„Menschenrechte“ – Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige
Herr Heimchen, was können wir tun, im Privaten oder auch in den Institutionen? Reicht ein Gedenktag im Jahr, um das Problem zu lösen?
Ich glaube, dass der Gedenktag allein nicht reicht. Dieser Tag ist nicht nur zum Gedenken, sondern auch zum Protest und zur Mitteilung unserer Forderungen. Wir wollen ganz viele Menschen ansprechen, vor allem auch die Kommunal- und Bundespolitiker, damit endlich etwas im Sinne der Menschenrechte für Drogenabhängige getan wird. Die auch von Deutschland unterzeichnete „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ betont etwa in Artikel 1 die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in Artikel 2 das Verbot der Diskriminierung, in Artikel 3 das Recht auf Leben und Freiheit, in Artikel 22 das Recht auf soziale Sicherheit. Wenn man sich vor diesem Hintergrund anschaut, wie Drogengebraucher und Abhängige heute gezielt aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden, lässt sich kaum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit reden oder die tagtäglich stattfindende Diskriminierung dieser Menschen in Abrede stellen.
Um Drogenkonsum und Drogenhandel zu kontrollieren, vertraut die Bundesregierung nach wie vor auf das Mittel der Strafverfolgung. Dass die Illegalisierung von Drogen kriminelle Strukturen hingegen fördert und drogenkranke Menschen kriminalisiert, ist jedoch schon lange bekannt. Warum hat die Politik nicht schon längst eine Wende eingeleitet?
Ich glaube, solange so viel Geld mit Drogen verdient wird, wird keine Legalisierung kommen. Die Regierung behauptet ja, der Drogenhandel und die Drogenkonsumenten würden mit der Repressionspolitik kontrolliert. Das stimmt so nicht. Im Gegenteil. Wenn wir legalisieren würden, so wie wir es ausdrücklich fordern, dann hätten wir eine Kontrolle. Dann würden wir die Qualität der Drogen kontrollieren, wir könnten festlegen, wer was verkaufen darf, wir könnten bestimmen, wie teuer was sein darf. Das wäre Kontrolle. Das fängt schon bei Cannabis an, wo sich junge Menschen in ein kriminelles Umfeld begeben müssen, um sich einen Joint zu besorgen.
Auch bei JES, der bundesweiten Selbsthilfeorganisation und Interessenvertretung von Junkies, Ehemaligen und Substituierten (Substitution = Behandlung Drogenabhängiger mit Drogenersatzstoffen), hält man Drogenverbote und Strafverfolgung für kontraproduktiv. Nötig seien stattdessen Angebote der Überlebenshilfe. Welche Rahmenbedingungen sollten angeboten werden?
Auf Wuppertal bezogen glaube ich, dass wir in dieser Stadt schon sehr gut mit den Hilfen für Drogenabhängige aufgestellt sind. Trotzdem fehlen noch einige Sachen. Ich gebe mal ein Beispiel: Unsere guten Argumente haben einen Drogenkonsumraum ermöglicht, der von Montag bis Freitag geöffnet ist. Es kann doch nicht sein, dass der Konsum am Wochenende und an Feiertagen nicht sicher geht. Wir fordern die Möglichkeit zu sicherem Konsum auch am Wochenende. Auch andere Bedingungen sind noch nicht hergestellt. Zum Beispiel die Heroinvergabe, die seit dem 21. Juni 2009 gesetzlich geregelt und erlaubt ist. Die Politiker in Wuppertal haben den ernsten Willen, das einzuführen. Denn jeder Drogenkonsument, der die Bedingungen erfüllt, hat nach der Gesetzeslage einen Rechtsanspruch auf Heroinvergabe.
Die Droge Heroin ist also insofern legalisiert, dass sie jetzt verschrieben werden kann. Genau wie andere Medikamente auch. Die sind ja auch nur deshalb legal, weil sie verschrieben werden dürfen. Das kommt unseren Forderungen schon sehr entgegen. Jedoch sind die Hürden und Bedingungen so hoch, dass die Sache wahrscheinlich in die Hose gehen wird, oder es sogar am Geld scheitert. Jedenfalls gibt es die Heroinvergabe de facto noch in keiner Stadt. Das kann es ja wohl nicht sein.
Wenn allerdings die Bundesregierung mit der Kürzung der 1-Euro-Jobs zum 1. Januar 2012 ernst macht, dann sieht es in vielen sozialen Einrichtungen für Drogenabhängige sehr düster aus. Zum Beispiel das Cafe DÖPPs muss ohne 1-Euro-Jobber vermutlich geschlossen werden. Das Gleiche gilt für viele andere soziale Projekte, und zwar bundesweit. Diese Ungerechtigkeit beziehen wir in unseren Protest am 21. Juli mit ein.
Eine Neuausrichtung in Richtung einer Legalisierung erfordert vor allem eine Akzeptanz in der Gesellschaft. Wie könnte diese Akzeptanz gefördert werden? Wie kann man die Mehrheit der Bevölkerung von der angstbehafteten Teilnahmslosigkeit zum Thema Drogenkonsum wegbringen?
