Gesundheitsversorgung für Trans*

Befund: diskriminierend und gesundheitsgefährdend

Von Gastbeitrag
Ob in der medizinischen Versorgung, der Pflege oder der therapeutischen Behandlung – trans* Menschen werden in den Versorgungssystemen oftmals nicht mitgedacht oder gar diskriminiert. Der Band „Trans&Care – Trans Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung“ analysiert diese Defizite und versucht erste Handlungsempfehlungen für die Politik und das Gesundheitswesen. Andrea Bronstering hat das Buch kritisch gelesen.

Die Lebensrealität von trans* Menschen, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können oder wollen, wird seit Jahren rege beforscht, meist aus gender-, sozial- und kulturwissenschaftlicher, seltener naturwissenschaftlicher Perspektive.

Die Literatur stellt ab auf rechtliche Rahmenbedingungen einer Transition, fragt nach Teilhabe von trans* Menschen am Arbeitsmarkt, spürt Diskriminierungen und Gewalterfahrungen aufgrund der geschlechtlichen Identität nach, dekonstruiert en passant das binäre Geschlechtersystem.

Trans&Care nimmt die Position von trans* Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung in den Blick

Der neu erschienene Sammelband Trans&Care nimmt nun die Position von trans* Personen zwischen „Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung“ in den Blick.

Das englische Substantiv „care“ lässt sich als „Kümmern“ und „Sorge“, aber auch als „Pflege“ und (medizinische) „Versorgung“ übersetzen; man kann es passiv erfahren wie auch aktiv einfordern. Damit ist das Feld umrissen, auf dem sich die 15 Beiträge des Buches aus der Feder von insgesamt 24 Autor_innen bewegen.

„Die Versorgungslage bleibt…problematisch und lückenhaft“

Sie beschäftigen sich im engen Sinn mit dem Zugang zu medizinischen Leistungen, die trans* Menschen im Zuge einer Transition, der körperlichen Angleichung an das gelebte Geschlecht, nachfragen; im weiteren Sinn mit der allgemeinen medizinischen Versorgung der trans* Klientel im ambulanten, stationären und pflegerischen Setting.

Der Befund der Autor_innen ist deprimierend: „Obschon Transgeschlechtlichkeit in vielen Teilen der Gesellschaft größere Aufmerksamkeit gewinnen konnte, bleibt die Versorgungslage von trans Personen bestenfalls problematisch und lückenhaft – im schlimmsten Fall ist sie diskriminierend, gesundheitsgefährdend und verletzend.“

In der Einleitung wird der Anspruch erhoben, „Trans&Care“ als ein „strategisch-politisches Buch zu verstehen“. Es geht in der Folge um Kritik an „institutioneller Ignoranz“, weiter wird aufgezeigt, wie die Sorgearbeit für trans* Menschen „affirmativ und inklusiv zu gestalten“ sei. Dabei bemängeln die Autor_innen, dass es bis heute keine repräsentativen Studien zu trans* Menschen in Deutschland und speziell zu ihrer medizinischen Versorgung gibt, auch zur Anzahl gibt es nur Schätzungen.

Zitierte Arbeiten aus anderen europäischen Ländern und den USA seien nicht ohne Weiteres auf hiesige Verhältnisse übertragbar. Als unhintergehbar erscheint den Autor_innen, dass das konkrete Wissen über die sozialen, psychischen und medizinischen Bedürfnisse von trans* Menschen bei vielen Akteur_innen des Gesundheitswesens ausgesprochen dürftig sei und es auch deswegen zu unsensiblem bis abwertendem Verhalten komme.

Wenn die medizinische Versorgung zum traumatischen Erlebnis wird

Bevor ein gesetzlich krankenversicherter Mensch in Deutschland mit einer Hormonbehandlung eine körperliche Transition einleiten kann, muss der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) von deren medizinischer Notwendigkeit überzeugt werden.

Das bedeutet monatelanges Warten, intime körperliche Untersuchungen und psychologische Interviews zur Sicherung der Diagnose. Dabei stoßen trans* Menschen oft auf unempathisches medizinisches Personal, das zwischen Professionalität, Unsicherheit und Voyeurismus schwankt. Weiter passiert es immer wieder, dass sie im Wartezimmer einer Praxis mit einem Pronomen aufgerufen werden, das ihrem geschlechtlichen Erleben nicht entspricht. Auch geschieht es, dass sie gegen ihren Willen in der Klinik in ein Männer- statt Frauenzimmer (und vice versa) gelegt werden.

„Medizinisches Personal, das oft zwischen Professionalität, Unsicherheit und Voyeurismus schwankt“

Diese als traumatisch erlebten Umstände lassen viele trans* Menschen Kontroll- und Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrnehmen und Krankheiten verschleppen.

Die Hormonsubstitution für trans* Menschen erfolgt nach dem Off-Label-Use, d.h. der Behandlung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der nach dem Arzneimittelgesetz zugelassenen Anwendungsgebiete: Sie bekommen Präparate, die für cis Menschen (jene, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren) entwickelt wurden. Ob eigens für die trans* Personen produzierte Hormonpräparate besser geeignet wären, ist eine Frage an die pharmazeutische Forschung, die im vorliegenden Buch nicht gestellt wird.

Nicht ausreichend krankenversicherte trans* Menschen bestellen sich Hormonpräparate über das Internet und injizieren diese selbst. Dabei kann es zu Infektionen bei der Benutzung nichtsteriler Spritzen kommen, vor allem aber fehlt eine regelmäßige ärztliche Kontrolle der mittel- bis langfristigen Wirkung dieser starken Medikamente auf den Organismus, gerade in Kombination mit anderen Arzneien, bei Überdosierungen oder bei Vorerkrankungen.

