Anti-Gender-Bewegung

Transhass als Motor des Rechtsrucks

Von Mine Pleasure Bouvar
Transflagge mit dem Logo für nicht-binäre Geschlechtsidentität auf der Demonstration, im Hintergrund eine Menschengruppe
© Renate Chueire | DAH

Trans Menschen werden immer mehr zur Zielscheibe eines rechten Populismus, von BSW über Trump bis Putin. Mine Pleasure Bouvar analysiert die Strategien der internationalen Anti-Gender-Bewegung zur Verbreitung von Transhass, Transmisogynie und antisemitischen Verschwörungsnarrativen.

Als „gefährlichen Irrsinn“ und Erfolg einer profitgierigen Pharmalobby bewertete Sahra Wagenknecht das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, das am 12. April 2024 verabschiedet wurde. Dass sich die Vorsitzende des jungen BSW selbst die Ehre zur Debatte um das SBGG gab, die von realpolitisch eher geringer Bedeutung für ihre Partei ist, scheint zumindest bemerkenswert. Mit ihrer übermäßigen, feindseligen Aufmerksamkeit insbesondere für die Geschicke transgeschlechtlicher Menschen ist Wagenknecht jedoch nicht allein auf dem weltpolitischen Parkett. So stoßen namhafte konservative Akteur*innen in den USA aus dem Lager Donald Trump ins selbe Horn, während Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine u. a. mit der Abwehr einer „westlichen Genderideologie” begründete; sogar der frisch gewählte britische Premier Keir Starmer schenkt trans Menschen wiederholt seine besondere Aufmerksamkeit – jüngst indem er sich für einen expliziten Ausschluss von trans Frauen aus Frauenschutzräumen aussprach. Transgeschlechtliche Menschen sind in aller Munde – selten jedoch im Sinne der vielbeschworenen, positiv konnotierten queeren Sichtbarkeit, sondern vor allem als Zielscheibe eines globalen Kulturkampfes, in dem sich rechter Populismus, von BSW über Trump bis Putin, an fiktiven Schreckenserzählungen über trans und nicht-binäre Menschen abarbeitet und alle Akteur*innen des politischen Spektrums dazu zwingt, sich zu dem Thema zu verhalten.

Feindbild trans Frau

Die Argumentation des Debattenbeitrags zum sogenannten Selbstbestimmungsgesetz von Sahra Wagenknechts ist auffallend unkreativ. Sie folgt im Wesentlichen einer rhetorischen Schablone transfeindlicher, radikalfeministischer Strömungen, die seit den späten 1970er Jahren wiedergekäut wird. Als argumentatorischer Dreh- und Angelpunkt dient die Erzählung, dass von trans Menschen eine Bedrohung für Frauen und Mädchen ausginge. So sprach sich die radikalfeministische US-amerikanische Vordenkerin Janice Raymond 1979 dafür aus, „Transsexualismus moralisch zu verbieten”, weil jede transfeminine Transition ein „Akt der Vergewaltigung“ sei, und die australische lesbische Feministin Sheila Jeffreys postuliert, Queer Theory und trans-inklusiver Aktivismus seien politische Instrumente einer männlichen Elite. Deren Ziel sei es, schwul-lesbischen und feministischen Aktivismus zu entzahnen und besagter Elite mittels einer Ideologie der sexuellen Freiheit zu ermöglichen, sich nach Gutdünken an Frauen und Kindern vergreifen zu können. Der rote Faden dieser Anti-trans-Ideologie ist die Dämonisierung von trans Frauen und  transfemininen Personen, denen anhand ihrer angenommenen, „eigentlichen” Männlichkeit Aggression und sexualisierte Gier zugeschrieben wird. Gleichzeitig erfolgt die Ridikülisierung und Psychopathologisierung von Transfemininität als Paraphilie oder schlimmer Leidenszustand, dem mittels psychiatrischer Maßnahmen abgeholfen werden muss. Das popkulturelle Echo dieser Erzählungen ist offenkundig. Von „Silence of the Lambs” über „Ace Ventura” bis zu „The World According to Garb” zeigen zahlreiche Spielfilme ab den 1980ern transfeminine Personen entweder als gefährliche Psychopathen, gesuchte Verbrecher, Witzfiguren oder bemitleidenswerte Trottel. Diese diskursive Strategie der gleichzeitigen Dämonisierung und Verächtlichmachung ist integraler Bestandteil von Transmisogynie – der gezielten Abwertung und Unterdrückung von trans Frauen und Transfemininität.

