Hab ich mich mit HIV angesteckt? Bislang musste man nach einer Risikosituation drei Monate mit einem HIV-Test warten, um das auszuschließen. Martin Obermeier erklärt im Interview, warum es bei modernen Labortests nur noch sechs Wochen sind.

Herr Obermeier, Sie arbeiten in einem Berliner Labor, in dem auch Blutproben auf HIV untersucht werden. Um mal eine Vorstellung zu bekommen: Wie viele Tests sind das so im Monat? Und wie viele Infektionen werden dabei festgestellt?

Im Jahr machen wir etwa 6.600 Tests, das sind rund 550 Tests pro Monat. Und von diesen 550 sind durchschnittlich vielleicht 15, 16 reaktiv, also rund drei Prozent. Die meisten der Blutproben, die von uns untersucht werden, stammen aus HIV-Schwerpunktpraxen, was die hohe Rate von reaktiven Untersuchungen erklärt, denn da hat ja schon eine gewisse Vorauswahl stattgefunden, wenn die Leute sich dort testen lassen. Sieht man sich alle HIV-Suchtests an, die in Deutschland durchgeführt werden, erfolgt die Mehrzahl der Untersuchungen im Rahmen von Blutspenden und vor Operationen.

Neben den HIV-Antigen-Antikörper-Tests machen wir übrigens im Jahr rund 25.000 Tests zur Messung der HIV-Viruslast. Das ist vor allem für die regelmäßige Kontrolle des Behandlungserfolgs bei einer antiretroviralen Therapie wichtig. Aber manchmal macht man das auch, um eine frische HIV-Infektion nachzuweisen.

„Beratung ist ein unerlässlicher Bestandteil des HIV-Tests“

In der Regel geht man ja für den HIV-Test zum Gesundheitsamt, zu einem Testprojekt oder zum Arzt. Kann man eigentlich auch bei Ihnen im Labor direkt einen Test machen?

Nein, unser Labor lehnt das ab. Beratung ist ein unerlässlicher Bestandteil des HIV-Tests, und wir als Labor können keinen entsprechenden Rahmen für die Beratung anbieten. Anfragen kommen trotzdem immer wieder mal. So hat zum Beispiel letztens jemand an einem Freitagnachmittag angerufen und wollte schnell einen HIV-Test machen, weil er drei Stunden später in einen Swinger-Club wollte. Aber gerade in solchen Fällen ist eben Beratung wichtig, zum Beispiel, um die diagnostische Lücke zu erklären.

Ein gutes Stichwort. Wir haben ja Folgendes gelernt: Wenn man nach einer HIV-Risikosituation sicher sein will, dass man sich nicht infiziert hat, muss man drei Monate mit einem HIV-Test warten. Warum gerade drei Monate?

Diese drei Monate beruhen auf Empfehlungen, die Anfang der 1990er-Jahre verabschiedet wurden. Damals setzte man noch HIV-Antikörper-Tests der ersten und zweiten Generation ein, der HIV-Test war ja erst 1985 auf den Markt gekommen. Während der Entwicklung dieser Tests hatte man damals gesehen, dass es bei einzelnen Patienten bis zu acht Wochen dauerte, bis das Immunsystem genügend Antikörper für den Nachweis durch den Test gebildet hatte. Und um möglichst große Sicherheit zu haben, vor allem für Blutspenden, einigte man sich auf die Empfehlung, den Test frühestens drei Monate nach der letzten Risikosituation zu machen. Im Nachhinein hat sich das als gute Entscheidung herausgestellt, denn in ganz seltenen Fällen kann die sogenannte diagnostische Lücke – das heißt, ein Antikörpertest würde dann nicht anschlagen, obwohl in Wirklichkeit eine Infektion vorliegt – auch länger als acht Wochen sein.

Antigen-Antikörper-Test: Ausschluss der Infektion schon nach 6 Wochen

Die Deutsche AIDS-Hilfe hat die Beraterinnen und Berater in Testprojekten und Gesundheitsämtern neulich informiert, dass sich diese maximale diagnostische Lücke bei den heutzutage eingesetzten Labortests auf sechs Wochen halbiert hat. Warum das?

Schon seit 2002, 2003 gibt es die Labortests der vierten Generation, und seit 2006, 2007 werden die fast flächendeckend eingesetzt. Diese Kombinationstests suchen nicht nur nach Antikörpern, sondern auch nach dem Antigen p24. Dieser Virusbestandteil ist schon früher im Blut nachweisbar, denn der p24-Spiegel steigt in der Regel ab dem 14. Tag nach der Infektion in einen messbaren Bereich. Ausschließen kann man eine Infektion dann nach sechs Wochen – wenn der Antigen-Antikörper-Test dann nicht „anschlägt“, sind weder p24-Antigen noch Antikörper im Blut, und man ist mit hoher Sicherheit nicht infiziert.

