„Ich bin der Mann, bei dem Josh sich mit HIV angesteckt hat“
Übersetzung: Holger Sweers
Vorbemerkung von Josh Robbins: Es hat ein Jahr gedauert, bis ich diesen Beitrag veröffentlichen konnte. Der Mann, der mich am 18. Dezember 2011 unwissentlich und ungewollt einem HIV-Risiko ausgesetzt hat, spricht darin über seine Gedanken und Gefühle. Das habe ich ihm nicht leichtfertig angeboten, und er hat nicht leichtfertig angenommen – der Schutz der Privatsphäre dieses feinen Kerls und seiner Würde ist mir extrem wichtig. Fast ein Jahr nach meiner HIV-Diagnose bin ich aber überzeugt, dass seine Perspektive ein wichtiger Teil des Gesamtbildes ist und dass wir alle etwas daraus lernen können, wie jemand damit umgeht, dass sich ein anderer bei ihm mit HIV infiziert hat. Klarstellen möchte ich, dass ich weder ihm noch mir eine „Schuld“ geben will.
Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es um etwas Unangenehmes ging
Es war der 24. Januar 2012. Gegen Mittag klingelte mein Telefon. Auf dem Display stand Josh Robbins. Nun stell dir das Gefühl vor, wenn du mit 130 km/h auf der Landstraße fährst und gerade an einem Blitzer vorbeigekommen bist. Irgendwie glaubte ich nicht, dass Josh fünf Wochen nach unserem Date Lust auf eine zweite Runde hatte. Mein Bauchgefühl sagte mir stattdessen, dass es um etwas Unangenehmes ging. Ich nahm nicht ab und ließ ihn auf Band sprechen. Seine Worte waren wohlüberlegt, aber eindringlich. Ich hielt an und rauchte erst einmal eine Zigarette, bevor ich zurückrief.
Unser Gespräch war fast zu herzlich, um wahr zu sein. Josh erzählte mir, dass er positiv auf HIV getestet worden war und dass ich mich auch testen lassen sollte. Er meinte, dass er sich eigentlich bei niemandem sonst angesteckt haben könne und dass er mir keinerlei Vorwürfe mache, falls sich das bestätigen sollte. Wie ich reagiert habe? Wahrscheinlich so, als hätte meine Mutter am Samstagmorgen um sieben Uhr angerufen und mir gesagt, ich solle unbedingt zum Zahnarzt gehen: „Na klar gehe ich. Wir hören uns.“
Die nächsten 29 Stunden gab ich vor, dass alles ganz normal weiterging, während ich in Wirklichkeit jeden Moment und jeden Aspekt meines bisherigen Lebens genau unter die Lupe nahm. Ich weiß nicht mehr, ob ich mir vorzustellen versuchte, was sich alles ändern würde, falls ich auch HIV-positiv war, oder ob ich (unbewusst) die Wahrheit schon kannte und einfach nur versuchte, die letzten Stunden eines sorgenfreien Lebens zu retten.
Als ich dann schließlich zum Test bei Nashville CARES ging, hatte ich mich mit beiden möglichen Ergebnissen auseinandergesetzt, mit der guten wie der schlechten Nachricht. Ich war also auf ein positives Testergebnis vorbereitet, und als ich es dann tatsächlich bekam, war ich eher erleichtert als erschüttert, ob man’s glaubt oder nicht. Ich konnte nach vorne schauen. Aktiv werden. Ich steckte nicht mehr zwischen Wissen und Nichtwissen fest. Versteht mich nicht falsch, die Diagnose war keine schöne Nachricht. Aber ich wusste, dass es mir trotzdem gut gehen würde.
Am nächsten Abend saß ich Josh an seinem Küchentisch gegenüber. Wir sprachen über die Nacht, die wir miteinander verbracht hatten, darüber, ob und wie HIV sich unserer Meinung nach auf unser Leben auswirken würde, über das positive Coming-out gegenüber den Freunden, der Familie, zukünftigen Partnern. Ich musste daran denken, dass es nur ein paar Schritte bis zu seinem Schlafzimmer waren, ich dachte an jene Nacht, an das Kondom, das ein bisschen zu eng war – der „Tatort“ war so nah …
Nun könnte man sich ausmalen, dass ich auf die Knie fiel, Josh um Vergebung bat und ihm ewige Leibeigenschaft als Wiedergutmachung für meine Missetaten anbot. Aber Josh wollte von einer Entschuldigung überhaupt nichts wissen. Obwohl ich eigentlich ihn hätte trösten müssen, war er es, der mich wieder aufrichtete und mir Mut zusprach.