Das wird uns ohne Unterstützung der Medien so schnell nicht gelingen, von denen eh nur wenige auf unserer Seite stehen. Ich glaube allerdings schon, dass es möglich ist, das Thema vernünftig rüberzubringen. Ich vergesse niemals, wie hier in Wuppertal im Kommunalwahlkampf der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Hans Kremendahl (SPD) sehr offensiv unsere humane Drogenpolitik in seinen Wahlkampf einbezogen hat. Ob es ihm genutzt hat, kann ich nicht beurteilen, aber es hat ihm auf keinen Fall geschadet.
Das beweist, wenn man das Thema richtig verkauft, kann man den Leuten auch ganz klar sagen, worum es geht. Wenn man den Menschen erklärt, was uns der Krieg der Regierungen gegen die Drogen kostet, wie unglaublich teuer die Strafverfolgung und Kriminalisierung der Konsumenten ist, wird schnell klar, dass unser humaner Weg viel billiger ist. Man muss der Gesellschaft sagen, was man mit der Heroinvergabe oder der Legalisierung sparen kann und was man gewinnt. Die Beschaffungskriminalität geht zurück, die Gesundheit der Drogenkonsumenten bessert sich, was wiederum die Krankenkassen entlastet. Und es wird uns sogar ganz sicher gelingen, einige Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
Was sollten betroffene Eltern lernen, wenn sie erkannt haben, dass ihr Kind ein Drogenproblem hat? Wie erklären Sie Ihren Angehörigen und Nachbarn Ihre ungewöhnliche Einstellung, wie tragen Sie Ihre Gedanken in die Gesellschaft und haben Sie das Gefühl, dass sich etwas verändern kann?
Ich glaube, dass wir durch unsere Arbeit schon eine ganze Menge verändert haben. Akzeptanz bedeutet für uns nicht, dass wir es ganz toll finden, dass unsere Kinder Drogen nehmen. Gewiss nicht. Wir können es aber nicht ändern. Das erkläre ich auch neuen Eltern, die zu uns kommen. Sie sollen es akzeptieren, denn nur dann können sie ihren Kindern ernsthaft helfen. Wogegen wir uns besonders verwahren, ist der Vorwurf, wir wären Co-Abhängig. (Beispiele für Co-Abhängigkeit sind Arbeitskollegen, die die drogenbedingten Minderleistungen eines Kollegen vertuschen und kompensieren, Familienangehörige, die den Suchtmittelkonsum finanzieren, oder Ärzte, die suchtbildende Medikamente ohne korrekte Indikation verordnen. Co-abhängiges Verhalten reduziert den Leidensdruck des Suchtkranken und verlängert so seine Krankheits- und Leidensdauer. Anm. d. Red.) Das hören wir immer wieder. Das ist ein sehr unschöner Begriff. Co-Abhängigkeit kommt vor, aber dieser Begriff wird seltsamerweise nur bei Drogen verwendet.
Es kann doch nicht sein, das man uns vorwirft, dass wir uns um unsere Kinder kümmern. Früher hat man uns gesagt, wir sollen unsere Kinder vor die Tür setzen. Wenn mir jemand damals garantiert hätte, dass unser Kind dadurch aufhört, Drogen zu konsumieren, dann hätte ich das auch gemacht. Aber die sogenannte „Leidensdrucktheorie“ ist absolut gescheitert. Wichtig ist, dass wir unseren Kindern soviel Vertrauen entgegenbringen, dass sie mit ihren Problemen jederzeit zu uns kommen. Dennoch sind die Repressionen in den Elternhäusern oft strenger als bei der Polizei oder bei den Gerichten. Das ist total verkehrt.
Das große Ziel für uns als Eltern ist nicht die Abstinenz. Denn die Erfahrung hat uns gelehrt, dass schätzungsweise zwei Drittel der Drogenabhängigen dieses Ziel nicht erreichen können. Viele werden weiter mit Medikamenten substituiert werden müssen, zum Beispiel mit Diamorphin (Heroin) oder Methadon. Unser höchstes Ziel ist es, unsere Kinder und Angehörigen, die Drogen konsumieren, am Leben zu erhalten, und zwar in Menschenwürde, mit oder ohne Drogenkonsum. Abstinenz ist ein schönes Ziel, wir müssen jedoch so realistisch sein, dass das viele nicht schaffen.
Was genau ist denn jetzt in Wuppertal an Aktionen am Gedenktag geplant?
Wir fangen gegen 11 Uhr an mit einem Gottesdienst mitten auf der Platte. Den machen wir schon ein paar Jahre. Natürlich gibt es auch Musik. Wir haben einen Trommler eingeladen, der auch mit Suchtkranken zusammenarbeitet. Wir wollen zeigen, wie man auch mit Musik therapieren kann. Es gibt jede Menge Stände, auch von sämtlichen Selbsthilfegruppen aus dem Alkoholbereich, die wir sehr gerne mit einbeziehen. Gleis 1 und die Drogenberatung sind ebenfalls vertreten. Wir haben also eine ganz breite Unterstützung in Wuppertal. Wir hoffen auf gutes Wetter und viel Publikum.
Artikel von Torsten Kartelmeyer, erschienen in: Die Straße – Gesellschaft / Regional, Nr. 200, Juli/August 2011. Wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung zur Verwendung des Beitrags.
Das Original findet sich hier: Interview_Heimchen
Kontakt: Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit e. V. c/o Jürgen Heimchen Ravensberger Straße 44 42117 Wuppertal E-Mail: info@akzeptierende-eltern.de Internet: www.akzeptierende-eltern.deDiesen Beitrag teilen