist rechtlich jedoch nicht bindend. Wenn sich niemand für die Umsetzung der Forderungen einsetzt, bleibt der Rat ein zahnloser Tiger – wie sein Vorgänger, der „Nationale Ethikrat“: Schon 2004 forderte er die Einrichtung eines Forschungsgeheimnisses, passiert ist bis heute nichts. Dabei werden verbindliche Gesetze zum Schutz der Daten und der Rechte von Patienten immer dringender, denn die Biomaterialforschung wird zum einen immer internationaler, und zum anderen drängen die Konzerne auf die kommerzielle Nutzung genetischer Informationen. Sich da auf die Pseudonymisierung oder Anonymisierung von Daten zu verlassen, reicht nicht aus, denn Datensätze mit hoher Datendichte sind auch ohne Namen mit einem gewissen Maß an technischem Aufwand zu entschlüsseln. Es bleibt daher zu fordern, dass sich die Politik der offenen Fragen endlich annimmt und einen Rahmen schafft, der Forschungsfreiheit und berechtigte Schutzinteressen von Patienten in Einklang bringt.

Steffen Taubert


Quellen

Deutscher Ethikkrat. 2010. Humanbiobanken für die Forschung. Stellungnahme. http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-humanbiobanken-fuer-die-forschung.pdf

Nationaler Ethikrat. 2004. Biobanken für die Forschung, Stellungnahme. http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/NER_Stellungnahme_Biobanken.pdf

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