Gemeinschaft stärkt. Das gilt auch für Menschen, die sich in einem Zweigeschlechtersystem nicht einordnen können oder wollen. Inzwischen finden Trans*Personen auch abseits der Metropolen Anlaufstellen – wie in Darmstadt mit „Sei Trans* Du“.

Manchmal gibt es nichts Besseres, als einfach mit anderen zu reden. Mit Menschen, die ähnlich fühlen und mit den gleichen Ängsten, Problemen und Unsicherheiten umgehen müssen wie man selbst. In Darmstadt finden Trans*Menschen einmal monatlich im dortigen Mehrgenerationenhaus einen Ort, an dem sie ihre Erfahrungen austauschen, Sorgen ansprechen, aber sich auch gegenseitig Mut machen können.

Matthieu Fraissinet-Tachet ist seit drei Jahren bei „Sei Trans* Du“ und mittlerweile einer der drei Organisator_innen der Gruppe. „Uns ist wichtig, den Leuten einen geschützten Raum anzubieten, in dem sie sich trauen können, in ihrem gewünschten Geschlecht zu sein, und – zumindest hier – die Chance haben, sich in ihrer eigenen Haut wohlzufühlen.“ Angst haben, deshalb komisch angeschaut zu werden oder auf Vorurteile zu stoßen, muss hier niemand.

Hilfe und Unterstützung im Selbstfindungsprozess

Acht Leute kommen im Durchschnitt zu den nachmittäglichen Treffen bei Kaffee, Tee und Keksen – der Jüngste ist 19, die Älteste bereits über 60. Und so breit die Altersspanne ist, so unterschiedlich sind die Teilnehmenden in ihrer Identitätsfindung vorangeschritten.

„Die Gruppe ist offen für alle, die sich für die Thematik interessieren oder involviert sind“, betont Matthieu. Die Treffen sollen allen die Möglichkeit bieten, Fragen zu stellen, und einen Raum schaffen, wo sie sich selbst ausforschen können: Wo stehe ich, und wo sehe ich mich im Spektrum der Geschlechteridentitäten, das sich in Begriffen wie „genderqueer“ und „transgender“, „transvestitisch“ und „genderfluid“ widerspiegelt?

Matthieu von "Sei Trans* Du" (Foto: privat)
Matthieu von „Sei Trans* Du“ (Foto: privat)

Einige stünden in diesem Prozess noch ganz am Anfang und suchen vor allem nach Orientierung und Informationen, um für sich Klarheit zu schaffen, erklärt Matthieu. „Andere haben ihren Weg schon gefunden und sind bereits so selbstbewusst, dass sie sich ohne Angst so zeigen und bewegen können, wie sie es gut und richtig finden.“

„Sei Trans* Du“ ist nur eine der vielen Angebote und Arbeitsgemeinschaften von Vielbunt e.V., dem gemeinnützigen Verein der queeren Community in Darmstadt. Seit fünf Jahren organisiert dieser die Aktivitäten der LGBTs – der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*Menschen – in der Stadt, und so lange existiert auch schon die Trans*-Gruppe.

Wer früher Kontakt zu Gleichgesinnten suchte, musste dazu weit fahren. Die nächstgelegenen Selbsthilfegruppen für Trans* waren in Frankfurt/Main und Neu-Isenburg zu finden. Erfreulicherweise hat sich mittlerweile ein breites Netz an Anlaufstellen und Initiativen quer durch die Republik gebildet.

Über 50 Trans*-Initiativen bundesweit

Mittlerweile gibt es bundesweit rund 50 solcher offenen Gesprächsabende und Stammtische – von Aachen und Ansbach über Koblenz und Kassel bis Wilhelmshaven und Wolfsburg.

Das Interesse an solchen Angeboten scheint zu wachsen. Diese Beobachtung hat auch Matthieu gemacht. Es gebe immer mehr Anfragen über die Webseite des Vereins oder über die Facebook-Seite von „Sei Trans* Du“. Die meisten erkundigen sich allgemein nach den Aktivitäten der Gruppe, viele haben aber auch ganz konkrete Fragen oder suchen nach Hilfe. „Es meldete sich beispielsweise eine Ehefrau, deren Mann als Frau leben möchte und die nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte. Ein Erzieher wiederum hatte in seiner Gruppe eine jugendliche Trans*person und suchte nach mehr Informationen, weil er sich überfordert und nicht kompetent fühlte.“

Bei solchen Fragen verweisen die „Sei Trans* Du“-Organisator_innen zumeist an andere Stellen. Denn, wie Matthieu noch einmal herausstellt: „Wir verstehen uns als Selbsthilfegruppe, nicht als Beratungseinrichtung.“ Und deshalb wird in den entspannten Kaffeerunden vor allem über die eigenen Erfahrungen gesprochen, über positive wie negative, über Erfolgserlebnisse und Rückschritte. Und es werden ganz handfeste Tipps und Ratschläge ausgetauscht: zum Coming-out am Arbeitsplatz genauso wie zu empfehlenswerten Therapeut_innen und Ärzt_innen. Die Hormoneinnahme ist immer wieder ein zentrales Thema. Sie sei keineswegs ein Muss, aber ein wichtiger Schritt und damit auch ein Symbol innerhalb der Trans*-Community, erklärt Matthieu.

Drei Gäste der Gruppe wiederum klüngeln regelmäßig zusammen, um sehr leidenschaftlich über ihr ganz eigenes Ding zu reden. „Über Autos!“, verrät Matthieu und lacht. „Keine Ahnung, was die da stundenlang zu besprechen haben, aber ich finde das cool.“ Und dass unter den Fachsimpelnden auch eine Trans*Frau ist, findet Matthieu „besonders überraschend“ – und lacht wieder. Geschlechterklischees über den Haufen werfen – dafür ist die Gruppe schließlich da.

Von Axel Schock

Kontakt „Sei Trans* Du“: trans@vielbunt.org

Eine bundesweite Übersicht über Gruppen, Stammtische und Beratungseinrichtungen für Trans* gibt es zum Beispiel auf Transgender-net.de und von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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