40 Jahre Aids

TV-Doku: Geschichte von HIV und Aids in Deutschland

Von Axel Schock
Regenbogenfahne beim CSD Berlin | Bild: © BlackBoxGuild

Die TV-Dokumentation „40 Jahre Aids – Schweigen = Tod“ wirft einen Blick auf die Geschichte von HIV/Aids insbesondere in Deutschland. Aktivist*innen, Menschen mit HIV und Mediziner*innen erzählen von Sterben und Ausgrenzung, aber auch von Hoffnung und Erfolgen. Ein Interview mit dem Regisseur Jobst Knigge.

40 Jahre Aids lassen sich in 45 Fernsehminuten nur schwerlich erzählen. Welche Akzente und Schwerpunkte wolltest du in deiner Dokumentation setzen?

Jobst Knigge: Ich wollte bewusst aus einer europäischen Warte erzählen, das heißt aus deutscher und französischer Sicht, und von dort aus dann einen Blick in die Welt richten: in die USA zu Beginn der Pandemie, nach Afrika und auf das Russland von heute.

Es ist wichtig, die Menschen klar und seriös zu informieren

Hinweisen wollte ich auch darauf, wie unglaublich wichtig es ist, dass die Menschen auf eine seriöse und klare Weise informiert werden. Und dass man auch nicht davor zurückschrecken sollte, zum Beispiel über Sexualität zu sprechen. Es hat sich einfach empirisch auf der ganzen Welt gezeigt, dass es hilfreich ist, offen über die Infektion und die Infektionswege zu reden. Deshalb habe ich in den Filmtitel den ACT-UP-Slogan „Schweigen = Tod“ aufgenommen.

Neben dokumentarischen Bildern sind Interviews mit Menschen mit HIV und Aktivist*innen zentrale Bestandteile deiner Dokumentation. Hattest du mit der Auswahl der Protagonist*innen ein bestimmtes Konzept verfolgt?

Mir war sehr wichtig, dass Frauen zu Wort kommen. Darin hatten mich auch viele Menschen bestärkt, mit denen ich im Vorfeld über das Projekt gesprochen habe. Auch wenn in Deutschland zu einem großen Teil homosexuelle Männer von HIV betroffen sind, sollten deshalb Frauen nicht einfach vergessen werden. 

Zur HIV-Community in Deutschland gehört inzwischen auch eine große Zahl zugewanderter Menschen, insbesondere aus afrikanischen Ländern. In der Dokumentation werden sie aber nicht repräsentiert. Hast du keine passenden Protagonist*innen für die Dokumentation finden können?

Aufgrund der begrenzten Sendezeit konnte ich nicht alle Aspekte berücksichtigen und musste daher die Zahl der interviewten Personen reduzieren. In der Tat hatte ich einen sehr engagierten afrikanischen Pastoren für die Dokumentation bereits vorgesehen. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass ich damit Vorurteile bestätigen könnte, die ich nicht bestätigen wollte. 

Ich habe mich stattdessen dafür entschieden, Isabel in den Film aufzunehmen. Mir war wichtig zu zeigen, dass HIV in Deutschland nach wie vor ein relevantes Thema ist, welches auch Heterosexuelle betrifft. Und am Beispiel von Isabelle lässt sich sehr gut zeigen, was passiert, wenn HIV kaum mehr Thema ist: Erst nach zwei Jahren kam jemand auf die Idee, dass ihre Symptome etwas mit HIV zu tun haben könnten. Da sie eine junge Frau war, hatte keiner zuvor überhaupt daran gedacht.

Hast du in den Gesprächen mit den Protagonist*innen etwas Unerwartetes erfahren?

Ich bin Teil der schwulen Szene und habe auch viele Freunde, die HIV-positiv sind. Daher ist HIV für mich ein selbstverständlicher Teil in meinem Leben. Ich fand es deshalb sehr überraschend, wie wenig außerhalb unserer Szene über HIV bekannt ist und welche Schwierigkeiten das für heterosexuelle HIV-positive Menschen mit sich bringt. Und auch, wie stark die Bilder von Aids und die Ereignisse der Achtzigerjahre bis heute fortwirken. Dass heute HIV-Infizierte eben nicht mehr zwangsläufig an Aids sterben müssen – sofern man Zugang zu guter Gesundheitsversorgung hat – wissen viele einfach nicht. 

