Dossier HIV & Arbeit 4 | Vorbildliches Job-Center

Von Holger Wicht
 

Lothar Stilleke
Lothar Stilleke ergriff sofort die richtigen Maßnahmen

Lothar Stilleke, 53, ist Bereichsleiter des Job-Centers der Stadt Essen und für das Service-Team verantwortlich, in dem der 21-jährige Marcel Dams arbeitet. Der geht sehr offen mit seiner HIV-Infektion um – auch als Rollenmodell unserer Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU. Peter Rehberg sprach mit dem Chef über Marcels positives Coming-out und die Reaktionen im Team

Herr Stilleke, Marcel Dams arbeitet seit 2009 bei Ihnen. Wussten Sie von Anfang an, dass er schwul ist?Nein. Es gab Gerüchte, man hat in der Mittagspause mal kurz drüber geredet. Marcel ist damit auch nicht zurückhaltend umgegangen, das war also ziemlich klar. Er war da auch nicht der Einzige.

Wie viele Mitarbeiter bei Ihnen sind denn schwul?

(lacht) Keine Ahnung. Wahrscheinlich ungefähr so wie im Durchschnitt der Normalbevölkerung. Wir sind ja kein Friseurbetrieb.

Marcel Dams
Offen positiv am Arbeitsplatz: Marcel Dams

Wie haben Sie erfahren, dass Marcel HIV-positiv ist?

Marcel kam in einer Dienstbesprechung des Teams damit heraus: „Ich muss euch jetzt mal was sagen, ich bin HIV-positiv“. Er hat auch im Vorfeld schon mal die eine oder andere Andeutung fallen lassen, dass er eine Untersuchung hatte. Dann hat er den Schritt gemacht.

Wie hat das Team reagiert?

Es war natürlich erst mal Betroffenheit da und auch ein bisschen Ratlosigkeit. Es ist ja immer so: Jeder kann tolerant sein, solange er nicht direkt betroffen ist. Wenn es dann konkret wird – und ich denke, das ist auch menschlich – hat man eben doch Ängste und Vorbehalte. Man hat auch Informationsdefizite, weil man Dinge verdrängt, wenn man nicht direkt betroffen ist.

Und wie sind die Führungskräfte mit dieser Situation umgegangen?

Marcels Teamleiterin hat mich sofort informiert, und wir haben gemeinsam überlegt, was wir machen. Der Betriebsrat wurde informiert, und ich habe mit der Geschäftsführung gesprochen. Wir haben gemerkt, wir müssen jetzt schnell was unternehmen und am besten Profis dazuholen. Dann haben wir mit der AIDS-Hilfe Essen Kontakt aufgenommen.

Die Idee kam nicht von Marcel?

Nein, er hat das nur öffentlich gemacht. Wir sind zusammen mit der Teamleitung und der Geschäftsführung auf die Idee gekommen, dass wir uns Profis ins Haus holen, die Fragen beantworten und Ängste nehmen können. Ich habe das damals im Servicecenter auch ganz offen angesprochen und habe Marcel vor den Augen aller die Hand gegeben. Man möchte in so einem Moment ja auch sagen: Jetzt geht mal weiter normal miteinander um.

Ihm in diesem Moment die Hand zu geben – war das eine intuitive Reaktion?

Das Thema brodelte irgendwie in der Belegschaft. Ich bin dann da hoch gegangen und habe Marcel mit Handschlag begrüßt. Ich hatte mir überlegt, das musst du jetzt machen, um ihm eine Art Wertschätzung zu geben und zu zeigen, dass er trotzdem noch ein normaler Mitarbeiter ist. Ich wollte das auch allen anderen zu zeigen, um Berührungsängste zu nehmen.

Was heißt denn „brodeln“ – wie hat sich das geäußert?

Der eine oder andere hat gesagt: „Ich weiß jetzt gar nicht, was ich machen soll. Können wir eigentlich noch mit der gleichen Kaffeemaschine Kaffee kochen, was machen wir mit der Toilette, wenn er vor mir da war, kann ich da noch hingehen?“ Und dann haben wir halt diese Veranstaltung mit der Aidshilfe gemacht.

