„Ich bin immer noch Josh!“
Josh, auf YouTube gibt es ein bewegendes, manche würden vielleicht sagen schockierendes Video von dir. Du erfährst darin von deinem Arzt, dass du HIV-positiv bist. Wie kam es, dass du die Kamera dabeihattest?
Interessanterweise war das mein erstes Video. Ich hatte einen Termin beim Arzt nach einem HIV-Test und wollte das nur für mich mitschneiden, um diesen wichtigen Moment in meinem Leben zu dokumentieren. Falls der Arzt mir mitteilen würde, dass ich HIV-positiv bin, wollte ich mir später nochmal einmal genau anhören können, was er gesagt hatte. Erst ein paar Wochen später, als ich beschloss, meinen Blog imstilljosh.com zu starten, fiel mir wieder ein, dass ich das Video hatte. Ich sah es mir an und merkte sofort, welches Potenzial darin steckte. Da habe ich beschlossen, es online zu stellen.
„Ich hatte nur kurz ungeschützen Sex gehabt, ein Ausrutscher“
Und woher kam die Ahnung, vielleicht positiv zu sein?
Einen Tag nach Neujahr 2012 bekam ich extrem starke Grippesymptome und bin am nächsten Tag zum Arzt. Der gab mir Medikamente, vor allem gegen meine starken Halsschmerzen, die aber nicht geholfen haben. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich einen komplett entzündeten Mund. An HIV habe ich da noch gar nicht gedacht. Ich rief meine Mutter und meine Schwester an, die schon in Krankenhäusern gearbeitet hatten, und beide hielten das für eine allergische Reaktion. Zwei Tage später bin ich wieder zum Arzt, der dann sagte: „Wir müssen über Ihr Hochrisiko-Verhalten sprechen.“ Da hat es mich wie ein Schlag getroffen, und ich wusste im Innersten: Es ist HIV. Denn kurz vor Weihnachten hatte ich kurzen ungeschützten Sex mit jemandem. Es war eine Art Ausrutscher. Eigentlich hatten wir ein Kondom benutzt und nur zum Schluss noch einmal kurz darauf verzichtet, nicht länger als fünf Minuten. Wir sind nicht einmal gekommen, weil wir gestört wurden.
Dann hast du also einen Test gemacht?
Ja. Ich war damals schon ehrenamtlich in der HIV-Prävention tätig und Teilnehmer an einer HIV-Impf-Studie. Deshalb konnte ich den Test nicht bei einem normalen Arzt machen, sondern nur im Rahmen der Studie. Es hat dann noch einmal zweieinhalb oder drei Wochen gedauert, bis ich das Ergebnis bekam, das ich in dem Video dokumentiere. Die Zeit bis dahin waren furchtbare Tage für mich. Ich habe mir die Augen ausgeheult, gebetet, war voller Angst und habe mich gefragt, ob ich jemals wieder Sex haben und jemals wieder geliebt werden würde.
Wie hast du dich an dem Punkt gefühlt, an dem das Video endet – den Teil können die Leute ja nicht sehen?
Am Tag der Aufnahme war ich bereit, das Ergebnis anzunehmen. Ich hatte alles geplant: Sollte ich positiv sein, würde ich sofort zu meiner Familie nach Hause fliegen. Das Ticket hatte ich schon in der Tasche. Meine Familie und ich sind sehr eng miteinander. Wir haben schon mehrere Krankheiten gemeinsam durchgestanden. Es war immer klar: Wenn sie mir nicht die volle Wahrheit über ihren Gesundheitszustand sagen, kann ich ihnen nicht vertrauen. Und deshalb musste das auch andersrum gelten. Ich bin also direkt heimgeflogen. Meine Schwester hat mich vom Flughafen abgeholt, und am Abend habe ich es meiner Familie gesagt, die mich extrem gut unterstützt hat.
„Die Reaktionen waren sehr unterstützend“
Du bist von Anfang an offen mit deiner HIV-Infektion umgegangen. Wem hast du es sonst noch erzählt?
Ich habe es gleich zwei oder drei engen Freunden von mir gesagt. Der Rest der Welt hat es später über das Internet erfahren. Dazu muss man wissen, dass die schwule Community in Nashville wirklich überschaubar ist, und ich wollte nicht, dass andere über mich redeten oder es erfuhren, bevor ich es ihnen gesagt hatte. Eines Morgens habe ich also meinen Blog gestartet und ihn einfach am Nachmittag bei Facebook verlinkt. Ich hatte damals etwa 600 Facebook-Freunde, und der Blog wurde am ersten Tag 1.300 Mal besucht. Damit war das Geheimnis sehr schnell gelüftet.
