In ihrem Rechtsstreit gegen die Regierung haben zwei HIV-positive Piloten der US Air Force einen wichtigen Erfolg errungen: Ein Bundesberufungsgericht bestätigte die einstweilige Verfügung eines Bezirksgerichts gegen ihre Entlassung, weil diese sich nicht an den wissenschaftlichen Fakten orientiere.

Die beiden Piloten mit den Pseudonymen Richard Roe und Victor Voe wurden 2017 mit HIV diagnostiziert und befinden sich seither in einer erfolgreichen antiretroviralen Therapie. Das heißt, HIV kann in ihrem Blut mit den gängigen Verfahren nicht mehr nachgewiesen werden.

Sie wurden von ihren Ärzt_innen als einsatzfähig eingestuft, Vorgesetzte und Kolleg_innen sprachen sich dafür aus, sie im Dienst zu belassen.

Die Air Force wollte insgesamt sechs Pilot_innen mit HIV entlassen

Zwei Gremien der Luftwaffe (Informal und Formal Physical Evaluation Board) empfahlen hingegen ihre Entlassung. Die Piloten seien ohne Ausnahmegenehmigung nicht weltweit einsetzbar und könnten laut Entsenderichtlinien des CENTCOM (United States Central Command) nicht in den Mittleren Osten, nach Zentralasien und Nordafrika entsandt werden, wo 80 Prozent aller Einsätze der Luftwaffe stattfinden (unter anderem deshalb, weil in einigen Staaten der Region Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Menschen mit HIV gelten).

Bundesbehörden und -organe müssen rational und nachvollziehbar handeln

Die Air Force entschied daher, Roe zum 28. März 2019 und Voe zum 25. Februar 2019 zu entlassen. Auch vier weitere HIV-positive Luftwaffenangehörige sollten den Dienst quittieren.

Roe und Voe erhoben im Dezember 2018 vor dem zuständigen Bezirksgericht Klage gegen ihre Entlassung und beantragten eine einstweilige Verfügung, um die Entlassung auszusetzen.

Die Entlassung und die Regelungen der Air Force zur Einsetzbarkeit von Pilot_innen mit HIV verstoßen in ihren Augen gegen den Administrative Procedure Act, der ein rationales und nachvollziehbares Verwaltungshandeln der Bundesbehörden und -organe vorschreibt, und verletzt ihre verfassungsmäßigen Rechte.

Das Bezirksgericht ließ die Klage zu und erließ die beantragte einstweilige Verfügung, sodass beide vorerst nicht entlassen werden konnten.

Berufungsgericht räumt Klage der Piloten gute Chancen ein

Das von Regierung und Air Force angerufene Bundesberufungsgericht hat nun nach sorgfältiger Prüfung die Einschätzung des Bezirksgerichts bestätigt: Es sei wahrscheinlich, dass die Entlassung von Roe und Voe selbst und/oder die Entsenderichtlinien gegen den Administrative Procedure Act verstoßen, weil relevante Fakten nicht berücksichtigt und die Entscheidung nicht zufriedenstellend begründet worden sei.

Die Luftwaffe habe keine individuelle Untersuchung auf Diensttauglichkeit vorgenommen, sondern die Piloten pauschal für dienstuntauglich erklärt – mit Verweis darauf, dass eine Ausnahmegenehmigung für den Einsatz im CENTCOM-Gebiet unwahrscheinlich sei, weil bisher keine solche Ausnahmegenehmigung erteilt worden sei.

Aber auch die Entsenderichtlinie für das CENTCOM-Gebiet selbst verstoße möglicherweise ebenfalls gegen den Administrative Procedure Act, so das Berufungsgericht. Sie entspreche nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Stand und sei deshalb willkürlich. Der Verweis der Richtlinie auf Vereinbarungen mit Stationierungsländern und deren Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für Menschen mit HIV sei ebenfalls ungenügend, weil nicht zufriedenstellend dargelegt werde, inwiefern und inwieweit dies die Stationierung HIV-positiver Soldat_innen betreffe.

Die HIV-Therapie ist heute Routine, eine Übertragung in Kampfsituationen hat es bisher nicht gegeben

Die US-Regierung hatte weiter argumentiert, die HIV-Behandlung sei hoch spezialisiert und erfordere konstante Therapietreue, damit HIV sich nicht wieder vermehrt, unter schwierigen Bedingungen könne die regelmäßige Tabletteneinnahme aber unterbrochen werden. Außerdem könnten Soldat_innen bei Kampfhandlungen mit HIV-haltigem Blut in Kontakt kommen oder Bluttransfusionen benötigen.

