Ein Tag im Leben

Leben mit Drogen: Claudia, Berlin, Deutschland

Von Gastbeitrag
Claudia im Film über Drogen
Der Film „Ein Tag im Leben“ gibt einen Einblick in das Leben von acht Menschen, die Drogen gebrauchen, aus sieben Ländern der Welt, vom Morgen bis in die Nacht. Wir haben ihre Geschichten aufgeschrieben

Alle Protagonist_innen des Films gebrauchen Drogen, aber sie definieren sich nicht darüber. Sie alle sind einzigartige Persönlichkeiten, haben ihre eigenen Geschichten und ihre eigenen sozialen Netzwerke. Das Umfeld, in dem sie leben, die Haltungen ihnen gegenüber, die Gesetze rund um den Drogenkonsum und die Gesundheitsdienste, die ihnen zur Verfügung stehen, haben einen enormen Einfluss auf ihr Leben.

Drogengebraucher_innen werden an den Rand gedrängt

Der Film wurde von Menschen produziert, die selbst auch Drogen gebrauchen. Er will Mythen und Vorurteile gegenüber Drogen und Drogengebraucher_innen abbauen. Er gibt jenen eine Stimme, die zu den am stärksten an den Rand gedrängten Gruppen der Welt gehören, damit sie ihre bislang nicht erzählten Geschichten über Liebe, Hass, Leiden und auch Glück erzählen können. Er zeigt, wie sie sich sozial und politisch engagieren, um das Schweigen zu brechen und die Stigmatisierung zu bekämpfen, die tiefe Schatten auf ihr Leben wirft.

Ich wohne mit meinem Lebensgefährten Dirk zusammen, wir sind seit 26 Jahren zusammen. Wir haben uns in der stationären Langzeit-Therapie getroffen, haben da ein halbes Jahr zusammen Therapie gemacht und sind dann nach einem halben Jahr zusammen da abgehauen, also, wir haben die Therapie abgebrochen. Und seitdem sind wir zusammen.

Und dann wohnt hier noch unsere Katze, der Schröder. Ganz in der Nähe wohnen meine beiden Söhne mit ihren Frauen und Kindern.

Wenn es nur noch darum geht, Geld für Drogen zu beschaffen

Ich glaub, ich war 17, da hab ich das erste Mal Heroin gespritzt. Ich hab direkt intravenös konsumiert.

In der Anfangszeit hab ich noch nicht täglich konsumiert, da hab ich noch eine Ausbildung gemacht.

Als der Konsum regelmäßiger wurde, war ich nicht mehr dazu in der Lage, die Ausbildung weiterzumachen, das durfte ich auch nicht. Ich hab Zahnarzthelferin gelernt und durfte in dem ärztlichen Bezug nicht arbeiten, also keine medizinische Tätigkeit ausüben. Ich wurde der Ärztekammer gemeldet und musste aufhören.

Als ich dann aber regelmäßig konsumiert habe, hatte ich keine Zeit mehr zu arbeiten, da ging’s nur noch darum, Geld ranzuschaffen. Also Diebstähle, Dealereien, Fahrdienste nach Holland und zurück, solche Geschichten, so hab ich mich über Wasser gehalten.

„Meine Mutter hat mich immer unterstützt“

Natürlich war ich nicht immer so stabil, nein, auf keinen Fall. Das hat sich glaub ich erst mit Beginn der Substitution so entwickelt. Von da ab hatte ich auch Zeit, meinen Tag anders zu gestalten, als nur Geld zu besorgen für den nächsten Druck. Da konntest du – ja, du kannst die Zeit halt einfach anders nutzen.

Ich arbeite in Köln auf zwei Stellen, einmal im Drogen-Selbsthilfe-Kontaktladen in Kalk, und dann gibt’s noch eine zweite Filiale, etwas kleiner, in einem sozialen Brennpunkt von Köln, etwas außerhalb.

Da sind überwiegend Frauen unsere Besucherinnen, die sich prostituieren. Und da findet ganz normale Kontaktladenarbeit statt, von Beratung über Spritzenaustausch und Kondomausgabe bis zur Vermittlung in Substitution.

