AKTIV GEGEN DISKRIMINIERUNG

Nur nicht alles gefallen lassen!

Von Axel Schock
Diskriminierung wegen einer HIV-Infektion ist leider keine Seltenheit, gerade auch im Gesundheitswesen. Doch man kann sich wehren. So wie Christian, der das Verhalten seiner Zahnärztin nicht hinnehmen wollte.

Seit mittlerweile fast zwei Jahren bietet die DAH-Kontaktstelle zu HIV-bedingter Diskriminierung Hilfe und Unterstützung für Betroffene, die etwa im Krankenhaus, am Arbeitsplatz oder bei Behörden aufgrund ihrer HIV-Infektion negative Erfahrungen machen mussten. DAH-Ansprechpartnerin Kerstin Mörsch informiert ebenso darüber, wie und wo man sich über diskriminierendes Verhalten beschweren kann. Der 24-jährige Westfale Christian wusste sich ganz eigenständig zur Wehr zu setzen.

Christian, was hatte dich in die Zahnarztpraxis geführt?

Ich hatte einfach nur Zahnschmerzen. Am Empfang füllte ich dann den üblichen Gesundheitsfragebogen aus und stolperte dort gleich über einen fragwürdigen Punkt. Man sollte dort in der Liste unter anderem auch ankreuzen, ob man an Aids erkrankt ist. Das habe ich dann gleich mal durchgestrichen und hingeschrieben, was Sache ist, nämlich, dass ich zwar HIV-positiv bin, aber keineswegs aidskrank.

„Gleich mal hingeschrieben, was Sache ist“

Hut ab, dazu gehört schon ein gutes Selbstbewusstsein!

Ich kenne bei so was keine falsche Scham und bin da ziemlich schmerzbefreit.

Wie hat man auf deinen Fragebogen reagiert?

Die Sprechstundenhilfe am Empfang hat ihn sich gar nicht weiter angeschaut. Als ich dann an die Reihe kam, bat ich die Ärztin, doch mal kurz einen Blick darauf zu werfen. Aber außer einem „Na, dann ist das halt so“ kommentierte sie das nicht weiter und begann dann mit der Behandlung.

Eigentlich alles ganz prima, oder?

Vier Wochen später sollte dann noch eine ganz normale Zahnreinigung vorgenommen werden. Nun aber reagierte die Ärztin ganz seltsam: Sie müsse sich erst einmal informieren, ob das in ihrer Praxis überhaupt möglich sei. Ich antwortete dann nur: „Ja, dann informieren Sie sich mal.“ Ich fragte mich allerdings, was dagegen sprechen sollte, dass ich in ihrer Praxis behandelt werde. Die allgemeinen Hygienevorschriften reichen ja schließlich völlig aus, um eine Ansteckung zu verhindern.

Wenn eine einfache Zahnreinigung zum Problem wird

Bist du bei ihr dann doch noch zu deiner Zahnreinigung gekommen?

Nein. Eine Woche später rief mich eine Sprechstundehilfe an und sagte die Behandlung ab. Ihre Praxis sei für einen solchen Fall nicht eingerichtet. Ich müsse dazu in die Uniklinik nach Münster.

Die wollten dich also tatsächlich für eine Zahnreinigung zu einer Uniklinik schicken?

Das habe ich die Sprechstundenhilfe auch gefragt und bin dabei dezent laut geworden. Ich sehe nicht ein, dass ich für eine solche Routinesache extra nach Münster fahren soll. Das ist doch völliger Humbug! Klar war, dass sich diese Ärztin definitiv nicht informiert hatte.

Ich wandte mich dann tatsächlich an die Uniklinik in Münster. Allerdings nicht um einen Termin zu vereinbaren, sondern um mit der Ärztin in der dortigen HIV-Schwerpunktstation zu sprechen.

Konnte sie das Verhalten der Zahnärztin nachvollziehen?

Sie war über diese Dreistigkeit empört und wollte das kaum glauben. Sie riet mir, mich bei der Ärztekammer zu beschweren. Ich rief auch gleich dort an, und man war dort genauso entsetzt. Sie bestanden jedoch auf einer schriftlichen Beschwerde, auf die ich dann schon wenige Tage später eine Antwort bekommen habe.

Und wie lautete die Antwort?

Die Kammer kündigte an, berufsrechtlich gegen das Verhalten der Zahnärztin vorzugehen. Einige Zeit später erhielt ich dann einen Zwischenbescheid. Mittlerweile hatte die Ärztin zu dem Fall Stellung bezogen und alle Vorwürfe abgestritten. Sie hätte mich sehr wohl behandeln wollen, allerdings erst zum Ende der Sprechstunde.

