Der Film „Ein Tag im Leben“ gibt einen Einblick in das Leben von acht Menschen, die Drogen gebrauchen, aus sieben Ländern der Welt, vom Morgen bis in die Nacht. Wir haben ihre Geschichten aufgeschrieben

Alle Protagonist_innen des Films gebrauchen Drogen, aber sie definieren sich nicht darüber. Sie alle sind einzigartige Persönlichkeiten, haben ihre eigenen Geschichten und ihre eigenen sozialen Netzwerke. Das Umfeld, in dem sie leben, die Haltungen ihnen gegenüber, die Gesetze rund um den Drogenkonsum und die Gesundheitsdienste, die ihnen zur Verfügung stehen, haben einen enormen Einfluss auf ihr Leben.

Drogengebraucher_innen werden an den Rand gedrängt

Der Film wurde von Menschen produziert, die selbst auch Drogen gebrauchen. Er will Mythen und Vorurteile gegenüber Drogen und Drogengebraucher_innen abbauen. Er gibt jenen eine Stimme, die zu den am stärksten an den Rand gedrängten Gruppen der Welt gehören, damit sie ihre bislang nicht erzählten Geschichten über Liebe, Hass, Leiden und auch Glück erzählen können. Er zeigt, wie sie sich sozial und politisch engagieren, um das Schweigen zu brechen und die Stigmatisierung zu bekämpfen, die tiefe Schatten auf ihr Leben wirft.

Ich lebe schon mein ganzes Leben lang hier in Washington Heights.

Ich hatte eine ganz normale Kindheit mit meiner Mutter, wobei – ich war ein ziemlich aufgedrehtes Kind, machte viel Sport, ging viel schwimmen und solche Sachen.

In meinen Teenager-Jahren wurde mein Leben dann ein bisschen kompliziert. Ich lernte eine Frau kennen – sie war dreizehn, ich war vierzehn. Ein Jahr später wurde sie schwanger. Ich wurde Vater, mit 16 Jahren.

Ich habe jetzt eine 27 Jahre alte Tochter, sie hat selbst eine Tochter, und ich bin Großvater.

Meine Enkelin wird dieses Jahr drei und heißt Mulan. Ich bin sehr glücklich, dass es sie gibt.

Familienbande

Ich lebe hier bei meiner Großmutter. Meine Großmutter ist eine starke, alte Frau. Sie wird bald 84. Es gibt hier keinen Fahrstuhl, also nimmt sie die Treppen, vier Treppenabsätze jeden Tag, wenn sie rausgeht.

Sie ist großartig, sie ist immer für mich da gewesen. Wir sind uns sehr nahe. Wenn es sie nicht gäbe, wüsste ich nicht, wo ich jetzt wäre.

Seit meiner Kindheit hat sie mich immer verwöhnt, ob ich im Recht war oder nicht. Wenn ich etwas Falsches getan habe, hat sie mich verteidigt. Sie hat mich auf Rikers Island besucht, ist sechs Stunden mit dem Bus in die Provinz gefahren; jede Woche hat sie das gemacht.

„Ohne meine Großmutter wüsste ich nicht, wo ich heute wäre“

Wenn ich unterwegs bin und irgendwas in der Straße los ist, zum Beispiel mit der Polizei oder so, ruft sie mich auf meinem Handy an und sagt mir, ich soll nicht herkommen, oder fragt, wo ich gerade bin oder so; sie sorgt dafür, dass ich nicht in der Gegend bin. Sie würde alles tun, um mich zu warnen.

Das fühlt sich gut an, tut aber auch weh, weil ich weiß, dass sie meinetwegen ziemlich viel Kummer hatte. Ich trage die Konsequenzen für das, was ich getan hab. Ich weiß, dass sie das emotional und mental ganz schön mitgenommen hat.

Nach der Geburt meiner Tochter ging ich eine Weile nicht mehr zur Schule. Weil ich der Ansicht war, dass ich die Verantwortung hatte, mich um meine Tochter zu kümmern, suchte ich mir legale Jobs, Gärtnern und so etwas, aber dann ließ ich mich auf illegale Aktivitäten ein, auf der Straße. Dealen, Sie wissen schon.

Und schließlich landete ich deswegen im Gefängnis.

Erste Drogen-Erfahrungen im Gefängnis

Während ich im Gefängnis saß, habe ich Drogen ausprobiert. Das war mein erstes Mal. Ich hatte nie die Möglichkeit gehabt, solange ich auf der Straße war.

Mir gefiel das Gefühl, das sie mir gaben. Das Gefühl, nicht eingesperrt zu sein. Wenn ich im Knast Drogen nahm, hatte ich das Gefühl, nicht dort zu sein, wo ich war. Ich fühlte mich frei. Aber in Wahrheit war ich nicht frei.

Eine meiner Ex-Freundinnen, ihr Name war Nicole, konsumierte Drogen intravenös, und nach drei Jahren Beziehung mit ihr konnte ich sie schließlich überzeugen, mir beim Spritzen zu helfen. So fing es an.

Mein Konsum wurde schlimmer, ich infizierte mich mit Hepatitis C.

Ich stahl nicht, ich verübte keine Raubüberfalle und auch keine Einbrüche, das habe ich alles nicht gemacht. Gedealt habe ich vor allem, um meinen Konsum zu finanzieren. Ich landete einige Male wieder im Knast, immer wegen des Dealens.

Meine Freundin Nicole, von der ich Ihnen gerade erzählte, lebt nicht mehr. Sie starb an einer Überdosis, und ich war im Gefängnis, als das geschah. Und das war der Wendepunkt.