Was heißt „mit hoher Sicherheit“?

Mit hoher Sicherheit bedeutet, dass es seltene Ausnahmen gibt, die aufgrund ihres geringen Vorkommens keine echte Relevanz haben, beziehungsweise dass bestimmte Konstellationen besonders bewertet werden müssen.

Zumindest für die Post-Expositions-Prophylaxe nach HIV-Kontakt gilt, dass das Zeitfenster bis zu einem sicheren Ausschluss einer HIV-Infektion erst nach Beendigung der Prophylaxe beginnt. Keine Daten liegen aber vor bei Durchführung einer Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP). Hier kann man sich, falls es tatsächlich trotz der Prophylaxe zu einer Infektion kommen sollte, auch eine Verlängerung des diagnostischen Fensters vorstellen.

„Die deutschen Empfehlungen werden gerade überarbeitet“

Zwei sehr seltene Ausnahmen existieren mit HIV-1 Gruppe O und HIV-2. Das p24-Antigen dieser beiden Viren unterscheidet sich stark von den viel häufigeren anderen HIV-1-Typen. HIV-2 kommt fast nur in Westafrika vor, in Deutschland werden durchschnittlich ein bis zwei Fälle pro Jahr neu diagnostiziert, wobei diese Infektionen nicht in Deutschland erworben wurden. HIV-1 Gruppe O kommt eigentlich nur in Kamerun und selbst da nur in geringer Anzahl vor. Grundsätzlich besteht immer die hypothetische Möglichkeit einer neuen Virusvariante, die zwar durch die Tests erkannt wird, aber bei der das diagnostische Fenster verlängert ist.

Wer ganz sicher gehen will, wartet nach einem HIV-Risiko weiterhin zwölf Wochen bis zum Test, denn der Antikörpernachweis funktioniert auch bei HIV-2 und HIV-1 Gruppe O .

Für die meisten ist diese Info zur verkürzten diagnostischen Lücke neu. Kann man das irgendwo nachlesen?

Ja, die aktuellen europäischen Leitlinien zur HIV-Testung wurden 2014 veröffentlicht, da findet sich diese Info auf Seite 5. Die deutschen Empfehlungen werden gerade überarbeitet. Daran bin auch ich beteiligt, nämlich als Mitglied im Writing Committee, und ich bin guter Dinge, dass wir die Empfehlungen noch im ersten Quartal 2015 veröffentlichen können.

 Bei HIV-Schnelltests gilt weiterhin die Drei-Monats-Regel

Okay, frühestens drei Monate nach der letzten HIV-Risikosituation zum Test, das konnte man sich leicht merken. Nun sind es also sechs Wochen – aber nur beim Labortest. Bei HIV-Schnelltests, bei denen man das Ergebnis schon nach spätestens 30 Minuten bekommt, gilt weiterhin die Drei-Monats-Regel. Warum das?

Die Schnelltests, die in manchen Gesundheitsämtern und Testprojekten eingesetzt werden, sind reine Antikörpertests, reagieren also nicht auf p24. Schnelltests, die sowohl Antikörper als auch p24 nachweisen können, wären derzeit einfach zu teuer. Es gibt zwar ein Produkt, aber das ist nicht empfindlich genug auf p24. Dieser Test hat bei Versuchen frühe Infektionen übersehen, auch solche, die man mit Tests der dritten Generation gefunden hätte. Den kann man also nicht guten Gewissens empfehlen.

Eine Frage zum Schluss: Hat denn diese Verkürzung der diagnostischen Lücke überhaupt einen Vorteil?

Nun, aus Gesprächen mit Testkandidaten weiß ich, dass es für viele ein großes Anliegen ist, die Zeit der Unsicherheit zu verkürzen. Es macht eben schon etwas aus, ob ich drei Monate oder nur sechs Wochen warten muss, bis ich mit einem Test eine Infektion ausschließen kann, zum Beispiel nach einer Nadelstichverletzung. Oder nach einem HIV-Risikokontakt außerhalb meiner Partnerschaft – wenn ich sonst mit meinem Partner auf Kondome verzichte, ist es leichter, sechs Wochen wieder zum Gummi zu greifen oder auf Sex zu verzichten als drei Monate …

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Obermeier!

Das Interview führte Holger Sweers.

 

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Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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