HIV und Arbeit

„HIV muss endlich aus der Tabu-Ecke geholt werden!“

Von Gastbeitrag
Der Niederländer Martijn Aberson (29) ist Krankenpfleger in der Psychiatrie und hat sich unlängst am Arbeitsplatz als HIV-Positiver geoutet.

(Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeous. Herzlichen Dank an Herausgeber Leo Schenk, Autor Marcel Verhagen und Fotograf Henri Blommers für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)

Im Dezember 2009 erfuhr Martijn, dass er HIV-positiv ist. Das hat ihm anfangs sehr zu schaffen gemacht. „Ich wurde von jemandem angesteckt, der wusste, dass er das Virus hat, mir jedoch sagte, dass er es nicht hat. Ein paar Monate später sagte man mir, ich sollte mich vielleicht einmal testen lassen. Da zeigte sich dann, dass meine Befürchtungen richtig waren.

Anfangs war ich unglaublich sauer, und ich hatte lange Zeit Wut auf den Jungen. Ich fühlte mich mies, empfand mich als Zeitbombe, mir war absolut nicht wohl in meiner Haut. Das hat zwei Jahre gedauert. Irgendwann habe ich erkannt, dass ich mit diesen Gefühlen keinen Schritt weiterkomme.“

„Ich habe mich zu spät an Medikamente gewagt“

Vor seiner Diagnose hatte Martijn fast niemanden mit HIV gekannt, sodass er das Ganze so gut wie allein verarbeiten musste. Anfangs wussten es nur seine besten Freunde. Schließlich hat er es auch seiner Familie erzählt. „Ich habe mich zu spät an Medikamente gewagt. Als ich endlich damit anfing, wurde ich kurz darauf mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert.

Auf Anraten der Schwester eines Freundes habe ich es auch meinen Eltern erzählt.“ Heute, sieben Jahre später, arbeitet Martijn als Pflegeschüler in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung und begleitet Patienten mit Erkrankungen wie Schizophrenie, Zwangsstörungen oder schweren Depressionen.“

Unlängst fand Martjin, dass es höchste Zeit war, auch seine Kollegen über seinen HIV-Status zu informieren. „Letztes Jahr stand ich bei der Gay-Pride-Parade in Amsterdam auf dem Boot von Poz&Proud. Von der Fahrt, bei der auch Kollegen dabei waren, hab ich dann Fotos bei Facebook eingestellt – vor allem, um zu zeigen, dass ich mich nicht mehr schäme.

„Ich wollte zeigen, dass ich mich nicht mehr schäme“

Wäre es zu Fragen gekommen, hätte ich sie ehrlich beantwortet. Auf vielen Bildern war deutlich zu sehen, dass es sich um ein Boot der HIV-Organisation handelte. Ich hatte auch ein Schild mit der Aufschrift „Von mir bekommt ihr nichts“ in der Hand. Doch in der darauf folgenden Woche stellte keiner der Kollegen Fragen. Sie fanden es allenfalls gut, dass ich da mitgefahren bin.

Weil dieser subtile Weg nichts bewirkte, entscheid sich Martijn, seine Arbeitskollegen direkt und ganz praktisch in Kenntnis zu setzen. „Eine meiner Aufgaben während der Ausbildung bestand darin, Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich wollte vor allem über ein Thema reden, bei dem ich mich auskannte.“

Martijn zufolge ist der Kenntnisstand vieler Pfleger in Sachen HIV erschreckend niedrig. „Ich stellte meinen Kollegen verschiedene Fragen zu HIV. Keine einzige davon konnten alle beantworten, das war schockierend! Einer glaubte sogar, HIV sei nicht behandelbar, und schließlich würde man an Aids sterben.“

Erschreckend niedriger Kenntnisstand im Kollegium

Nur zwei von neun Kollegen kannten die PEP [Anm.d.Red.: Post-Expositions-Prophylaxe“; eine Notfallmaßnahme, bei der nach einer vermuteten HIV-Übertragung vorsorglich HIV-Medikamente verabreicht werden, um eine Ansteckung zu verhindern]. „Wir arbeiten oft mit Patienten zusammen, die regelmäßig ungeschützten Sex haben. An eine PEP wird da erst gar nicht gedacht. Mehr als ein Geschlechtskrankheiten-Test beim Hausarzt ist nicht drin. Immerhin hat man die Vorschriften zum Umgang mit Spritzen angepasst für den Fall, dass Patienten mit HIV aufgenommen werden, die noch keine Medikamente nehmen.

In der Schule stand meine Krankheit im Raum, und man fragte mich, ob ich über das Thema aufklären möchte. In meiner Ausbildung hab ich gelernt, wie man Spritzen setzt, Blut abnimmt und Infusionen wechselt, aber HIV wurde nie besprochen, höchstens mal bei chronischen Krankheiten.“

Die Reaktionen seiner Kollegen waren eher verhalten, und nach der Aufklärung ist auch niemand auf ihn zugegangen. Das Ganze wurde als Tatsache behandelt. „Einerseits ist es natürlich gut, dass die Sache nicht breitgetreten wird. Andererseits hoffte und erwartete ich auch, dass mehr gefragt oder mehr Engagement gezeigt wird. Von meinen Kollegen kam aber nur, sie hätten es gut gefunden, dass ich es erzählt habe.“

„Die Angst, den Job zu verlieren, sollte kein Grund sein, es für sich zu behalten“

Um HIV zu enttabuisieren, findet Martijn es wichtig, dass über HIV öfter gesprochen wird. Er weiß von mehreren seiner Kollegen, dass sie ebenfalls HIV-positiv sind, am Arbeitsplatz aber nicht offen damit umgehen.

„Natürlich muss jeder selbst wissen, ob er seinen HIV-Status im Job bekanntgibt, und jeder muss für sich herausfinden, was sich am besten anfühlt. Die Angst, seinen Job zu verlieren, sollte aber kein Grund sein, es für sich zu behalten, denn wegen HIV kann man nicht entlassen werden. Wenn ich allein auf die Toilette gehe, um meine Medikamente einzunehmen, trage ich selbst dazu bei, dass das Tabu und das Stigma bestehen bleiben.

Vor allem in der Versorgung können Offenheit und gute Aufklärung für Patienten und Kollegen große Vorteile bringen. HIV muss endlich aus der Tabu-Ecke geholt werden, nicht nur im Privatleben und am Arbeitsplatz, sondern auch beispielsweise im Fernsehen. Ich hoffe, dass sich noch mehr Menschen trauen, im Fernsehen offen mit der Krankheit umzugehen. Meinetwegen so, wie René Klijn, nur dann in der guten, der 2.0-Version.“

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