Im Gewand transmisogyner Schreckensszenarien werden antisemitische Bilder popularisiert. Eine „Genderindustrie“ wird als globaler Akteur imaginiert.

Die sich heute prominent zeigenden Verbindungen zwischen verschrobenen Radikalfeministinnen und politischen Konservativen sind indes nichts Neues. Schon 1981 wurde dieses Phänomen präfiguriert, als sich die US-Regierung unter Ronald Reagan auf die Standpunkte Janice Raymonds bezog, um Gesundheitsversorgung für transgeschlechtliche Menschen einzuschränken. Darüber hinaus stellt die britisch-jüdische trans* Autorin und Aktivistin Joni Elizah Cohen fest, dass es eine Kontinuität des transmisogynen Hasses in neonazistischen Kreisen gebe, als Teil der militanten Idealisierung von Maskulinität. Sie beschreibt, wie die Überhöhung von Männlichkeit in der Angst vor deren Infragestellung mündet, sodass Faschisten sich in einem konstanten Kampf gegen die Auflösung geschlechtlicher Grenzen und gegen die queere Effeminierung befinden.

Genderkritische Verschwörungsnarrative

Der konspirative Charakter dieses Anti-trans-Feindbildes liegt auf der Hand. Wer nur etwas an der Oberfläche der Twitter-Threads prominenter Transhasserinnen wie J. K. Rowling kratzt, findet schnell haarsträubende Theorien einer „schattenhaften Kabale“, die die „Transideologie“ weltweit verbreite. Und wer tiefer gräbt, stößt auf die deutliche Ausformulierung dieser Dogwhistles. Man müsse nur dem Geld folgen, um zu sehen, wer hinter der „Genderindustrie” stünde, schreibt die transfeindliche Bloggerin Jennifer Bilek 2017/18 und verweist unter anderem auf George Soros und die wohlhabende jüdische trans Frau Martine Rothblatt als „Founding Fathers of the Transsexual Empire”. Dass sie von Whitepower-Medien und christlich fundamentalistischen Websites zum Beleg einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung zitiert wird – daran nimmt Bilek bis heute keinen Anstoß. Im Gewand transmisogyner Schreckensszenarien werden bekannte antisemitische Bilder popularisiert. Eine „Genderindustrie“ wird als globaler Akteur imaginiert, der zur hormontherapeutischen Sterilisation westlicher Gesellschaften beitragen würde, um den „Großen Austausch“ herbeizuführen – eine imaginierte, jüdisch gesteuerte Migrationsbewegung zur Unterwanderung westlicher Nationen. Das antisemitische Bild des jüdischen Kindsentführers und Triebtäters wird übersetzt in einen existenziellen Krieg mit dem „Transgenderwahn“, der das Kindeswohl und die Sicherheit von Frauen gefährde.

Das Europäische Forum für Sexuelle und Reproduktive Rechte ermittelte, dass über 700 Mio. US-Dollar von 2008-2018 in Anti-Genderkampagnen geflossen sind.

Der Fokus auf transgeschlechtliche Menschen dient bei all dem einem strategischen Zweck. Weltweit gibt es aktuell nennenswerte Fortschritte für die rechtliche Situation trans- und nicht-binärgeschlechtlicher Menschen, an die die Verschwörungserzählungen der „Transgenderlobby“ anknüpfen: Themen wie Trans-Rechte, Trans-Gesundheit oder nicht-binäre Inklusion sind präsente Angriffspunkte für populistische Politik, um in einem breiten gesellschaftlichen Spektrum zu mobilisieren. Anti-trans-Narrative bewegen verunsicherte Eltern, pharmakritische Impfgegner*innen, radikalfeministisch geprägte Lesben, Nazis, Konservative und religiöse Fundamentalist*innen. Die Angst vorm „Gendergaga“ ist aktuell ein erfolgreicher ideologischer Kitt für den Aufbau rechter Querfronten. Gleichzeitig ist die tatsächliche politische Lobby für transgeschlechtliche Menschen meist schwach und Queerpolitik bleibt ein Nischenthema auch für Politiker*innen, die sich auf Interessengruppen spezialisieren. Das deutsche Beispiel des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes führt das deutlich vor Augen. Zwar ist das diskriminierende TSG vom Tisch, den progressiven Reformer*innen gelang es jedoch nicht, das SBGG vor den massiven Einwirkungen transfeindlicher Argumentationslinien zu bewahren.