„Menschen mit HIV können den Dienst als Soldat_in oder Pilot_in genauso gut und sicher ausüben wie alle anderen“

Diese Argumente sah das Berufungsgericht als nichtig an. Die HIV-Therapie sei heute eine Routinebehandlung, etwa drei Viertel aller Infizierten müssten täglich nur eine Tablette einnehmen. Die Tabletten seien nebenwirkungsarm, gut transportierbar und blieben auch unter extremen Bedingungen wirksam. Bei erfolgreicher Therapie reichten halbjährliche Untersuchungen aus, und selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Therapieunterbrechung seien nicht sofort negative Folgen für die Gesundheit zu befürchten.

Auch das von der Regierung angeführte Risiko durch HIV-haltiges Blut verneint das Gericht: Militärangehörige mit HIV dürften kein Blut spenden, und unter den über einer Million in Afghanistan und dem Irak eingesetzten Soldat_innen habe es in sechs Jahren keine einzige HIV-Übertragung auf diesem Weg gegeben.

Der Staat darf nicht willkürlich handeln

Die Entsenderichtlinie berücksichtige also nicht den bereits bei ihrem Inkrafttreten gültigen Wissensstand, der gar nicht erhoben worden sei, und sei daher willkürlich. Der Staat müsse aber im Rahmen der Gesetze und dürfe nicht willkürlich handeln.

Kläger Victor Voe zeigte sich nach der Entscheidung erleichtert, weiterhin in der Air Force dienen zu können. Niemand solle wegen HIV entlassen oder diskriminiert werden, solange die Infektion seine Diensttauglichkeit nicht beeinträchtige, sagte er.

Scott Schoettes von der Organisation Lambda Legal, die Roe und Voe bei ihrer Klage unterstützt, sagte: „Dieses Urteil macht den Weg frei, um ein vor allemal vor Gericht zu beweisen, dass Menschen mit HIV den Dienst als Soldat_in oder Pilot_in genauso gut und sicher ausüben kann wie alle anderen.“

Rechtlicher Hintergrund

Die amerikanischen Streitkräfte stellen keine Menschen mit diagnostizierter HIV-Infektion ein. Soldat_innen, die sich während ihrer Militärzeit mit HIV infizieren, werden nicht zu Offizier_innen befördert.

Allein wegen ihrer HIV-Infektion dürfen Angehörige der Streitkräfte aber nicht entlassen werden – nach einer Diagnose bekommen Menschen mit HIV eine HIV-Behandlung und sollen wie auch Menschen mit anderen chronischen Krankheiten laut Department of Defense Instruction 6485.01 medizinisch auf Dienstfähigkeit untersucht werden.

Auch in der Air Force gilt, dass der HIV-positive Status allein kein Grund für eine Entlassung ist – Menschen mit HIV können weiterarbeiten, solange sie eine akzeptable Leistungsfähigkeit aufweisen und keine Sicherheits- oder Gesundheitsgefahr für sich selbst oder andere darstellen (Air Force Instruction 44-178).

Ob eine Dienstunfähigkeit vorliegt, wird nach dem Disability Evaluation System beurteilt (Department of Defense Instruction 1332.18) – als dienstuntauglich gelten Militärangehörige, wenn sie aufgrund ihrer Einschränkung ihre Pflichten nicht erfüllen können. Ein solches Urteil erfordert die Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen – dazu gehört unter anderem, ob die untersuchte Person überall eingesetzt werden kann.

HIV-Positive mit fortschreitender klinischer Erkrankung oder Immunschwäche können laut Department of Defense Instruction 6490.07 nicht überall eingesetzt werden, es sei denn, sie bekommen eine Ausnahmegenehmigung. Für HIV-Positive ohne fortschreitende Erkrankung oder Immunschwäche sieht diese Anweisung keine Einsatzbeschränkungen vor.

Laut Air-Force-Regelungen können HIV-positive Mitglieder nur in den USA eingesetzt werden. 80 Prozent aller Einsätze finden aber im CENTCOM-Gebiet statt, das heißt in Nordafrika, Zentralasien und dem Mittleren Osten. In einer CENTCOM-Regelung (Modification 13) heißt es, eine bestätigte HIV-Infektion disqualifiziere für einen Einsatz in diesem Gebiet („is disqualifying for deployment“); verwiesen wird dabei auf Vereinbarungen mit einigen Staaten in der Region, in denen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Menschen mit HIV gelten.

Zugleich sind laut Air-Force-Regeln Ausnahmegenehmigungen möglich, die aber nach individueller Prüfung vom CENTCOM und nicht von der Air Force erteilt werden müssten, was bisher nie geschah.

Quellen und weitere Informationen (in englischer Sprache)

Entscheidung des Berufungsgerichts vom 10. Januar mit ausführlicher Begründung

Erklärung von Lambda Legal vom 10. Januar 2020

Übersichtsseite zum Prozess

„The Pentagon Tried to Discharge Me for Being HIV+. Today I Fight Back“ (Beitrag von Richard Roe auf advocate.com vom 18. September 2019)

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Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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