Portrait Michael KroneMichael Krone ist seit 1998 im Bereich Arbeit und Beschäftigung bei Menschen mit HIV und Aids tätig und hat auch Arbeitgeber zum Thema HIV beraten. Derzeit arbeitet er in Kiew für die ukrainische HIV-NGO „Ruch sa Sdorovja“. Peter Rehberg sprach mit ihm über die Situation von Arbeitnehmern mit HIV oder anderen chronischen Krankheiten

Gibt es Unterschiede bei der Situation von HIV-positiven Arbeitnehmern am Arbeitsplatz zwischen der Ukraine und anderen Ländern?

Ich denke schon, dass man zwischen westlichen und östlichen Ländern unterscheiden muss. Allein deshalb, weil die Auseinandersetzung mit HIV in den westlichen Ländern viel eher angefangen hat, aber vor allem, weil es Organisationen aus der Selbsthilfe waren, die hier von Beginn an gegen Diskriminierung gekämpft haben und großen Einfluss auf die Aids-Politik der Länder hatten. In Ländern wie der Ukraine sind Diskriminierung und Stigmatisierung ungleich höher, so zumindest mein persönliches Empfinden.

Sie haben auch mit Arbeitgebern zusammengearbeitet – was kann die Arbeitgeberseite gegen Diskriminierung von Menschen mit HIV tun? Bei globalen Unternehmen wie Daimler gibt es ja aufgrund der hohen Infektionsraten in anderen Ländern, zum Beispiel in Südafrika, Betriebsvereinbarungen zu HIV. Hilft das auch deutschen Arbeitnehmern?
Ich glaube, dass jede Art von Sensibilisierung hilft – gerade weil HIV in Deutschland für Arbeitgeber keine so große Rolle spielt, weil bei HIV aber auch nach inzwischen fast dreißig Jahren immer noch die Alarmglocken angehen. Wichtig ist aber, dass solche Betriebsvereinbarungen „gelebt“ werden müssen. Sie müssen sich daran messen lassen, ob zum Beispiel neue Mitarbeiter explizit auf die Vereinbarung hingewiesen werden und ob sie für HIV-Positive im Falle von Diskriminierung tatsächlich eine Grundlage zur Verbesserung ihrer Situation darstellt.

Verhält sich ein DAX-Unternehmen gegenüber HIV-positiven Arbeitnehmern anders als eine soziale Einrichtung – oder sind das Klischees?
Ich glaube, dass es grundsätzlich einen Unterschied zwischen Profit- und Non-Profit-Unternehmen gibt, der sich auch auf den Umgang mit Menschen mit chronischen Erkrankungen auswirkt. Wenn man eine mehr oder weniger gesicherte Finanzierung hat, ist der unmittelbare Druck möglicherweise geringer, als wenn man vom Produktverkauf abhängig ist. Auf der anderen Seite gibt es auch vorbildliche Beispiele aus global agierenden Unternehmen – und ebenso aus kleineren Betrieben, in denen Unternehmer so lange es eben geht an ihren Mitarbeitern festhalten, auch wenn es rein ökonomisch von Nachteil ist.

Wie sieht es eigentlich insgesamt beim Thema chronische Erkrankungen am Arbeitsplatz aus?
Unabhängig von HIV und Aids müssen sich Arbeitgeber aufgrund der Zunahme von chronischen Erkrankungen in der Gesellschaft mit flexiblen Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodellen ebenso wie mit Gesundheitsmanagement im Betrieb auseinandersetzen. Zu einem modernen Personalmanagementkonzept gehört das einfach dazu.

Sie sagen, dass HIV für deutsche Arbeitgeber kaum eine Rolle spielt. Sollte die Deutsche AIDS-Hilfe dann nicht auf andere Verbände zugehen, um gemeinsam mehr für chronisch Kranke zu erreichen? Die Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) zum Beispiel steht für mehr als 320.000 Menschen mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, die Deutsche AIDS-Hilfe „nur“ für etwa 80.000 HIV-Positive in Deutschland.
Ja, ich glaube, dass Kooperation wichtig ist. Die DAH und die regionalen Aidshilfen haben die strukturellen, organisatorischen und professionellen Möglichkeiten, um die Situation chronischer kranker Menschen am Arbeitsplatz zu verbessern. Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen bringen über die Quantität, die ökonomisch eine bedeutende Rolle spielt. Wenn morgen alle Menschen mit chronischen Erkrankungen plötzlich die Arbeit niederlegen würden, müssten einige Unternehmen und Organisationen ihre Arbeit einstellen. Hier die Kräfte zu bündeln und gemeinsame Interessen durchzusetzen, halte ich in der Tat für wünschenswert.

Wünschenswert – aber auch machbar?
Es gibt da Berührungsängste auf beiden Seiten. Meiner Einschätzung nach zählen viele Aidshilfen Arbeit und Beschäftigung nach wie vor nicht zu ihrem Aufgabenbereich und setzen sich daher auch nicht mit anderen chronischen Erkrankungen auseinander. Auf der anderen Seite gibt es auch Vertreter anderer Chronikerverbände, die nicht gerne mit Aidshilfen zusammenarbeiten, weil sie nicht mit Schwulen, Migranten, Sexworkern und Drogengebrauchern in einen Topf geschmissen werden wollen. Aber auch bei Menschen mit HIV gibt es Vorbehalte. Ein Klient der Schwulenberatung Berlin hat das vor einigen Jahren mal so ausgedrückt: „Nichts ist langweiliger als eine chronische Erkrankung.“ Wenn es um Arbeit und Beschäftigung geht, bleibt heute nicht mehr viel übrig vom Drama – und, wenn man so will, auch vom „Glamour“ – von HIV und Aids in den ersten zwei Jahrzehnten.

Kann es denn unter diesen Umständen überhaupt zu einer solidarischen Zusammenarbeit von chronisch Kranken kommen?
Gerade weil chronisch Kranke heute häufig chronisch versteckt leben, halte ich Solidarität und Kooperation für nötig – und auch für möglich, denn die Schwulen haben sich ja schließlich auch mit Drogengebrauchern, Sexworkern und Migranten zusammengerauft und viel erreicht.

Übersicht Dossier „HIV & Arbeit“
Teil 1 | Packen wir’s an
Teil 2 | Fakten zum Arbeiten mit HIV
Teil 3 | Karriere mit HIV
Teil 4 | Vorbildliches Job-Center
Teil 5 | Die Kräfte bündeln und gemeinsame Interessen durchsetzen
Teil 6 | Schutz von Menschen mit HIV ins Gesetz!

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