Zeitgleich mit dem Pyrrhussieg des SBGG spitzen sich international die Entwicklungen zu: Genderkritische Argumentationen zeigen sich in der Anti-LGBT Bill in Ghana, als Begründung für den Ausbau der Anti-Prostitutionsgesetze im Irak und werden für die Stigmatisierung der pakistanischen Khawajasira/Trans-Rechtsbewegung genutzt. Die Angst vor bzw. der Hass gegen trans* Menschen ist ein politisches Erfolgsrezept des globalen Rechtsrucks, dem liberale Politiker*innen aktuell wenig entgegenzusetzen haben. Dem zugrunde liegt auch, dass Anti-Gender-Bewegungen und Desinformationskampagnen wie die deutsche Gruppe „Lasst Frauen Sprechen” gut finanziert und vernetzt sind. Das Europäische Forum für Sexuelle und Reproduktive Rechte ermittelte, dass über 700 Mio. US-Dollar von 2008-2018 in Anti-Genderkampagnen geflossen sind. Geldgeber*innen sind dabei christlich fundamentalistische Institutionen wie die Heritage Foundation – die beispielsweise auch als einflussnehmender Faktor für die Anti-LGBT Bill in Ghana zitiert werden – oder Vertreter*innen fossiler Kapitalfraktionen mit Teilen der russischen Oligarchie.

Die Gefahr ernst nehmen

Die Entwicklungen in Deutschland – von den gemischten Gefühlen, die das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz hinterlässt, bis zu den jüngsten Geschehnissen um den Bautzener CSD – sind Beispiele dafür, dass der Motor des globalen Rechtsrucks mit Transhass betrieben wird. Dieser instrumentalisierte Hass hat dabei mehrere Ebenen. Zunächst wird er als politischer Keil genutzt, um Unsicherheit zu säen, parlamentarische Debatten zu entgleisen und demokratische Prozesse zu schwächen. Die Wirkung zeigt sich auch auf der Straße, wenn zum Beispiel letztes Jahr fast jeder CSD angegriffen wurde. Oft sind trans Menschen erstes Ziel dieser Angriffe. Die reflexhafte Reaktion darauf ist oft der Ruf nach mehr Schutz und härterem staatlichen Durchgreifen, also nach der Normalisierung autoritärer Maßnahmen. Mehr Geld und Befugnisse für „Sicherheitskräfte“ sind ein Spiel mit dem Feuer in Zeiten der wachsenden rechten Einflussnahme. Mehr Polizei hat LGBTQIA+ noch nie geschützt, zumal wenn Queers überdurchschnittlich von Armut betroffen, in prekären, oft informellen Verhältnissen wie Sexarbeit beschäftigt oder als Geflüchtete tendenziell durch die Intervention der Exekutivorgane aktiv gefährdet sind. Weiterhin kann von einer klaren Kante des Staates gegen rechts schwerlich die Rede sein. Wenn eine faschistische Partei in fast allen Länderparlamenten sitzt und der rechte Mob (nicht nur) in Bautzen als angemeldete Gegendemonstration läuft, wenn sich ein Münchner Bürgermeister gemeinsam mit der CSU an transmisogynen US-amerikanischen Drag-Verboten ein Vorbild nimmt und Institutionen wie Polizei und Verfassungsschutz nachweislich von rechten Netzwerken durchsetzt sind, ist das staatliche Getriebe Teil des rechten Normalzustands. Wo in der CSD-Saison 2023 noch ein Anti-Antifa-Primat, zum Beispiel seitens des LSVD Baden-Württemberg, herrschte, braucht es längst mehr Haltung und ein Bekenntnis zu solidarischen, queeren Widerstandspraxen das ganze Jahr über. Gegen Hass gemeinsam da, wir brauchen queere Antifa!

Es braucht längst mehr Haltung und ein Bekenntnis zu solidarischen, queeren Widerstandspraxen das ganze Jahr über.



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1 Kommentare

Joyce 23. August 2024 17:49

Hallo

wenn sogar im Freundeskreis die „Freunde“ nichtmal was sagen wenn, jemand bewusst missgendert oder sich über trans*Personen lustig macht. und man selbst als betroffene Person dann gesagt bekommt „da musst drüber stehen“ keine Ahnung das zermürbt nur noch

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