Sag ich es oder lieber nicht? Und wenn ja, wem?
Anders als Josh entschied ich mich aber dagegen, allen gegenüber offen mit meinem HIV-positiven Status umzugehen. Obwohl mich meine Eltern immer zu 100 Prozent unterstützt hatten und ich sicher war, dass sie das auch weiterhin tun würden, hatte ich Angst, dass sie sich zu viele Gedanken um mein Wohlergehen machen würden. Ich habe es ihnen bis heute nicht erzählt. Ähnlich ist es im Job: Ich arbeite in einer superheterosexuellen und supermännlichen Branche. Da ist es schon schwer genug, offen als Schwuler zu leben, und so hielt ich es für das Beste, auch dort Stillschweigen zu bewahren.
Leider ging es bei mir aber nicht nur darum, „es“ den Leuten zu sagen. Einige Menschen hatten ein Recht darauf, es zu erfahren, weil sie sich auch testen lassen mussten – das war das Allerschwierigste bei meinem Übergang ins „positive Leben“.
Ein Mann, mit dem ich unmittelbar vorher eine Affäre gehabt hatte, machte sich riesige Sorgen, obwohl wir Safer Sex gemacht hatten. Er fuhr sofort in die Notaufnahme und ließ sich eine HIV-PEP verschreiben, eine Post-Expositions-Prophylaxe. Er ist HIV-negativ.
Als ich es meinem Freund sagte, hielt er still meine Hand, strich mir über den Daumen und sagte, dass alles in Ordnung wäre. Leider musste ich ihn an eine Nacht ein paar Monate zuvor erinnern, als wir beide betrunken waren … Glücklicherweise ist auch mein Freund HIV-negativ.
Ein Typ von außerhalb der Stadt brach am Telefon zusammen, als ich ihm von meiner positiven Diagnose erzählte. Als er dann selbst auch positiv getestet wurde, habe ich eine Organisation zur Suizid-Prävention in seinem Heimatort zu kontaktieren versucht. Seine ganze Welt war zusammengebrochen, nicht zuletzt, weil er seinen Freund – mittlerweile sein Ex – mit mir betrogen hatte, der sich aber glücklicherweise nicht angesteckt hat. Inzwischen geht es ihm auch wieder besser.
Ich habe dann schließlich nur meine Schwester und meine engsten Freunde über meine HIV-Infektion informiert – und alle Männer, mit denen ich Sex hatte oder haben wollte. In diesem Zusammenhang mein Tipp für frisch Diagnostizierte: Nicht zu lange warten, bis man damit „rumkommt“, das mögen die Männer nämlich gar nicht.
Im Augenblick reicht mir dieses Level an Offenheit völlig aus. Auch als Ungeouteter habe ich ja genug Möglichkeiten, Leute zu unterstützen, die sich testen lassen wollen oder gerade ihr positives Testergebnis bekommen haben. Mehr als einmal habe ich schon bei Nashville CARES gesessen und jemandem in den nervenzerreibenden 30 Minuten die Hand gehalten, bis er das Ergebnis seines Schnelltests bekam. Ich bin froh, dort sein zu können, unabhängig vom Ergebnis.
Aug in Aug mit dem Mann, den ich mit HIV angesteckt habe
Josh und ich haben eine ganz besondere Verbindung, obwohl wir eigentlich nicht viel mehr als Bekannte sind. Vielleicht ist unser Smalltalk anders als bei anderen. Wir fangen mit dem obligatorischen „Hi, wie geht’s?“ an, dann gibt’s eine kleine Umarmung, gefolgt von einer hochgezogenen Augenbraue – und der unvermeidlichen Frage: „Alles in Ordnung?“.