Wie waren die Reaktionen?
Zuerst habe ich das gar nicht mitbekommen. Ich habe den Blog am Nachmittag gepostet, bin nach Hause gefahren, habe geduscht und bin ins Kino gegangen. Erst danach habe ich gemerkt, wie rasant sich mein Blog verbreitet hat. Am ersten Tag war er der meistgeklickte Blog auf WordPress. Die Reaktionen waren jedenfalls sehr unterstützend. Und natürlich wollten die Leute, mit denen ich mal Sex hatte, wissen, ob sie sich Sorgen machen müssten.
Hast du wirklich deinen Blog nur gestartet, um der Welt dein positives Testergebnis mitzuteilen?
Der erste Grund war tatsächlich, es allen auf einmal sagen zu können. Der Blog will aber mehr. Als ich auf mein Testergebnis wartete, habe ich im Internet sehr viel recherchiert. Und ich konnte nichts Aufbauendes finden. Anfangs kannte ich keine einzige Person, die sich mir gegenüber als HIV-positiv geoutet hätte. Inzwischen habe ich viele Menschen mit HIV kennengelernt und viele Geschichten gehört, die mich traurig und wütend machen. Zweimal bin ich auch zu einer Selbsthilfegruppe gegangen. Aber die Leute, die ich dort getroffen habe, waren niedergeschlagen und depressiv, weil sie aufgrund ihrer HIV-Infektion immer wieder Zurückweisung erleben. Stigmatisierung bekämpft man aber nicht durch Schweigen. Deshalb werde ich mich äußern und etwas dagegen tun.
Was würdest du heute jemandem sagen, der gerade erfahren hat, dass er HIV-positiv ist?
Zunächst einmal würde ich ihm deutlich sagen, dass er auch mit HIV der gleiche Mensch ist, der er noch eine Stunde, einen Tag oder ein Jahr vorher war. Er ist immer noch er selbst und genauso liebenswert. Und ich würde ihm sagen, dass HIV vieles verändert, dass man die Dinge anders zu schätzen lernt und Beziehungen vorsichtiger auswählt. Zwei wichtige Ratschläge hätte ich außerdem. Erstens: Erzähl es mindestens einer Person, der du vertrauen kannst. Versuch nicht, allein damit klarzukommen. Und zweitens: Begib dich in medizinische Behandlung.
„Erzähl es mindestens einer Person, der du vertrauen kannst“
Es gibt auf deinem Blog auch eine „Digitale Wand der Ermutigung“ für Neuinfizierte. Worum geht es da genau?
Die Idee stammt vom „AIDS Memorial Quilt“, der an Verstorbene erinnern soll. Wie in einer Art Flickenteppich werden dabei Einzelschicksale in Erinnerungsstücken zu einem großen Kunstwerk zusammengesetzt. Jedes einzelne Teil hat also eine individuelle Bedeutung für die betroffenen Menschen. Ich selbst liebe die Sozialen Medien und wollte deshalb eine digitale Plattform zur Ermutigung für HIV-Infizierte schaffen, zu der jeder, der möchte, seine individuelle Botschaft beitragen kann. Neben der Startseite ist die „Wand der Ermutigung“ die meistbesuchte Seite meines Blogs.
Es wird auch eine App für Smartphones von dir geben. Wie ist der Stand der Dinge? Was soll sie können?
Ja, die „ISJ“-App ist gerade im Entwicklungsstadium. Das Design steht, die Programmierung hat begonnen. Die App wird zum einen ganz klassisch Zugriff auf Informationen rund um HIV und Medikamente, aber auch auf die „Wand der Ermutigung“ bieten. Außerdem soll es eine selbst gestaltbare Erinnerungsfunktion geben, zum Beispiel für die Medikamenteneinnahme, und einiges andere mehr. Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass ich mit diesem Blog keinerlei Gewinn mache. Ich möchte meine HIV-Infektion nicht in Geld ummünzen und will auch nicht berühmt werden. Ich bin einfach nur ein Aktivist.
Josh, hab vielen Dank für das offene Gespräch! Alles Gute dir!
Auf Joshs Blog kommt auch der Mann zu Wort, bei dem Josh sich mit HIV infiziert hat – und der erst durch Joshs Testergebnis erfuhr, dass er HIV-positiv ist. Seine Gedanken veröffentlichen wir am Freitag, dem 20.9.2013.
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1 Kommentare
Imstilljosh 19. September 2013 15:29
@imstilljosh: #HIV is universal.@Dt_AIDS_Hilfe
Du wirst geliebt. HIV ändert nichts daran
Wähle das Leben! Alles Liebe (German) http://t.co/pIHsPsX6pz