Aktivismus

„Es ist eine entwürdigende Erfahrung, das eigene Geschlecht beweisen zu müssen“

Von Gastbeitrag
Person sitzt auf einer Mauer und tippt in ihr Smartphone.
Symbolbild von Mixmike / iStockphoto.com

lou kordts, trans Feministin und Geschäftsführerin der Aidshilfe Oldenburg, setzt sich unter anderem auf Twitter für ein stärkeres Bewusstsein über die vielschichtige Diskriminierung von trans und nicht-binären Menschen ein. Der Hass, der ihr dafür entgegenschlägt, ist traurige Realität vieler trans Aktivist*innen – wie erst vor Kurzem die transfeindlichen und misogynen Angriffe gegen die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer zeigten.

Asal Dardan sprach mit lou kordts über Transfeindlichkeit innerhalb und außerhalb des Internets, über gendersensible Sprache und ein Selbstbestimmungsgesetz.

lou, wir kennen uns durch Twitter, wo ich allerdings mit einem Foto meines Gesichts, mit meinem Klarnamen und meiner Arbeit zu finden bin. Weshalb ist es so, dass du und andere trans Menschen sich oft für anonyme Auftritte in den Sozialen Medien entscheiden?

Für eine trans Person ist das Internet ein gruseliger Ort, an dem persönliche Informationen häufig zu Diskriminierung führen, die eben nicht nur online bleibt. Seit ich öffentlich als trans Person im Internet geoutet bin, hab ich ohne Unterbrechung Hass von transfeindlichen Personen abbekommen. Deren Ziel ist es, dass sich trans Personen nicht mehr trauen, etwas zu sagen, und so auch nicht mehr für ihre Rechte einstehen können. Und dafür verwenden sie zum Beispiel gerne Fotos von trans Personen, damit sie sich über sie lächerlich machen und ihre Geschlechter anzweifeln können. Nicht identifizierbar zu sein und keine Fotos online zu haben, schafft ein bisschen Sicherheit und kann vor Diskriminierung schützen.

Für eine trans Person ist das Internet ein gruseliger Ort

Ich habe in Online-Diskussionen beobachtet, dass anonyme Accounts schneller als Trolle abgetan werden, was ja bei rechten Accounts tatsächlich der Fall ist. Die anonymen Accounts marginalisierter Menschen werden oftmals einfach mit diesen in einen Topf geworfen. Dann passiert es, dass auch Feministinnen, die auf transfeindliche Aussagen hingewiesen werden, sich nicht mit der Kritik auseinandersetzen. Was rätst du Menschen, die verunsichert sind?

Das Problem ist, dass der Onlineraum immer komplizierter wird. Einige Communitys werden enthemmter und radikalisieren sich mehr und mehr, wie in der Ecke der Corona-Verschwörungstheoretikerinnen, AfD-Fans oder auch der Transfeindinnen. Dort treten immer mehr Personen auch mit ihrem Foto und Klarnamen auf, weil sie sich sicher fühlen und wissen, dass es sie menschlicher erscheinen lässt und ihren Stimmen mehr Überzeugungskraft gibt. Die schöne Idee, dass Personen mit Klarnamen und Fotos nicht hetzen würden, ist einfach falsch. Umso wichtiger ist es, auf die Argumentationen zu schauen und solidarisch mit zum Beispiel der queeren Community zu sein.

Das Stichwort der queeren Community erscheint mir wichtig. Ein Beispiel unter vielen, das zeigt, wie eng verwoben die Anliegen hier tatsächlich sind, ist etwa der Stonewall-Aufstand Ende der 1960er-Jahre, bei denen trans Personen wie Marsha P. Johnson und Stormé DeLarverie ganz vorne dabei waren. Wie kommt es aber nun dazu, dass sich manche aus der Community gegen trans und nicht-binäre Menschen stellen? Eine wiederkehrende Behauptung ist ja, dass trans Menschen eine Gefahr für feministische Räume darstellten.