Wie soll ich es beschreiben, wenn ich „diese Person“ da am anderen Ende des Raums sehe? Viele Monate lang hab ich einfach nur ein überwältigendes Schuldgefühl verspürt, wenn ich Josh irgendwo traf. Ich fragte mich, ob seine Freunde oder sein neuer Partner wussten, dass ich die Quelle seiner HIV-Infektion war. Hielten sie mich für einen schlechten Menschen? War ich ein schlechter Mensch?
Heute fühle ich mich wohl in seiner Gegenwart. Da ist jemand auf der anderen Seite des Raumes, der weiß, was ich durchgemacht habe, der weiß, was ich jetzt gerade durchmache. Er kennt mich ein wenig besser als die meisten anderen in diesem Raum.
Jemanden zu beschreiben, den man mit HIV angesteckt hat, ist eine interessante Erfahrung. Aber die Person zu beschreiben, die man angesteckt hat und die durch ihr Engagement gegen HIV-Stigmatisierung bekannt geworden ist, ist etwas völlig anderes. Josh hat keinen Augenblick gezögert und sofort sein positives Coming-out gehabt – nicht nur vor seinen Freunden und seiner Familie, sondern vor der ganzen Welt. Von jetzt auf gleich hat er mit seinem Blog http://imstilljosh.com angefangen, Geld für Nashville CARES gesammelt und ist auf HuffPostLive aufgetreten. Seine Verwandlung ging so schnell und umfassend vonstatten, dass ich meinem besten Freund bei einer Benefizaktion für CARES ins Ohr flüsterte: „Mein Gott, ich habe eine perfekte Werbefigur erschaffen“ – was mein Freund nicht sehr lustig fand. Wahrscheinlich war es das auch nicht.
Dabei bin ich wirklich stolz auf Josh. Er kämpft einen Kampf, den nicht jeder zu kämpfen bereit ist – mich eingeschlossen. Er überwindet Grenzen, öffnet Menschen für neue Sichtweisen und arbeitet für eine bessere Welt für uns alle, ob positiv oder negativ. Ich freue mich darauf, irgendwann einmal an seiner Seite stehen zu können und eine ähnlich positive Wirkung auszuüben.
Auch mit HIV kann man ein normales Leben führen
Im Augenblick nur so viel: Wenn du gerade dein positives Testergebnis bekommen hast – keine Panik. Es wird dir gut ergehen. Du musst keine Angst haben, jetzt zu sterben. Mit der richtigen Behandlung kannst du ein normales Leben führen. Auch um dein Liebesleben musst du keine Angst haben. Die Leute werden dich auch weiterhin lieben und dir ihre Liebe zeigen.
Wenn du HIV-negativ bist, pass auf dich auf. Es ist einfach, negativ zu bleiben. Wenn du jemanden triffst, der HIV-positiv ist, behandle ihn nicht anders als jeden anderen sonst. Wenn es einen Unterschied gibt, dann vielleicht höchstens eine andere Sicht aufs Leben – das ist jedenfalls bei mir der Fall.
Und jetzt noch kurz zu mir, dem Mann, der „I’m Still Josh“ mit HIV angesteckt hat: Nach sechs Monaten HIV-Behandlung liegt meine Viruslast unter der Nachweisgrenze, und meine CD4-Zellzahl liegt im Bereich eines Menschen ohne HIV. Mir geht es gut und ich bin gesund. Ich bin immer noch ich.
* Der erste Teil dieses Texts erschien am 15. Januar 2013 in Joshs Blog „imstilljosh.com“, der zweite Teil am 16. Januar zunächst exklusiv bei Out & About Nashville, später dann auch in Joshs Blog. Wir danken Josh herzlich für die Erlaubnis, die Texte in einer Übersetzung zu veröffentlichen.
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1 Kommentare
ME 6. November 2013 15:46
Hallo,
ich habe eine Frage, vor ca. einem Jahr haben wir leider nach einer allgemeiner Untersuchung mitgekriegt, dass meine Freundin HIV Pos ist. Wir sind fast seit 10 Jahren zusammen und haben seit Anfang an Sex ohne Gummi. Ich habe so ein Gefühl, dass etwas nicht stimmen könnte. 10 Jahre Sex ohne Gummi und ich bin negativ? Ist es möglich oder sollte ich mir gedanken machen?
Vielen Dank für eure Antworte