Lügen und Angst vor dem Jugendamt

Der Kontakt zu meinen Eltern war eigentlich immer gut. Meine Mutter hat mich immer unterstützt, in jeder Situation, ob ich im Knast war, in der Entgiftung, in der Therapie, sie ist immer gekommen und hat mir geholfen.

Nach dem Therapieabbruch hat das Jugendamt die Kinder an meine Eltern weitervermittelt, sie sind dann in den Haushalt meiner Eltern gekommen und waren da bis zum 13. Lebensjahr. Also zehn Jahre.

Was ich mir gewünscht hätte für die Zeit, wo meine Kinder klein waren, wäre gewesen, dass ich nicht so viel hätte lügen müssen, jemanden, mit dem ich ehrlich über die Probleme reden kann, weil die Probleme hast du, wenn du drauf bist und du Mutter bist.

Und nicht immer die Angst im Nacken, dass dir die Kinder weggenommen werden, weil das ist der erste Schritt des Jugendamts, dir die Kinder wegzunehmen.

Oder eine Unterstützung, in welcher Form auch immer, Haushaltshilfe, Tagesmütter.

Ich glaube, keine Mutter würde ihr Kind absichtlich schädigen. Alle Mütter oder überhaupt Eltern, die ich kenne, die konsumieren und Kinder haben, machen das nicht im Beisein ihrer Kinder, sondern immer, wenn die Kinder nicht dabei sind, heimlich im Badezimmer oder an sonstigen Stellen, aber nie vor den Augen der Kinder.

Mag sein, dass Kinder so was merken, die sind sehr feinfühlig und spüren sicher auch ’ne Veränderung nach dem Konsumvorgang, aber das schädigt meiner Meinung nach kein Kind.

Meine Jungs haben ja hinterher wieder bei mir gewohnt, als sie älter waren, und denen hat das nicht geschadet, würde ich mal behaupten. Sie sind zwei gestandene Männer mittlerweile. Und kommen klar.

Diamorphin-Behandlung: Erfolgreich, aber nicht für jede_n zugänglich

Claudia interessiert sich für die Diamorphinvergabe, die Behandlung mit pharmazeutisch erzeugtem Heroin, die in Deutschland seit 2009 für sogenannte schwerstabhängige Drogenkonsument_innen möglich ist. Sie geht dazu in die 2013 eröffnete Praxis von Dr. Thomas Peschel in Berlin.

Claudia: Guten Tag! Ich würde mich gerne über die Diamorphinvergabe informieren. Ich bin substituiert, seit circa 20 Jahren bin ich schon im Polamidon-Programm, hab aber seit einer gewissen Zeit das Gefühl, ich komm nicht wirklich klar mit dem Polamidon, und suche nach einer Alternative. Von daher wäre für mich jetzt erst mal Diamorphin das Naheliegendste, und ich möchte einfach mal wissen, wie das hier so abläuft.

Dr. Peschel: Die diamorphingestützte Behandlung dient dazu, die Leute aus der Illegalität zu befreien, also um diesen ganzen Teufelskreis zu durchbrechen.

Dazu hat man eine Studie gemacht, und die Ergebnisse haben deutlich gezeigt, dass die, die eben nicht mit den herkömmlichen Substituten zurechtkommen, davon sehr profitieren, und so ist es dann eben Gesetz geworden.

Das Diamorphin darf diese Räume hier nicht verlassen – sobald es die Türschwelle überschreitet, ist es wieder illegal, dann ist es Heroin. Hier in den Räumlichkeiten ist es Diamorphin, was dann eben gesetzlich geregelt und erlaubt ist.

Im Moment gibt es in Deutschland nur 500 Patienten, die in Behandlung sind mit Diamorphin in neun Einrichtungen. Es gibt einen viel höheren Bedarf, als wir überhaupt decken können. Das ist ein großes Problem. Also die Wartezeit wäre sehr lang.