Behandlung erst zum Ende der Sprechstunde

Die Zahnärztin hatte sich ganz offensichtlich immer noch nicht schlau gemacht, was Infektionswege und tatsächliche Infektionsrisiken angeht. Ich hatte zwischenzeitlich auch mit Leuten in meiner Aidshilfe darüber gesprochen, die ihr daraufhin ein paar Zeilen schickten und Aufklärungsbroschüren beilegten.

Und was ist nun der aktuelle Stand?

Die Ärztekammer hatte mir die Möglichkeit gegeben, auf die Gegendarstellung der Ärztin zu reagieren. Wie die Sache für sie nun letztlich ausgeht, weiß ich noch nicht.

Und was ist aus deiner Zahnprophylaxe geworden?

Ich bin zu einem anderen Zahnarzt in meiner Stadt gegangen, von dem ich viel Gutes gehört hatte.

Hast du ihm nach all dem Stress deinen HIV-Status verschwiegen?

Nein, ich habe auch diesmal den Patientenfragebogen ganz wahrheitsgemäß ausgefüllt. Als ich dann im Behandlungszimmer saß, sagte ich: „Bevor Sie jetzt loslegen, sag ich Ihnen gleich, was Sache ist. Wenn Sie damit ein Problem habe, gehe ich wieder.“ Der Zahnarzt schaute mich an, grinste und sagte: „Ach, Sie sind das also, der sich neulich über die Kollegin beschwert hat.“

Das hatte also bereits unter den Kollegen die Runde gemacht. Ich fand das großartig. Wenn sich die Zahnärzte hier in der Gegend nun darüber austauschen, hat sich allein dafür die ganze Sache bereits gelohnt.

Und wie hat sich der Arzt dann während der Behandlung verhalten?

Der war total locker und aufgeschlossen. Er sagte, dass die HIV-Infektion für ihn keinerlei Problem ist und ich für ihn ein Patient wie jeder andere bin. Ich fühle mich in dieser Praxis richtig wohl.

„Ich fühlte mich ausgrenzt, auch irgendwie hilflos“

Die Zahnärztin, bei der du zuerst warst, hat dich ja eigentlich vor die Tür gesetzt. Wie hast du dich dabei gefühlt?

Ausgrenzt, auch irgendwie hilflos. Ich hab’s einfach nicht verstanden.

Mit der Behandlung der Zahnschmerzen schien sie ja keinerlei Probleme zu haben.

Das ist ja das Kuriose, was ich bis heute nicht verstehe. Vielleicht wurde sie im Nachhinein von Angst und Unsicherheit eingeholt. Das wäre menschlich, aber da gibt es Abhilfe: Man informiert sich.

Was sie offenkundig nicht getan hat.

Ich würde nie jemanden verurteilen, nur weil er nicht über die Infektionsrisiken Bescheid weiß. Ich gebe jedem die Chance, sich darüber zu informieren. Da reicht es schon aus, ein bisschen zu googeln. Notfalls kann man mich auch einfach fragen. Was ich aber überhaupt nicht ausstehen kann, sind dumme Sprüche oder faule Ausreden. Deshalb traf mich dieser Rauswurf auch so sehr. Aber für mich war klar, dass ich sie damit nicht durchkommen lasse.

„Es ist immer gut, sich nach solchen Erlebnissen mit anderen auszutauschen“

Was würdest du anderen HIV-Positiven raten, die in ähnliche Situationen geraten?

Lasst es euch nicht gefallen! Wobei man natürlich immer den Einzelfall betrachten muss. Wer mutig genug ist, unternimmt vielleicht selbst was dagegen. Wer so was schon häufiger erlebt hat, hat aber womöglich keinen Mut mehr. Dann redet man erst mal darüber, vielleicht mit jemandem aus seiner Selbsthilfegruppe oder einem Aidshilfe-Berater.

Zum Beispiel mit Kerstin Mörsch von der Kontaktstelle.

Es ist immer gut, sich nach solchen Erlebnissen mit anderen auszutauschen, sich beraten und sich gegebenenfalls helfen zu lassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kerstin Mörsch von der Kontaktstelle HIV-bedingte Diskriminierung ist telefonisch unter 030-69 008 767 (Montag, Dienstag und Freitag von 9 bis 15 Uhr) sowie über die E-Mail-Adresse gegendiskriminierung@dah.aidshilfe.de erreichbar. Weitere Informationen zur Kontaktstelle im Blog-BeitragBeraten, unterstützen, verändern“

Link zum Infoblatt der Bundeszahnärztekammer zur Behandlung von HIV-Positiven

1 Kommentare

Horst 25. Juni 2015 0:56

Das bescheuerte an der ganzen Sache ist ja, dass jeder andere Patient auch HIV positiv sein könnte, selbst wenn er nichts davon weiß. Die Ärzte müssen sich einfach bei allen „Kunden“ gleich schützen.

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