Die Entpathologisierung von trans* Menschen ist überfällig

Transaktivistische Gruppen fordern seit langem eine Entpathologisierung von trans* Personen. In der aktuellen, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen International Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10) wird trans als „psychische Störung“ definiert, in der ab 2022 geltenden Fassung ICD-11 wird von einer „Geschlechtsinkongruenz“ die Rede sein.

Hieran lässt sich nach Katharina Jacke (im vorliegenden Band) eine Liberalisierung des medizinisch-gesellschaftlichen Umgangs mit trans* aufweisen. Die Inkongruenz zwischen der Geschlechtsidentität und dem Zuweisungsgeschlecht begründet die Krankheitswertigkeit und damit die weiter gerechtfertigte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.

Dieses Normaler-Werden von trans* schlägt sich auch in einer Ausdifferenzierung etwa der schwulen Szene nieder: Laurette Rasch stellt im vorliegenden Band eine HIV-Präventionskampagne der DAH vor, die sich explizit an schwule Trans*männer richtet.

Auch belastende ökonomische und soziale Verhältnisse machen krank

Dass belastende ökonomische und soziale Verhältnisse krank machen können, ist bekannt seit Rudolf Virchow. Dies betrifft trans* Personen insofern, als sie überproportional stark unter Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung leiden: „Es ist anzunehmen, dass gesundheitliche Ungleichheiten im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft in verstärkter Weise bei trans Personen beobachtet werden können“, heißt es dazu in „Trans&Care“.

Die Bewältigung trans* konnotierter Herausforderungen könnte auch die Widerstandsfähigkeit stärken

So werden US-amerikanische Studien zitiert, nach denen trans* Personen häufiger als cis Personen Drogen konsumieren, stärker finanziell abhängig von Sexarbeit sind und sich öfter auf ungeschützten Geschlechtsverkehr einlassen. Zudem führen in nicht wenigen trans* Biografien Ablehnung seitens der Familie und limitierter Kontakt zu eigenen Kindern im höheren Alter zu stärkerer Isolation.

Möglicherweise aber kann die Bewältigung trans* konnotierter Herausforderungen in der Biografie auch zu einer beachtlichen Resilienz führen, die trans* Menschen den letzten Lebensabschnitt, der vielfach mit nachlassender Mobilität einhergeht, gelassener leben lässt.

Trans* Menschen und Altern

Der Beitrag „Altern Trans anders?“ vermag die Erwartungen nur bedingt erfüllen. Denn es bleibt unbesehen, wie sich eine über Jahrzehnte erfolgende Hormonbehandlung auf Gesundheit und Lebensqualität der trans* Personen im Alter auswirkt, ob es etwa Korrelationen zu Erkrankungen der Schilddrüsen und der Leber, zu Arthrosen, Thrombosen oder Krebs gibt. Mutmaßlich ist trans* aus der Perspektive klinischer Forschung eine orphan disease [Anm. d. Red.: seltene Krankheit], zu der qualitative Studien zu kostspielig sind.

Stellen sollte man diese Fragen trotzdem, sind doch trans* Menschen, die sich für eine Hormonbehandlung entscheiden, nach der operativen Entfernung eigener Keimdrüsen lebenslang auf diese Substitution angewiesen.

Es fehlen valide Daten und interdisziplinäre Studien

Leider wird im besprochenen Buch die Expertise niedergelassener Mediziner_innen ausgeblendet. Schließlich sind sie es, die trans* Patient_innen oft über Jahre in internistischen, gynäkologischen, endokrinologischen oder allgemeinmedizinischen Praxen versorgen und am ehesten anonymisiert über eventuelle trans* assoziierte Komorbiditäten respektive Prävalenzen Auskunft geben könnten.

Fazit: Die Beiträge des Sammelbandes „Trans&Care“ konstatieren, dass trans* Menschen im deutschen Gesundheitswesen strukturelle Diskriminierung erfahren, was auch an der angenommenen Gate-Keeping-Funktion der Ärzt_innen liege. Sie beklagen unisono, wie dünn die valide Datenlage hinsichtlich der medizinischen Versorgung von trans* Menschen sei.

Handlungsempfehlungen an die Politik, die Verwaltung und die Beratungslandschaft ließen sich daher nur vage äußern. Damit ist ein impliziter Forschungsbedarf für die Zukunft formuliert: Es braucht deutlich mehr interdisziplinär generierte Empirie, unter Beteiligung einer gelebten trans* Erfahrung. Das vorliegende Buch liefert dafür einen ersten Grundriss.

Max Nicolai Appenroth, Maria do Mar Castro Varela (Hg.): „Trans&Care. Trans Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung“, transcript Verlag 2019, 312 Seiten, 29,99 Euro.

 

Lektüretipp der magazin.hiv-Redaktion:

Mit der sexuellen Gesundheit von trans* Menschen beschäftigt sich die Bachelor-Arbeit von Jana Maria Knoop aus dem Jahr 2018, die wir auf aidshilfe.de kostenlos zum Download anbieten.

Sie geht der Frage nach, welche Lücken in der Gesundheitsversorgung von trans% Menschen in Bezug auf HIV/Aids bzw. sexuell übertragbare Krankheiten und Trans% existieren und welche Handlungsbedarfe bzw. -empfehlungen für Deutschland sich daraus ableiten lassen.

 

Weitere Beiträge zum Thema auf aidshilfe.de und magazin.hiv (Auswahl):

ICD-11: WHO wertet Trans* nicht mehr als „mental oder verhaltensgestört“ (aidshilfe.de, 19. Juni 2018)

Für eine respektvolle Versorgung von trans* Menschen!

Historische Resolution für die Rechte von Trans*-Personen verabschiedet

 

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