Ich sagte mir, dass mir das auch passieren könnte. Ich komme aus einer sehr großen Familie. Es wäre sehr schmerzhaft, sie in eine solche Situation zu bringen. Weil ich weiß, wie schmerzhaft es für mich war.

Es musste also erst etwas Drastisches passieren, damit ich sagen konnte: „Das war’s“, die illegalen Aktivitäten auf der Straße aufgab und damit begann, was ich jetzt mache, nämlich Leuten helfen.

Schadensminimierung rettet Leben

Corner Project ist ein Spritzentauschprojekt. Wenn es Corner Project nicht gegeben hätte, wüsste ich nicht, wo ich heute wäre. Dank dem Corner Project bin ich geheilt worden.

Mir geht es gut. Ich lebe nicht mehr mit dem Hepatitis-C-Virus. Deswegen möchte ich anderen Leuten helfen, auch geheilt zu werden, so wie ich geheilt wurde.

Ich bin froh, dass ich heute meinen Lebensunterhalt verdiene, indem ich Interessenvertretung und Schadensminimierung mache. Schadensminimierung ist mir sehr wichtig, weil ich dort draußen Leben rette.

Ich laufe überall in Washington Heights herum und informiere über Schadensminimierung, darüber, wie man sich nicht mit Hepatitis C und HIV infiziert, wo man saubere Spritzen bekommt.

Wir teilen auch saubere Spritzen und Kondome aus, informieren darüber, wo man ein Naloxon-Training machen kann.

Ich habe in meinem Leben drei Überdosen rückgängig gemacht. Ich habe Leben gerettet. Die Person lebt. Das ist ein sehr gutes Gefühl. Kann ich nicht beschreiben.

2014 war ungefähr die Hälfte der Gefängnisinsassen in den USA wegen gewaltloser Drogendelikte inhaftiert.

Ich werde – als Latino-Mann – von der Polizei in meinem Viertel kontrolliert, in Washington Heights, wegen meiner Hautfarbe und weil ich Hispano-Amerikaner bin. Ich sehe das auch bei anderen jungen schwarzen und lateinamerikanischen Männern, die unterwegs sind, einfach ihr Ding machen, und aus denselben Gründen kontrolliert und schikaniert werden.

Drogenkonsumenten stehen häufiger im Fadenkreuz der Polizei als irgendjemand sonst – ich würde sagen, weil sie so verwundbar sind.

Anstatt sie anzusprechen und zu fragen, ob sie zu einer Drogenhilfe mitgenommen werden möchten oder zu einem Krankenhaus oder einer Unterkunft oder irgendwohin, wo man duschen oder etwas essen kann.

Ich bin durch Vocal New York mit der User-Vereinigung in Kontakt gekommen. Die ist für Leute, die Drogen nehmen oder genommen haben. Die User-Vereinigung will gewährleisten, dass unsere Rechte nicht verletzt werden und dass wir nicht diskriminiert werden.

Es ist so ein gutes Gefühl, Teil der Geschichte zu sein, wenn du weißt, dass du für eine Sache gekämpft hast und das Ergebnis positiv ist. Wir haben eine Menge Dinge erreicht, die die Leute für unerreichbar hielten, die als unmöglich dargestellt wurden, und am Ende stehen wir als Sieger da.

Selbsthilfe von Drogen-Gebraucher_innen erreicht Verbesserungen

In den vergangenen Jahren hat VOCAL es geschafft, mithilfe der User-Vereinigung die Grundlage für die Naloxonvergabe zu verlängern, sodass die Leute besseren Zugang haben, und VOCAL hat es geschafft, mehr Hepatitis-C-Tests umzusetzen, sodass die Leute ihren Status kennen und sich behandeln lassen.

Aufgrund der Arbeit von VOCAL dürfen Arbeitgeber bei einer Bewerbung nicht fragen, ob man schon mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist. Das gibt dir eine faire Beschäftigungschance.

Es hat auch Gespräche über einen betreuten Drogenkonsumraum gegeben. Das würde die Kriminalität senken und definitiv die Überdosen, die Ausbreitung von Hepatitis C und HIV eindämmen. Spritzen würden nicht mehr einfach so auf die Straße geworfen, oder in Parks, in den Vierteln – all das würde weniger werden.

„Alkohol ist heute auch legal“

Ich konsumiere immer noch. Ich habe das Gefühl, dass ich das viel besser unter Kontrolle habe und durch alles, was ich gelernt habe, und alles, was mir passiert ist, und wegen der Arbeit, die ich mache, wird es nicht noch mal passieren.

Wegen dem, was ich weiß, wegen dem, was ich praktiziere, wegen dem, was ich anderen beibringe.

Für mich bedeutet Drogenkonsum … Ich bin offener, kontaktfreudig. Ich mag es, unter Leuten zu sein, mich zu unterhalten. Das ist nichts anderes, als wenn jemand einen Drink nimmt.

Damals in den 20ern war Alkohol illegal. Wenn man mal zurückschaut, gab es mit Alkohol all die Probleme, die es heute mit illegalen Drogen gibt. Heute ist er legal.

Das muss auch mit den anderen Drogen passieren, die heute illegal sind. Die Kriminalität würde bestimmt aufhören und abnehmen und Leute, die Hilfe suchen und aufhören möchten, würden aufhören.

Aber diejenigen, die weitermachen und Spaß haben wollen … wie ich zum Beispiel, ich fühle mich großartig, ich liebe es, Marihuana zu rauchen, ich nehme gerne andere Drogen, sie sorgen dafür, dass ich mich wohlfühle, wo wie sich Leute wohlfühlen, die etwas trinken. Kein Unterschied.

Die Geschichten der anderen Protagonist_innen sowie weitere Artikel zum Thema Drogenpolitik finden Sie hier.

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