Viele HIV-Positive in Gesundheitsberufen leben in der ständigen Angst, sie könnten wegen ihres Serostatus den Job verlieren. Jetzt gibt es ein hoffnungsvolles Signal, das der Diskriminierung HIV-Positiver in Gesundheitsberufen ein Ende setzen könnte. Von Axel Schock

Zwei Ärzte im Operationssaal
Gute Nachrichten nicht für Positive im OP-Saal (Foto: agp/pixelio.de)

Über 5.000 HIV-positive Menschen in Deutschland sind nach Schätzungen in Gesundheitsberufen tätig. Sie arbeiten in der Patientenversorgung, sind Ärzte, medizinisch-technische Assistentinnen oder Laboranten. Ihre Furcht vor dem Verlust des Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, sollte der Arbeitgeber von ihrer Infektion erfahren, hat Gründe. 2011 hatte im „Deutschen Ärzteblatt“ ein Chirurg unter dem Titel „HIV-positiv. Ende einer Karriere“ eindrücklich geschildert, wie es ihm durch den Betriebsarzt, den Arbeitgeber und einer Lebensversicherung letztlich unmöglich gemacht wurde, weiterhin seinem Beruf  nachzugehen. Der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) sind Fälle bekannt, in denen Krankenpflegekräfte nicht mehr in der Patientenversorgung arbeiten und Studierende im praktischen Jahr ihre chirurgische Zeit nicht absolvieren durften, als ihr HIV-Status bekannt wurde.

„Betriebsärzte, Krankenhausleitungen und selbst Arbeitsämter, die vorsorglich HIV-Positiven keine Umschulung zu Kranken- und Altenpflegern bewilligen, agieren vor allem aus Verunsicherung und Unkenntnis der Übertragungswege“, erklärt Steffen Taubert vom DAH-Fachbereich Medizin.

Angst vor einer HIV-Übertragung widerspricht der Realität

Die Angst der Kliniken beispielsweise vor möglichen Schadenersatzforderungen mag verständlich erscheinen, sollten Patienten tatsächlich durch Mitarbeiter mit HIV infiziert werden. Doch sie widerspricht der Realität. Weitaus größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich mit Krankenhauskeimen anzustecken. Nach Angaben der europäischen Präventionsbehörde (ECDC) werden europaweit jährlich rund drei Millionen derartiger Fälle registriert. 50.000 Patienten verlieren dadurch sogar jährlich ihr Leben. Auch die Wahrscheinlichkeit, sich mit Hepatitis B und C zu infizieren (z. B. durch nicht korrekt sterilisierte und mehrfach verwendete medizinische Instrumente), liegt um ein Vielfaches höher. Auch die Wahrscheinlichkeit, sich mit Hepatitis B oder C zu infizieren (z. B. durch nicht korrekt sterilisierte und mehrfach verwendete medizinische Instrumente), liegt um ein Vielfaches höher.

Chirurgische Instrumente
Hepatitis kann durch schlecht gereinigten Chirurgenstahl übertragen werden (Foto: jenafoto24.de/ pixelio.de)

HIV dagegen kann im Klinik- und Pflegealltag nur schwer übertragen werden. Ein denkbarer Infektionsweg wäre, dass Blut eines HIV-infizierten Beschäftigen direkt in den Patienten gelangt; möglich wäre das höchstens bei Entbindungen und Operationen, wenn sich etwa der Chirurg an Knochensplittern oder einer Nadel verletzt und diese Verletzung in Kontakt mit dem Operationsfeld kommt.

Wegweisende Empfehlung gerade auch für HIV-positive Beschäftigte

Diesem Umstand und die Erkenntnis, dass eine konsequente HIV-Therapie die Viruslast im Blut unter die Nachweisgrenze bringt und HIV-Positive damit nicht mehr infektiös sind, trägt nun auch eine wegweisende Empfehlung Rechnung. Herausgegeben wurde sie von der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV). Sie dient vorrangig dem Patientenschutz, berücksichtigt aber zugleich die Interessen HIV-positiver Beschäftigter.

Gemäß dieser Empfehlung gibt es für alle Tätigkeiten außerhalb des chirurgischen oder invasiven Spektrums (etwa Herzkatheter-Untersuchungen) keinerlei Einschränkungen – und dies sogar unabhängig von der Viruslast. Denn eine HIV-Übertragung sei „bei nichtinvasiven medizinischen Versorgungsmaßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich, wenn die üblichen Maßnahmen zur Hygiene eingehalten werden“.

