Die Schwulenberatung Berlin plant besondere Unterkünfte für schwule, lesbische und Trans*-Flüchtlinge. Geschäftsführer Marcel de Groot erläutert im Interview die Hintergründe und Ziele des Vorhabens.

 Wie kam es dazu, dass ihr euch nun auch für die Betreuung von LGBT-Flüchtlingen stark macht?

Marcel de Groot: Zum einen verfolgen natürlich auch wir die gesellschaftliche Entwicklung und den wachsenden Bedarf an Unterkünften für Flüchtlinge. Zum anderen haben wir selbst immer wieder mal Flüchtlinge in unserer Beratung und bekommen durch sie ganz direkt mit, dass sie in den Gemeinschaftsunterkünften nicht sehr glücklich sind.

Was sind die Gründe dafür?

Viele dieser Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen Homosexualität unter Strafe steht oder gesellschaftlich geächtet wird. Sie haben deshalb Angst, sich vor den anderen Mitbewohnern, die häufig aus der gleichen Region stammen, zu outen. Dementsprechend schwierig ist es für sie, in diesen Heimen jemanden wie sie zu finden, und so bleiben sie notgedrungen völlig isoliert. Als größte schwule Organisation in Berlin sehen wir uns deshalb in der Verantwortung, hier etwas zu tun. Im vergangenen Jahr haben wir darüber nur intern diskutiert, nun sind wir in der Lage, auch konkrete Vorschläge zu machen.

Vom Zimmergenossen bespuckt

Kannst du ein Beispiel für die Situation in den Heimen schildern?

Ein schwuler Flüchtling aus Syrien war über mehrere Zwischenstationen nach Deutschland und schließlich nach Berlin gekommen. Er hatte angenommen, dass er hier relativ offen leben kann. In dem Wohnheim, in dem er untergebracht war, hatte er daher seinem Zimmergenossen erzählt, dass er schwul ist. Daraufhin wurde er von ihm bespuckt.

Der Syrer wandte sich daraufhin an die Heimleitung, die den Zimmergenossen auch zurechtgewiesen hat. Für den schwulen Mann war damit aber klar, dass er in diesem Umfeld kein Coming-out nicht mehr wagen würde. Alleinstehende müssen in solchen Unterkünften immer wieder das Zimmer wechseln, um Platz für Paare oder Familien zu machen. Das heißt, man hat ständig wechselnde Mitbewohner.

… deren Reaktionen auf ein Coming-out man nicht einschätzen kann.

Richtig. Das betrifft allerdings auch die Dolmetscher, die den Flüchtling beispielsweise zu Ämtern begleiten, um dort die auszufüllenden Formulare zu übersetzen. Aufgrund seiner Erfahrungen hat er Angst, sich auch ihnen gegenüber zu outen. Oft nämlich stammen die Dolmetscher aus den gleichen Ländern wie die Flüchtlinge selbst und wurden dort mit der ablehnenden Haltung gegenüber LGBT sozialisiert. Wenn jemand den Mut aufbringt, sich bei Behörden als schwul zu outen, kann er sich daher nicht sicher sein, ob der Dolmetscher das tatsächlich so übersetzt oder aus Scham einfach verschweigt.

Die meisten LGBT-Flüchtlinge, das wissen wir aus den Beratungsgesprächen, suchen nach Halt in der Community. Sie erwarten nicht unbedingt, dass dort ihre Probleme gelöst werden, aber sie wünschen sich, unter ihresgleichen zu sein und Ansprechpartner zu haben, die wissen, was es bedeutet, schwul, lesbisch oder trans* zu sein.

Die Berliner Politik zeigt Verständnis und Bereitschaft

In einem offenen Brief an Mario Czaja, den zuständigen Senator für Gesundheit und Soziales, hat die Schwulenberatung nun gefordert, Unterkünfte speziell für LGBT-Flüchtlinge bereitzustellen. Ihr habt dazu auch eure Unterstützung angeboten. Gibt es bereits eine Antwort?

Zwischen den Berliner Behörden und der Schwulenberatung hat sich über die Jahre eine enge und gute Zusammenarbeit entwickelt. Auch bei diesem Thema rennen wir gewissermaßen offene Türen ein.