„Oft wird Heroin genommen wie ein Medikament“

Eine Flasche Diamorphin sind 10 g Heroin. Wir brauchen für alle unsere 100 Patienten sechs Flaschen am Tag. Eine Flasche kostet 260 Euro. Die durchschnittliche Dosis ist 600 Milligramm, das sind dann also 12 Euro am Tag.

Es gibt auch umfangreiche Studien, die das untersucht haben, die Kriminalität fällt weg, Sie haben keine Beschaffungskriminalität mehr, keine Gefängnisaufenthalte mehr, und das ist unterm Strich günstiger, die so zu behandeln, als sie nicht zu behandeln. Insofern rechnet sich das für die Gesellschaft sehr deutlich.

Es ist auch nicht so, dass die Dosis sich immer steigert. Das denkt man vielleicht, dass es da eine Toleranzentwicklung gibt, aber irgendwann … bleibt das stehen.

Für viele, die obdachlos sind oder den ganzen Tag nur Beschaffungskriminalität hinter sich haben, ist es auch hilfreich, sich hier einfach mal auszuruhen.

Wissen Sie denn, warum Sie immer noch Heroin dazunehmen müssen? Wie wirkt es denn, wenn Sie’s nehmen?

Claudia: Es wirkt beruhigend, macht sicher, ja, es gibt einfach ein gutes Gefühl, und bei meinem Tagesablauf – es unterstützt mich, sagen wir mal so.

Dr. Peschel: Was wäre denn, wenn Sie’s nicht nehmen würden?

Claudia: Dann fehlt irgendwas. Ich komme auch über den Tag, wenn ich nicht rauche, aber irgendwie fehlt was.

„Die eigentlich Aufgabe des Arztes ist es, die Lebensqualität zu verbessern“

Dr. Peschel: Würden dann bestimmte Dinge am Tag nicht so gut gehen ohne die Wirkung? Sie sagten, die Sicherheit … wäre dann vielleicht etwas eingeschränkt?

Claudia: Vielleicht wäre ich nicht so belastbar.

Dr. Peschel: Was wir hier häufig sehen, sind Menschen, die schwierige Kindheitserfahrungen gehabt haben, Abbrüche in den Beziehungen; Gewalterfahrungen oder Traumatisierungen, in welcher Form auch immer. Viele Patienten haben eine Heimkindheit gehabt, und solche Erfahrungen führen ja allesamt auch zu bestimmten psychischen Symptomen. Wenn man nach der Funktion fragt, hat man eigentlich meistens das Ergebnis, dass es so eingenommen wird wie ein Medikament, weil man damit etwas besser kann als ohne.

Die Aufgabe für mich als Arzt ist ja, die Lebensqualität der Menschen, die hierherkommen, zu verbessern. Das ist ja die eigentliche Aufgabe des Arztes.

Am Ende des Gesprächs erklärt Dr. Peschel, dass man in Deutschland nur dann für die Diamorphinbehandlung in Frage kommt, wenn man sich die Substanz selbst injiziert. Da Claudia seit 20 Jahren Heroin nicht mehr intravenös konsumiert, sondern es von Folie raucht, darf er sie nicht in die Behandlung aufnehmen.

Die Geschichten der anderen Protagonist_innen sowie weitere Artikel zum Thema Drogenpolitik finden Sie hier.

1 Kommentare

Alivenkickn 21. Juli 2017 9:50

Dr. Peschel: Was wäre denn, wenn Sie’s nicht nehmen würden?
Claudia: Dann fehlt irgendwas. Ich komme auch über den Tag, wenn ich nicht rauche, aber irgendwie fehlt was.

Ein Gefühl das ich auch hatte. Jahrelang. Bis ich aufhörte Drogen zu nehmen. Das war am 28 Mai 1994.

Eine der Fragen die mir begegnete war: Was kann diese „innere Leere füllen“? Eine Substanz von außen?

Solche und ähnliche Fragen kann JedeR nur für sich beantworten. Hilfreich in meinem Fall war u.a. professionelle psychotherapeutische Unterstützung/Begleitung

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