Ein wichtiger Schritt, um Diskriminierung zu beenden

Durch ihre Therapierbarkeit ist die HIV-Infektion zu einer fast normalen chronischen Krankheit geworden. Das hat Folgen auch für ärztliche Eignungs- und arbeitsmedizinische Erstuntersuchungen. Hier sind die durchführenden Ärzte allein an die arbeits- und berufsrechtlichen sowie die fachlichen Anforderungen gemäß dem aktuellen Stand der Wissenschaft gebunden.

Bild von einer Operation
Auch positive Chirurgen können fast ohne Einschränkung ihrem Beruf nachgehen (Foto: Martin Büdenbender/pixelio.de)

Demnach ist eine HIV-Infektion allein kein Grund, die betreffende Person für einen Gesundheitsberuf abzulehnen. Für Steffen Taubert ist mit der Empfehlung ein wichtiger Schritt getan, um die Diskriminierung von HIV-positiven Beschäftigen im Gesundheitsbereich zu beenden. „Die bisherige Unsicherheit hat bei Krankenhausleitungen und Betriebsärzten oft dazu geführt, HIV-positive Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenpflegekräfte zu Unrecht aus Arbeitsbereichen auszuschließen“, sagt Taubert. Doch er sieht auch noch Verbesserungsbedarf.

Empfehlungen mit Verbesserungsbedarf

Weil die DVV/GfV-Empfehlungen für alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen gelten, sorgen sie an einigen Stellen jedoch auch für neue Einschränkungen. „Die meisten Mitarbeiter im Gesundheitswesen führen gar keine invasiven Tätigkeiten aus. Für sie braucht es keine besonderen Regelungen, wie etwa das Tragen doppelter Schutzhandschuhe. Die Empfehlungen sollten daher an die einzelnen Berufsgruppen angepasst werden.“

Für die Positiven im Gesundheitswesen werden Unsicherheiten noch eine ganze Weile zum Arbeitsalltag gehören. Manch einer befürchtet, dass er einen Job allein schon deshalb nicht bekommt, wenn er – völlig zu Recht – bei einem Einstellungsverfahren die Frage nach dem HIV-Status nicht beantwortet. HIV-positive niedergelassene Ärzte wiederum werden genau abwägen, ob sie sich outen sollen – und damit riskieren, dass Patienten der Praxis fernbleiben.

Demonstrationsschild, auf dem toleranter Umgang mit HIV-positiven Krankenpflegern gefordert wird
Der HIV-Status darf kein Entlassungsgrund sein (Foto: M. Westphal)

Der Münchner Krankenpfleger Sven Hanselmann ist an seinen bisherigen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen immer offen mit seiner Infektion umgegangen und hat viel Unterstützung durch Kollegen und Teamleitungen bekommen. Aber er musste auch viele negative Erfahrungen machen. „Sollte ich meinen Arbeitsplatz einmal wechseln, werde ich es dort nicht mehr von mir aus sagen – außer ich werde konkret darauf angesprochen“, sagt er resigniert. Die Schwachstelle, so sein Befund, sei vor allem im Pflegepersonal und bei den eher praxisfernen Mitarbeitern, etwa in den Klinikleitungen, zu finden.

Entscheidendes Problem: mangelhafte Weiterbildung

Ein wirklich offener, vorteilsfreier und sachlicher Umgang mit HIV-positiven Beschäftigen ist seiner Ansicht nach nur möglich, wenn alle Mitarbeiter durch entsprechende Weiterbildung auf den aktuellen Wissenstand in punkto Hygienevorschriften und HIV gebracht werden. Erstaunt, wenn nicht gar entsetzt muss man zu Kenntnis nehmen, dass das in großen Teilen des Klinik- und Pflegepersonal offensichtlich nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.

Ein ausführliches Interview mit Sven Hanselmann über seine Erfahrungen als Positiver im Klinikbetrieb erscheint kommende Woche auf aidshilfe.de.

Links zu weiterführenden Beiträgen:

„HIV-Report“ zum Thema „Positiv im Gesundheitsbereich“ (pdf-Download)

Deutsches Ärzteblatt „HIV-positiv: Kein Karriereende für Chirurgen“ – zu rechtlichen und medizinischen Fragen rund um die Beschäftigung von positiven im Gesundheitswesen

Deutsches Ärzteblatt „ HIV-positiv: Ende einer Karriere“ – anonyme Bericht eines Chirurgen

Empfehlungen der DVV  und GfV zur Prävention der nosokomialen Übertragung von HIV durch HIV-positive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

1 Kommentar

  1. Liebe Leser. Ich habe selber hiv und überlege eine heilpraktiker Schule zu besuchen. Ich hatte Angst vor dem Gesundheitszeugniss und nicht anerkannt zu werden. Mit euren Zeilen habe ich jetzt mehr Mut

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