Leider ist die queere Geschichte und auch Gegenwart nicht nur geprägt von großartiger Solidarität, sondern auch von Feindseligkeiten untereinander. Und das ist ja auch klar, die queere Community ist groß und divers und alle kämpfen darum, dass sie endlich gesellschaftlich Anerkennung finden und sich Diskriminierung und Stigma abbauen. Gerade in Bezug auf queere Historie wird immer wieder die Frage gestellt, ob die inzwischen sichtbarere trans und nonbinary Community nun den anderen etwas wegnimmt. Denn queer ist auf einmal mehr als schwul und lesbisch. Queere Räume und die Personen darin verändern sich. Das sind schmerzvolle Prozesse, die wir als wachsende Community miteinander gestalten müssen. Und ich glaube, dass wir uns solidarisch bereichern können.

Ich glaube, dass wir uns solidarisch bereichern können

Aber teils ist es auch ideologisch. Zum Beispiel in Teilen der lesbischen Community war und ist immer noch der radikale Feminismus populär, in dem Geschlecht als angeboren und unüberwindbar gilt. Für sie sind Männer von Natur aus gewaltvoll. Trans ausschließende radikale Feministinnen – sogenannte TERFs – betrachten trans Frauen nur als Männer, die sich einschlichen, um den Feminismus zu unterwandern und Lesben zu vergewaltigen.

Das ist aber ja keine Nischenmeinung, sondern wird von prominenten Personen wie der Bestsellerautorin J. K. Rowling und Feministinnen wie Alice Schwarzer propagiert. Die Zeitschrift EMMA tat dies erst neulich wieder, als es um die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer ging. Wo siehst du die größten Missverständnisse? Was wird willentlich oder unwillentlich falsch aufgegriffen und dargestellt?

Ich glaube nicht, dass es um Missverständnisse geht. TERFs arbeiten außerordentlich taktisch und koordiniert, um mit wenigen Personen den Diskurs weitgehend zu verändern. Dafür werden gezielt Desinformationskampagnen verbreitet, aber nicht mit dem Ziel, mit trans Personen zu diskutieren, sondern um die Mehrheitsgesellschaft zu überzeugen.

Nirgendwo haben trans Personen einen Vorteil

Im Fall von Tessa Ganserer sagen sie, Tessa würde als Frau einen Quotenlistenplatz wegnehmen. Aber die Grünen haben schon 57 Prozent Frauenanteil, da ist nichts wegzunehmen. Sie behaupten, dass sich ein „Mann“ Vorteile durch eine Transition erschlichen habe. Die Realität als trans Frau ist eine andere. Nicht nur sind wir von generell frauenfeindlicher Alltagsdiskriminierung betroffen, sondern auch zusätzlich von transfeindlicher. Ob Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt oder auch in alltäglichen Beziehungen mit anderen Menschen – nirgendwo haben trans Personen einen Vorteil, sondern nur Nachteile. Und das halt nicht nur durch Leute aus dem konservativen und rechten Spektrum, sondern auch aus linken und feministischen Spektren. Und diese Nachteile werden durch die beispiellosen Hetzkampagnen eines sich feministisch verstehenden Blattes noch schlimmer.

Ein anderes Beispiel für eine solche Desinformationskampagne ist, dass TERFs immer wieder behaupten, das Wort „Frauen“ solle abgeschafft und zum Beispiel durch „Menstruierende“ ersetzt werden. Das ist eine klar formulierte Bedrohung. Es ist interessant: Sie wehren sich ja dagegen und behaupten, dass Frauen sprachlich auf eine Körperfunktion reduziert würden, aber eigentlich möchten sie genau das erreichen. Denn sie stellen die Sache komplett verzerrt dar: Bei der Formulierung „Menstruierende“ geht es darum, dass auch trans Männer und nicht-binäre Personen sprachlich miteingefasst werden, wenn über Menstruation geredet wird, weil manche von ihnen eben auch menstruieren, sie aber keine Frauen sind. TERFs hingegen wollen, dass „alle Leute, die menstruieren“ auch gleichzeitig „Frauen“ bedeutet. Dass sie trans Männer diskriminieren, stört sie dabei nicht, weil sie sie nicht anerkennen, und dass sie trans Frauen aus der Kategorie „Frau“ ausschließen, ist der große Zweck des Ganzen.

