Verschmitzter Provokateur und Störer
Man lebt zweimal“, schrieb Honoré de Balzac: „Das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung“. Wie erinnern wir uns an Menschen, die etwas im Umfeld von HIV und Aids bewegt haben? Was bleibt von ihnen, wie bleiben sie in unserem Gedächtnis? Diese und andere Fragen zum Gedenken stehen in unserer Reihe mit Porträts von Verstorbenen.
Wenn sich die heftigsten Debatten, die härtesten Kontroversen festgefahren hatten, ein Streit persönlich verletzend zu werden drohte, war es dieses verschmitzte Lächeln, mit dem Franz manchem die Spitze nahm, ohne die Ernsthaftigkeit des Anliegens zu schmälern. Hinter dieser rheinischen Freundlichkeit steckte aber auch ein knallharter Verhandler, wenn es um die Durchsetzung von Interessen jener Menschen ging, die sonst keinen Anwalt hatten. Manche Gesundheitsdezernentin, mancher Krankenkassenmanager hat das mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen müssen.
„Hinter der rheinischen Freundlichkeit steckte ein knallharter Verhandler“
Kennengelernt habe ich Franz 1987, als ich, neu in Köln, auf Wohnungssuche war und den Tipp bekam, dass er in der Kölner Innenstadt eine renovierungsbedürfte Gründerzeitwohnung für eine WG gefunden hatte und nach tatkräftigen Mitbewohnern suchte. Für eine erste Begegnung mit ihm gab es wohl kaum einen symbolträchtigeren Ort als diese „Wohn-Baustelle“: „Work in Progress“ als Lebensmotto!
Franz stammte aus einer alteingesessenen bäuerlichen Familie aus dem rheinischen Wachtberg (der Vater war dort auch Bürgermeister), verwurzelt in dieser besonderen Mischung aus Katholizismus, Karneval und Kappes.
An der Kölner Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen galt er schon früh als Provokateur und Störer, weil er sein Schwulsein dort ganz selbstverständlich gelebt hat. Unfreiwillig wurde diese Hochschule für ihn zum Nährboden für die Entwicklung gezielter Provokationen als öffentlichkeitswirksames Mittel politischer Arbeit.
ACT UP: Franz im knappgeschnittenen Krankenschwester-Outfit schiebt ein Krankenbett durch die belebteste Kölner Einkaufsstraße, um für eine kostendeckende Finanzierung von Pflegeleistungen für Aidskranke zu demonstrieren. Ein „Die-in“ im Foyer des historischen Rathauses, um gegen städtische Haushaltskürzungen in der HIV- und Aidsversorgung zu protestieren.
„Er konnte schrill sein bis es quietscht“
Franz breit lächelnd mit Moustache, im knackigen „Kleinen Schwarzen“, drüber der größte pinkfarbene Damenhut ever, als Werbefee für „Das Los“ zugunsten von SchwIPS beim Cologne Pride. Franz konnte schrill sein bis es quietscht, und der Zweck heiligte auch dieses Mittel. „Schöner Pflegen“ war das Werbemotto seines Pflegedienstes SchwIPS e.V. , der Schwulen Initiative für Pflege und Soziales.
Nach seinem Studium arbeitete er beim Bonner Verein für Gefährdetenhilfe, der sich um Obdachlose, Drogengebraucher und Strafgefangene kümmerte. Eine weitere Facette von Franz Schmitz: Am WG-Küchentisch ganz selbstverständlich sein Vormundschaftsmündel „Wally“, die er bis zu seinem Tod mit einer ungeheuren Verantwortungsbereitschaft und Geduld betreute. Sie war dort ebenso Gast wie der entlassene Strafgefangene oder der afrikanische Bauer, dessen Landkooperative auch zu Franzens Projekten zählte. Dass wir in der WG selbstredend fair gehandelte Produkte verzehrten, war genauso selbstverständlich, weil er an einem Dritte-Welt-Laden beteiligt war.
Das damalige glf-Sozialwerk in Köln (heute Rubicon e.V.) verdankt seinen Aufstieg von einer ehrenamtlichen Beratungsstelle hin zum schwul-lesbischen Beratungszentrum mit über zehn hauptamtlichen Mitarbeiter_innen nicht unwesentlich seiner Fachlichkeit und seinem Verhandlungsgeschick als ehrenamtlicher Vorstand. Vorstand war er auch in der Deutschen AIDS-Hilfe, außerdem war er Fachreferent, Mitarbeiter in Verbandsgremien und Moderator.
Ein Krieg an mehreren Fronten
Auf dem Höhepunkt der Aidskrise Ende der 1980er-Jahre konnte die Aidshilfe NRW ihn als Mitarbeiter gewinnen. In diese Zeit fiel der Aufbau des nordrhein-westfälischen Spritzenautomaten-Projekts und die Gründung des Spezialpflegedienstes Schwips. Die Erkrankung schwuler Freunde zeigte immer deutlicher die Grenzen unserer Gesundheitsversorgung auf, insbesondere unseres Pflegesystems. Die Krankenhäuser, aber auch die etablierten Pflegedienste waren mit der Versorgung von Aidskranken überfordert: Das Lebensumfeld der Patienten war ihnen fremd, was nicht selten zu direkter Ablehnung führte. Krankenzimmer mit sechs Patienten, darunter Aidskranke in der Finalpflege, völlig überforderte Pflegedienste und Krankenkassen, in deren Abrechnungsziffern die Lebenswelt junger, an Aids erkrankter Schwuler nicht vorkam.
Für Franz wurde es ein Krieg an mehreren Fronten: Aufbau eines Spezialpflegedienstes, Gewinnung und Anleitung von Mitarbeiter_innen, sozialarbeiterische Betreuung der Patienten, Beschaffung von Fördermitteln und Einzelfall-Abrechnung von Pflegeleistungen. Wobei sich anfangs fast jede Abrechnung zum „Präzedenzfall“ auswuchs und zu einem Verhandlungsmarathon mit Sozial- und Gesundheitsdezernenten, Rats- und Landespolitikern sowie Krankenkassen führte.
Das SchwIPS-Infusionszentrum, gerade mit viel Mühe und Geld eingerichtet, war durch den medizinischen Fortschritt schon wieder überholt und damit überflüssig. Und schlussendlich die bittere Wahrheit, dass eine an den speziellen Bedürfnissen der Menschen mit Aids orientierte Pflege auf Dauer nicht abrechenbar war und SchwIPS dauerhaft verschuldete.
Selbstbewusst schwul und selbstbewusst positiv
Franz hatte ein ausgeprägtes Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen und die Formulierung von praktischen Antworten auf neue Herausforderungen. Der demografische Wandel war früh sein Thema. So war das letzte große Projekt, das er sich kurz vor seinem Tod vorgenommen hat, die Schaffung von kleinteiligen, szenenahen Wohn- und Pflegeangeboten für ältere Schwule und Lesben sowie für Menschen mit HIV und Aids.
Dass er HIV-positiv war, erwähnte er fast beiläufig, ohne es zu verstecken. Er war selbstbewusst schwul und selbstbewusst positiv.
Franz war wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt und daher kürzer, aber umso intensiver leuchtet. Und für uns alle war das selbstverständlich, weil Franz uns stark und unverwundbar erschien und wir in jener Zeit Menschen wie ihn zur Orientierung und als Stütze brauchten. Er starb am 3. Dezember 2003 mit nur 45 Jahren an einem Herzinfarkt.
Reinhard Klenke
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