LGBTIQ: Streiten, reden, kämpfen – gemeinsam?!
In der Community rumort es gewaltig: Die politisch bunte und vielfältige Szene von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen (LGBTIQ oder Deutsch: LSBTIQ) droht sich derzeit selbst zu zerfleischen, so scheint es.
Wer sich über die vielen von außen nur mehr schwer nachvollziehbaren Debatten um Denk- und Sprechverbote, um Rassismus und Ausgrenzung innerhalb der Community informieren möchte, dem seien die beiden von der Polittunte Patsy l’Amour laLove herausgegebenen Aufsatzsammlungen „Selbsthass & Emanzipation“ und „Beißreflexe“ nahegelegt.
Eine geschlossen auftretende LGBTIQ-Gemeinschaft ist notwendiger denn je
Dabei wäre gerade jetzt, angesichts wachsender reaktionärer und dezidiert homosexuellenfeindlicher Kräfte in der Gesellschaft, eine geschlossen auftretende, tat- und schlagkräftige Gemeinschaft notwendiger denn je.
Ein Rollback ist möglich
Nicht zuletzt durch das Attentat auf den queeren Club Pulse in Orlando/Florida und die (Nicht-)Reaktionen der deutschen Politik und Öffentlichkeit sei klargeworden, dass es mit der „wachsenden Akzeptanz und den Schritten zur rechtlichen Gleichstellung nicht automatisch immer so weitergehen muss, dass ein Rollback möglich ist.“
Diese Erkenntnis war für den Publizisten und Verleger Detlef Grumbach Initialzündung für seinen Aufsatzband „Demo.für.Alle.“.
Was die darin gesammelten, in der Akzentuierung und Herangehensweise recht unterschiedlichen 14 Textbeiträge eint, bringt der Untertitel des Buches gut auf den Punkt: „Homophobie als Herausforderung“.
Rechtspopulistische Tendenzen in den eigenen Reihen
Eines der Leitthemen in vielen der Beiträge ist der Vormarsch rechtspopulistischer, reaktionärer und antifeministischer Tendenzen nicht nur in Europa. Dass manchem auch in den eigenen Reihen der Islam, „Genderwahn“ und die „linksversiffte Homolobby“ als Feindbilder dienen, schildert Jan Schnorrenberg sehr anschaulich in seinem Essay „Der braune Regenbogen“.
Unterdrückungsverhältnisse lassen sich nicht isoliert betrachten
Durchaus sehr selbstkritisch gehen auch andere Autoren mit der Homosexuellenbewegung der letzten beiden Jahrzehnte ins Gericht.
„Die schwulendominierte Homosexuellenbewegung“ zahle heute den Preis dafür, „dass sie glaubte, ein Unterdrückungsverhältnis isoliert betrachten und bekämpfen zu können, und deshalb nicht merkte, dass ihre Siege oft neoliberal vergiftete Siege waren“, bilanziert etwa Bodo Niendel, der als Queerpolitik-Referent für die LINKEN im Bundestag arbeitet.
„Neoliberal vergiftete Siege“
Seiner Ansicht nach war die queere Bewegung zu lange auf sich selbst fixiert – für ihn ein fundamentales und umso nachhaltigeres Versäumnis. „Zum einen können wir nicht die Augen davor verschließen, dass die neuen Rechten reale Probleme sozialer Verwerfungen aufgreifen, von denen auch eine große Zahl queerer Menschen betroffen sind. Zum anderen verzetteln wir uns gelegentlich in Grabenkämpfen, die kaum mehr etwas mit unserer Lage zu tun haben.“
„Wir verzetteln uns gelegentlich in Grabenkämpfen“
Doch gibt es das große Ganze, das die in diesem Land lebenden LGBTIQ heute miteinander verbindet? Die Vielfalt der Menschen, ihrer Bedürfnisse und ihres Engagements sowie ihre gesellschaftspolitischen Ziele seien zu unterschiedlich, als dass sich ein wirkliches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickele, analysiert Werner Hinzpeter.
Für ihn ist dies einer der maßgeblichen Gründe, warum es derzeit in Deutschland für LGBTIQ so wenig vorangeht.
Weniger Binnenstreitigkeiten, weniger Egozentrismus auch der Organisationen wünscht sich daher auch Ansgar Drücker, Geschäftsführer des Düsseldorfer Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit: „Es wird für die LSBTI-Organisationen immer wichtiger, die Situation aller Schwulen mitzudenken“ – solche, die sich für oder gegen ein öffentliches Coming-out entscheiden, mit unterschiedlichster religiöser und kultureller Prägung, ob mit oder ohne HIV-Infektion, mit oder ohne Migrationshintergrund.
Darüber hinaus müssten queere Bewegungen lernen, mehr denn je über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. „Queersozial handeln“ nennt das Bodo Niendel.
„Queersozial handeln“
„Das soll nicht bedeuten, dass wir unseren Kampf für … Bildungspläne für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, ein grundlegend reformiertes Transsexuellengesetz und mehr Rechte für Intersexuelle hintenanstellen. Aber wir sollten das Feld unseres Engagements erweitern, denn dieser erweiterte Kampf wird immer auch der Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen zugutekommen“, so Niendel weiter.
Weitere Debatten sind notwendig
Die LGBTIQ-Community und ihre Organisationen sind also aufgerufen, bei ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement auch andere unterdrückte und sozial benachteiligte Gesellschaftsgruppen einzuschließen. Und auch mit Themen wie Sexismus, Rassismus und Machstrukturen innerhalb der LGBTIQ-Community wird man sich weiterhin kritisch und konstruktiv auseinandersetzen müssen.
Dass diese Debatten notwendig sind, zeigen nicht nur der Erfolg der beiden Bücher von Patsy L’Amour LaLove, sondern auch die sich daran anschließenden Diskussionsveranstaltungen. Einen weiteren Baustein dafür liefert „Demo.für.Alle.“ in jedem Fall, auch wenn bis auf Birgit Bosold vom Schwulen Museum* Berlin ausschließlich schwule Männer ihre Positionen und Analysen beigetragen haben – andere lesbische und trans* Autor_innen hatten offenbar ihre Textzusagen bedauerlicherweise nicht eingehalten.
Für Herbst ist im Querverlag bereits ein weiterer Band zum Stand des queeren Aktivismus angekündigt, dann ausschließlich mit lesbischen Stimmen. Die Diskussion geht also weiter.
Detlef Grumbach (Hg.): „Demo.für.Alle. – Homophobie als Herausforderung“. Mit Beiträgen von Peter Rehberg, Gabriel Wolkenfeld, Werner Hinzpeter, Gert Hekma, Kriss Rudolph, Dirk Ludigs u.a.; 169 Seiten, Männerschwarm Verlag, 16 Euro
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