Wie ist die denn abgelaufen?

Es ging erst einmal allgemein um das HI-Virus, also darum, dass Marcel nicht an Aids erkrankt ist, sondern nur das Virus in sich hat, und dann um Ansteckungswege und diese allgemeinen Dinge. Im zweiten Teil war Raum für Fragen aus der Mannschaft, und da kamen wirklich viele. Diese berühmte Geschichte: Wenn ihn jetzt eine Mücke sticht, und die landet danach bei mir… Die Fragen konnten aber auch wirklich gut beantwortet werden.

War das für Sie persönlich auch neu, oder waren Sie schon informiert?

Jeder ist irgendwie informiert, aber auch nicht so ganz richtig. Außerdem ist es auch gut, von Profis zu erfahren, dass wirklich keine Gefahr da ist. Dann kann man auch Vertrauen schenken.

Sind Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn vorher schon einmal mit HIV konfrontiert worden?

Ja, mit einem Kunden. Ich habe vorher Menschen beraten, die sich fortbilden wollen. Da war einer, der schon an Aids erkrankt war. Das ist aber schon lange her, da waren auch die Medikamente noch nicht so gut. Die Menschen waren noch arg eingeschränkt.

Gab es von Ihrem jetzigen Arbeitgeber, der Stadt Essen, jemals eine Schulung, oder ist Ihnen zum Beispiel durch Gewerkschaftskontakte das Thema angetragen worden?

Wir werden schon durch das Gesundheitsmanagement über das eine oder andere informiert, die saisonale Grippeimpfung, die Schweinegrippe, aber Aids – daran kann ich mich jetzt nicht erinnern.

Fühlte sich überhaupt jeder Arbeitnehmer wohl dabei, in der Gruppe über HIV zu sprechen?

Ich habe das schon als recht offen empfunden, weil auch viele Fragen kamen. Wir waren über 20 Leute, auch unser damaliger Geschäftsführer hat es sich nicht nehmen lassen, dabei zu sein. Es gab aber auch den einen oder anderen, der nonverbal zum Ausdruck gebracht hat, dass er damit nichts zu tun haben will.

Wir wissen, die Medikamente wirken bei den meisten Infizierten sehr gut,  dennoch gibt es bei Arbeitgebern immer noch die Befürchtung, HIV-Positive könnten weniger belastbar sein. War das für Sie ein Thema?

Das war kein Thema, weil es auch noch nicht so weit gekommen ist. Vielleicht wird das mal ein Thema, das kann ich nicht sagen. Es sind die gleichen Vorbehalte wie gegen Schwangere oder Scherbehinderte. Aber ich denke, die Leute sind eigentlich so aufgeklärt, dass man damit umgehen kann.

Der Umgang mit Marcels Infektion hat in Ihrem Betrieb geradezu vorbildlich funktioniert. Hat das etwas mit Aufklärung zu tun, oder eher damit, dass es sich um eine konkrete Person handelt, die man schon als Kollegen kennt?

Weniger Aufklärung, mehr die persönliche Ebene, ganz eindeutig. Dadurch, dass er das offen gemacht hat und man ihn kennt, war das eine ganz andere Geschichte. Deswegen sage ich ja: Offenheit auch in diesen Dingen finde ich gut. Dann kann man gemeinsam überlegen, was man macht. Und auch wenn Marcel irgendwann vielleicht mal schwerwiegendere gesundheitliche Probleme haben sollte, werden wir sehen, dass wir ihn da so einsetzen können, wie er es eben kann.

Übersicht Dossier „HIV & Arbeit“
Teil 1 | Packen wir’s an
Teil 2 | Fakten zum Arbeiten mit HIV
Teil 3 | Karriere mit HIV
Teil 4 | Vorbildliches Job-Center
Teil 5 | Die Kräfte bündeln und gemeinsame Interessen durchsetzen
Teil 6 | Schutz von Menschen mit HIV ins Gesetz!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 65 = 72