Marcel de Groot
Marcel de Groot

Wir hatten inzwischen einen Termin mit Franz Allert, dem Chef des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales, wo wir deutlich machen konnten, wie notwendig die Schaffung solcher Unterkünfte ist. Wir denken, sie würden sehr gut zu Berlin passen und ein weiteres sichtbares Zeichen einer offenen Regenbogen-Stadt darstellen.

Wie sollten diese Unterkünfte eures Erachtens beschaffen sein?

Wir halten es für sinnvoll, LGBT-Flüchtlinge zusammen in kleinen Wohngruppen unterzubringen, um ihnen die Situation, aber auch die Integration zu erleichtern. Denn neben den Traumata, die fast alle Flüchtlinge belasten, leiden LGBT oft auch unter den Folgen der Verfolgung und Ausgrenzung, die sie in der Heimat aufgrund ihrer Homosexualität erlebt hatten.

„Ein weiteres sichtbares Zeichen einer offenen Regenbogen-Stadt“

Das hieße aber, dass sich die Flüchtlinge im Aufnahmeverfahren outen müssten.

Das wird für manche sicherlich ein Problem sein, auch wenn in Deutschland – als einem von wenigen Ländern überhaupt – Homosexualität unter bestimmten Voraussetzungen als Asylgrund anerkannt werden kann. Wenn du aus einem Land kommst, in dem dich die Behörden wegen deiner Homosexualität ins Gefängnis stecken können, wirst du dich in einem anderen Land gegenüber den dortigen Behörden nicht gleich freimütig als Schwuler zu erkennen geben. Es werden also nur wenige diesen Weg wählen.

15.000 Flüchtlinge leben aktuell in Berlin, 20.000 weitere werden in diesem Jahr erwartet. Ihr fordert nun, der Berliner Senat solle mindestens 200 Plätze für queere Flüchtlinge einrichten. Wie seid ihr auf diese Zahl gekommen?

Dazu gibt es ja keine Erhebungen – wir haben diese Zahl schlicht prozentual hochgerechnet. Wir schätzen, dass bis Ende 2015 etwa 1.000 LGBT-Flüchtlinge in der Stadt leben werden. Aber nur ein Teil von ihnen wird sich tatsächlich outen und eine entsprechende Unterkunft in Anspruch nehmen wollen. Wir werden und wollen natürlich niemanden zu einem Outing drängen, doch wir fühlen uns in der Verantwortung, ein entsprechendes Angebot für diejenigen bereitzustellen, die offen schwul, trans*, bi oder lesbisch leben.

20.000 weitere Flüchtlinge werden in Berlin erwartet

Wenn ich richtig verstanden habe, erkennen die Berliner Behörden den Bedarf an und unterstützen auch grundsätzlich euren Vorstoß. Was heißt das konkret?

Wir suchen jetzt nach Immobilien, die für solche Wohngruppen geeignet sind, also entsprechende Vorgaben erfüllen und nicht zuletzt auch bezahlbar sind. Und natürlich bemühen wir uns um die Finanzierung. Unser Ziel sind rund 30 Wohngemeinschaften mit jeweils acht bis zwölf Plätzen. Diese Platzzahl hat auch einen verwaltungstechnischen Grund: Bei mehr als einem Dutzend Plätze würden wir gleich in eine andere Kategorie mit recht komplizierten Zusatzauflagen fallen.

Und gibt es zur Unterkunft auch ein Betreuungsangebot?

Schon jetzt kommen ja immer wieder auch Flüchtlinge in unsere Beratung, und auch die Lesbenberatung ist hier sehr aktiv. Darüber hinaus planen wir gemeinsam mit „Aktion Mensch“ eine Begegnungsstätte für queere Flüchtlinge. Das soll ein niedrigschwelliges Angebot werden, wo man bei ganz einfachen Fragen des Alltags Hilfe und Unterstützung bekommt, zum Beispiel: An welche Behörde muss ich mich wenden? Was steht in diesem Brief?

Wie sind bisher die Reaktionen auf euren Aufruf?

Die Verwaltung – das möchte ich an dieser Stelle noch mal betonen – hat sehr offen und verständnisvoll reagiert und unser Engagement sehr wohl zur Kenntnis genommen. Auch aus der Community kamen bislang nur positive Rückmeldungen. Zugleich aber wird von uns auch erwartet, dass wir uns für LGBT-Flüchtlinge einsetzen. „Wer, wenn nicht ihr“, so der Tenor, „sollte es sonst tun?“

Website der Schwulenberatung Berlin

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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