Warum sind diese sprachlichen Inklusionen wichtig?

Wittgenstein sagte mal, dass die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt seien. Und ich glaube das auch. Geschlechtergerechte Sprache versucht, Möglichkeiten sichtbar zu machen. Eine Studie zeigt nett den Effekt: Kinder wurden mit Berufsbezeichnungen konfrontiert und es wurde herausgefunden, dass Mädchen bei geschlechtergerechter Sprache sich eher Berufe zutrauten, die klassisch als „Jungsberufe“ gelten. Sprache schafft hier eindeutig die Sicherheit, dass sie auch in Berufe gehören, die sie sonst nicht für sich gewählt hätten. Es zeigt so deutlich, dass eben nicht alle wissen, dass alle Menschen bei der männlichen Form mitgemeint sein sollen, sondern es sehr deutliche Auswirkungen auf die Welt hat, wenn wir es besser machen.

Geschlechtergerechte Sprache versucht, Möglichkeiten sichtbar zu machen

Und diesen Effekt sehe ich auch in der trans und nonbinary Szene: Geschlechtergerechte Sprache mit dem Sternchen zeigt, dass trans und nicht-binäre Personen in irgendeiner Form mitgedacht wurden – damit gibt es den ersten Anhaltspunkt, dass ein Raum in irgendeiner Form sicher ist. Und ich hab immer wieder gemerkt, dass mit einer inklusiveren sprachlichen Einladung auch mehr Leute zu Veranstaltungen oder in Räume kommen, die sonst weggeblieben wären.

Denken wir über das Sprachliche hinaus und schauen auf das Selbstbestimmungsgesetz. Es ist sicher kein Zufall, dass die Diskussionen rund um trans Personen und ihre Rechte jetzt so heftig geführt werden. Das derzeit noch bestehende Transsexuellengesetz kann als staatlich legitimierte Diskriminierung gesehen werden. Was wird das Selbstbestimmungsgesetz verbessern?

Bislang müssen trans Personen, um rechtlich anerkannt zu werden, ein Gerichtsverfahren mit mehreren Gutachten über sich ergehen lassen. Dabei bekommen sie übergriffige Fragen gestellt. Es ist übliche Praxis, dass Gutachter zur Feststellung, ob eine Person trans ist, nach intimsten Details zum Sexualleben fragen, zum Beispiel zu Masturbation. Teils müssen sich Personen auch ausziehen – das ist mir auch passiert.

Es ist eine entwürdigende Erfahrung, das eigene Geschlecht einer anderen Person beweisen zu müssen. Zudem müssen trans Personen die Kosten für das ganze Verfahren selbst zahlen – und die sind meist so um die 1500 Euro. Dieses ganze Verfahren basiert auf der Annahme, dass trans Personen eine Geschlechtsidentitätsstörung hätten – wogegen sich inzwischen medizinischer Konsens gebildet hat.

Es ist schön, dass es endlich die Perspektive für ein Gesetz gibt, das geschlechtliche Vielfalt anerkennt

Das Selbstbestimmungsgesetz, das Transfeind*innen so gerne verhindern würden, macht die rechtliche Anerkennung einfacher: Trans, inter und nicht-binäre Personen können zum Standesamt gehen und ihren Vornamen und Personenstand ändern, ähnlich wie in anderen Ländern – unter anderem Argentinien, Irland, Dänemark und der Schweiz.

Trans, inter und nicht-binäre Personen haben es schon schwer genug und es ist schön, dass es nach 40 Jahren Transsexuellengesetz endlich die Perspektive für ein Gesetz gibt, das geschlechtliche Vielfalt anerkennt und staatlich verordnete Diskriminierung abbaut.

Vielen Dank für das Gespräch!

Asal Dardan ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als freie Autorin in Berlin.

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