HIV & Aktivismus

„Ich wünsche mir, dass Gesetze Schutz vor jeglicher Gewalt sicherstellen“

Von Redaktion
© Wlada Fomina
Yana Panfilova ist seit sechs Jahren Aktivistin bei TEENERGIZER!. Das Projekt ist eine Selbstorganisation von Jugendlichen in vier postsowjetischen Staaten – in der Ukraine, in Russland, in Kasachstan und in Kirgistan. TEENERGIZER! hat vier verschiedene Aufgaben. Zum einen möchten die Aktivist_innen die Politik in diesen Ländern beeinflussen, damit mehr für Jugendliche getan wird – z. B. in den Bereichen sexuelle Aufklärung und Gesundheit. Darüber hinaus bieten sie Online-Beratung für Teenager zu verschiedenen Fragen wie Freundschaft, Beziehung, erster sexueller Kontakt, Rechte etc. Das Angebot ist kostenlos und anonym. Wichtig dabei ist das peer-to-peer-Prinzip. Das bedeutet, dass als Berater_innen Jugendliche selbst tätig sind. Sie werden extra dafür geschult.

Die Aktivist_innen von TEENERGIZER! haben außerdem ein Team-Modell entwickelt, in dem sich HIV-positive und HIV-negative Jugendliche mit dem Thema HIV/Aids auseinandersetzen. Die Teenager gehen auch in Schulen und berichten Gleichaltrigen zu den Themen HIV und Aids.

Warum engagierst du dich? (Wie sieht dein Engagement aus? Was willst du verändern und wo siehst du Lücken?)

Ich bin von Geburt an HIV-positiv. Meine Mutter hat damals Drogen konsumiert und als Baby hatte ich schon Heroinsucht. Als Jugendliche war ich in einer geschlossenen Gruppe im sozialen Netzwerk „vkontakte“ aktiv, wo wir – positive Teens – uns zu diesem Thema ausgetauscht haben. Mit 16 habe ich entschieden, meinen positiven HIV-Status öffentlich zu machen. Es gibt so viel Diskriminierung und Stigmatisierung gegen HIV-positive Menschen allgemein (insbesondere gegen Minderjährige!), dass ich etwas dagegen machen wollte. Ich musste damit rechnen, gedemütigt oder sogar verprügelt zu werden – was einer meiner Freundinnen passiert ist. Durch dieses Outing kam ich zu TEENERGIZER!.

Ich möchte, dass Jugendliche in unseren Ländern als Subjekte und nicht als Objekte wahrgenommen werden. Sie sollen respektiert werden; man soll mit ihnen reden und sich um sie kümmern.  Teenager müssen über Sexualität gut informiert werden, mit kostenlosen Kondomen versorgt werden, vertrauliche Kontakte zu Ärzt_innen haben. All das muss man in der Politik mitdenken und strukturell durchführen. Die Regierung sollte einen Plan für Jugendarbeit entwickeln und seine Durchsetzung finanzieren.

Welche Erfolge/Verbesserungen hast du in deiner Arbeit erreichen können? Was war das Highlight in deiner aktivistischen Arbeit?

Es gibt schon einige. Erfolgreich sind zum Beispiel unsere „HIV-Partys“ (auf Russisch „ВИЧеринка“). Das sind besondere Events für Jugendliche auf denen Stars oder bekannte Blogger_innen mit ihnen über HIV und Aids, LGBT, Menschenrechte und Gesundheit diskutieren. Sie äußern sich zu diesen Themen und beantworten Fragen. Gleichzeitig können sich Jugendliche im Rahmen dieser Veranstaltungen auf HIV, Hepatitis B und C und Syphilis testen lassen. Das ist anonym und kostenfrei.

Einen großen Erfolg habe ich erreicht, als ich 16 war. Damals war The Global Fund im Bereich Jugendarbeit aktiv und wir haben mehr als 1 Million US-Dollar Förderung für die Unterstützung von Jugendlichen bekommen. Der größte Erfolg meiner Tätigkeit sind aber die zehn aktiven Teams, die in verschiedenen Regionen Minderjährige unterstützen, immer neue Leute dazu gewinnen und Communitys gründen.

Welche Verbesserung der Frauenrechte wünschst du dir bis zum Jahr 2030?

Ich würde mir wünschen, dass alle HIV-positiven Frauen freien und unkomplizierten Zugang zu Therapie haben. Dass Gesetze Schutz vor Gewalt jeglicher Form sicherstellen – egal, ob es um sexuellen Missbrauch, häusliche Gewalt oder psychischen Druck handelt. Außerdem wäre es sehr gut, wenn die Menschen in der Ukraine gegen HPV geimpft würden und minderjährige Mädchen die Möglichkeit hätten, selbst über eine Abtreibung zu entscheiden. Im Rahmen meines Projektes haben wir eine Untersuchung durchgeführt, die häusliche Gewalt gegen minderjährige Mädchen aufgedeckt hat. Sie werden von ihren Eltern verprügelt, wenn herauskommt, dass sie sexuellen Kontakt hatten oder schwanger sind.

Ich unterstütze den radikalen Feminismus nicht, aber hoffe, dass es in zehn Jahren mehr Gleichstellung zwischen Frauen und Männern im Parlament gibt, was heute nicht der Fall ist. Es liegt auch an der Gesellschaft selbst. Frauen werden in allen postsowjetischen Gesellschaften nicht ernst genommen. Ich gebe ein Beispiel aus Russland: Xenia Sobtschak hat bei der Präsidentenwahl wenige Stimmen bekommen, weil sie eine Frau ist – „Eine Frau kann nicht regieren“, hieß es. Dieselbe Weltanschauung haben die Ukrainer auch.

Wie sollte deiner Meinung nach feministischer Aktivismus (in einer global vernetzten Welt) in Zukunft aussehen?

Digital Space – das ist heute der Treffpunkt für Aktivist_innen in der Ukraine. Alles hat mit dem Maidan angefangen. Die Ereignisse damals haben die Menschen sehr eng zusammengebracht und ziviles Engagement sehr gestärkt – so, dass es möglich wurde, Politik zu beeinflussen.

Wir sind auch zum Großteil online aktiv. Jugendliche fühlen sich im Netz sicher und locker. Sie kommen auf unsere Seite. Wir veranstalten auch einmal pro Monat Treffen mit unseren Aktivist_innen, die bei einem Bierchen über unser Projekt erzählen. Wichtig ist, dass wir in den sozialen Medien präsent sind. Ukrainische Teens nutzen meistens TikTok, Erwachsene finden uns eher auf Facebook.


Aus dem Russischen übersetzt von Xenia Maximova.

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