DOKUMENTATION

Mein langes Leben mit HIV

Von Axel Schock
Seit 1996 stehen effektive Therapien für Menschen mit HIV zur Verfügung. Positive, die zuvor damit rechnen mussten, innerhalb weniger Jahre der Krankheit zu erliegen, haben nun gute Chancen auf ein langes Leben. In seiner Dokumentation „Mein positives Leben“ lässt Regisseur Mark Strombach sieben sogenannte Langzeitüberlebende von ihren Erfahrungen erzählen. Am Samstag feiert der Film in Hamburg bei den Lesbisch-schwulen Filmtagen Premiere. Von Axel Schock

Mann mit ausgetrecken Armen, Interviewpartner Gerd
Gerd (65) ist einer der sieben Interviewpartner der Dokumentation

Es waren unsichere Zeiten, niemand wusste Genaues. Alarmierende Meldungen von einer mysteriösen Schwulenpest machten die Runde. Hardy und sein Partner waren sich damals sicher: „Wenn jemand sich die Motten eingefangen hatte, dann wir“. In der Lederszene, in der Hardy in diesen frühen 80er Jahren verkehrte, sei Sex Lebensinhalt gewesen. „Ein Wochenende, an dem man nicht einen Mann abgeschleppt hatte, war ein verlorenes Wochenende“, sagt Hardy. Das klingt weder reumütig noch auftrumpfend, sondern er erzählt von dieser Phase seines Liebens mit der Ruhe und Abgeklärtheit eines weisen, reifen Mannes. Hardy ist 63, seit 25 Jahren lebt er mit seiner HIV-Diagnose.

Gebündelte Erfahrungen: Ängste, Hoffnungen, Träume und Siege

Er ist einer von sieben Interviewpartnern – sechs schwule Männer und eine Frau zwischen 57 und 72 Jahren –, die Mark Strombach für sein Projekt gewonnen hat. Mit großer Offenheit und immer wieder auch bemerkenswerter Souveränität reden sie über das, was der Filmtitel ebenso klar ankündigt: „Mein positives Leben“.

Das Setting ist so einfach wie nur denkbar: Menschen sitzen vor einer Kamera und erzählen. Keine weiteren Szenen aus deren Alltag, nicht einmal Schwenks. Die Konzentration gilt allein dem, was diese Menschen zu sagen haben. Und Strombach lässt ihnen im fertig geschnittenen Film auch den Raum, um in langen Passagen ihren Ängsten und Hoffnungen, Erlebnissen und Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. Ganz zu Recht, denn was und wie sie es tun – allesamt sehr erzählfreudig, ausdruckstark und reflektiert –, bündelt sich zu einem bewegenden Dokument.

Roland zum Beispiel, der davon berichtet, wie er seinen Lebensgefährten pflegte, ihn in der Sterbephase begleitete und danach in der Trauerarbeit kaum Kraft und Willen hatte, die eigene HIV-Diagnose zu verarbeiten. Überlebende sind alle auf die eine oder andere Weise in diesem Film und haben im Verlauf ihrer vielen Jahre mit HIV nahestehende Menschen an die Krankheit verloren.

Seine Freunde aus den frühen 90er Jahren seien alle tot, stellt der 64-jährige Heinz lapidar fest. Georg ist es ähnlich ergangen. Eine Zeit lang, sagt er, gab es Woche für Woche neue Sterbefälle: „Mit Verlust kann man nicht umgehen, jeder neue Verlust schmerzt.“

Interviewpartnerin Chrissy
Chrissy (61): „Ich such ’ne Kuschelgruppe“

Chrissy war nach ihrem Testergebnis einfach nicht mehr zum Arzt gegangen. Ihre ebenfalls infizierten kranken Freunde aus der Drogenszene wurden dünner und dünner, bis sie schließlich starben. „Die hatten denen AZT gegeben, und nach Jahren stellte sich heraus, dass die alle überdosiert waren. Hätte ich das auch genommen, säße ich bestimmt nicht mehr hier“, poltert Chrissy mit schnoddriger Berliner Schnauze und klassischem Rauchertimbre. Es gehört nicht viel dazu, um Chrissy im Laufe der fast 90 Filmminuten ins Herz zu schließen. „Tough“ ist das Mindeste, was man über sie sagen kann. Dabei träumt sie von Kuschelgruppen, weil man im fortgeschrittenen Alter vielleicht nicht unbedingt Sex, aber doch Körperkontakt wünscht und zum Leben braucht. Wo viele der schwulen Interviewpartner von ihren Beziehungen auch in Zeiten des Leidens und Sterbens erzählen, klafft bei Chrissy eine schmerzende Lücke. „Es gibt mit Drogen zwar so etwas wie Koexistenz, Menschen, die zusammenhalten ­– aber keine Partnerschaft, Beziehung oder Liebe“, hält sie nüchtern-lapidar fest.

Eine inspirierende Begegnung mit beeindruckend optimistischen, lebensbejahenden Menschen

Familie und Arbeit, Beziehung und Verlust sind einige der Stichworte, zu denen Mark Strombach die entsprechenden Interviewpassagen gebündelt hat. Auf diese Weise fügen sich die Aussagen der Gesprächspartner zu einem breiten Spektrum an Erfahrungen, Einsichten und Lebenshaltungen. Das Erstaunliche dabei ist, dass sich diese Porträtierten, trotz all ihrer unterschiedlichen Biografien, letztlich doch sehr ähnlich sind. Es sind beeindruckend optimistische, lebensbejahende Menschen. Sie trotzen der Krankheit, und gerade auch aus den schlimmsten Phasen ihres Lebens haben sie Kraft geschöpft und Stärke gewonnen.

Die Weltpremiere in Anwesenheit von Regisseur Mark Strombach, Koproduzentin/Dramaturgin Salwa Amin sowie voraussichtlich den Interviewpartnern aus dem Film findet am 23. Oktober um 17.45 Uhr im Hamburger Kino Passage 2 (Mönckebergstraße 17) statt.

 

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