Die Corona-Krisenstäbe hätten sich die Erfahrungen aus der Aidskrise zunutze machen können

Wie in Deutschland auf HIV reagiert wurde, ist gerade auch im Rückblick betrachtet eine Erfolgsgeschichte. Wir haben hier eine der weltweit niedrigsten Infektionsraten. Das Seltsame ist nur, dass dies gesamtgesellschaftlich kaum jemand registriert. Denn sonst hätte man sich in den Corona-Krisenstäben die Erfahrungen aus der Aidskrise bei der aktuellen Pandemie zunutze gemacht.

War es schwierig, für diesen Film den WDR und arte als Produzenten zu gewinnen?

Überhaupt nicht. Ich hatte mich vor zehn Jahren mit dem Film „Der Aidskrieg“ schon einmal der Aidskrise in Deutschland gewidmet. Damals lag der Fokus auf Rita Süssmuth und ihrem politischen Kontrahenten Peter Gauweiler. 

Diesem Virus ist es egal, ob der Mensch, der infiziert wird, homo- oder heterosexuell ist

Ich wurde nun direkt angesprochen, ob ich mich dem Thema noch einmal, und nun mit einem etwas anderen Blick, widmen möchte. Ich stelle bei den Redaktionen eine zunehmende Offenheit auch für queere Themen fest. Vor zehn Jahren war es den Sendern sehr wichtig, dass ich auch Geschichten von heterosexuellen HIV-positiven Menschen erzähle.

Um damit besser die Zuschauer*innen der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft anzusprechen?

Genau. Bei diesem Film war das überhaupt kein Thema mehr. Ich finde es aber auch nicht falsch, immer wieder zu sagen: Diesem Virus ist es egal, ob der Mensch, der infiziert wird, homo- oder heterosexuell ist.

Hat das Thema HIV/Aids auch in deiner eigenen Biografie so nachhaltige Spuren hinterlassen, dass du dich nun bereits zum zweiten Mal als Dokumentarist damit auseinandersetzt?

Bis zu einem gewissen Maße schon, wobei ich als Filmemacher keineswegs intensiv queere Themen verfolge, sondern ich widme mich ganz allgemein der Zeitgeschichte. Und die ist zu einem großen Teil natürlich auch die meine. Sehr berührt hat mich, als ich feststellte, dass von den Langzeitpositiven, die ich vor zehn Jahren für „Der Aidskrieg“ interviewt habe, bis auf eine Person inzwischen alle tot sind. Sie sind zwar nicht mehr an den Folgen von Aids gestorben, sondern an Krebs bzw. an den Langzeitfolgen des Virus, und sie waren auch nicht mehr die Jüngsten. Aber als ich mir dessen bewusst wurde, hat es mich doch sehr bewegt. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Ausstrahlungstermine von „40 Jahre Aids – Schweigen = Tod“:

Bis 28. Februar 2022 in der arte-Mediathek abrufbar.

Die ARD zeigt am 6. Dezember um 23:35 Uhr eine halbstündige Kurzfassung. Für den Schulunterricht ist ebenfalls eine 30-minütige Schnittversion verfügbar.

Zu Wort kommen u. a. der Journalist Dirk Ludigs, die HIV-Aktivist*innen Sabine Weinmann und Ulrich Würdemann, der HIV-Mediziner Dietmar Schranz und die Dragqueen Barbie Breakout.

Weitere TV-Beiträge im Rahmen des arte-Thementags „40 Jahre Aids“ am 1. Dezember:

 „Sorry Angel“, Spielfilm von Christophe Honoré: In der arte-Mediathek verfügbar bis 30. Dezember 2021
„Hervé Guibert – Anschreiben gegen den Tod“: Dokumentation über den französischen Schriftsteller: Im Fernsehen am 12. Dezember um 05:00 Uhr sowie in der arte-Mediathek abrufbar bis 29. Januar 2022.

Weitere Beiträge zum Thema auf magazin.hiv (Auswahl):

„Der Aidskrieg“
Hervé Guibert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 52 = 54