FORSCHUNG

Drogen, soziale Probleme und HIV

Von Gastbeitrag
Amphetamin und Alkohol
Amerikanische schwule Männer, die Depressionen, sexuellen Missbrauch in der Kindheit, den Konsum von Stimulanzien oder anderen Substanzen oder starken Alkoholkonsum angeben, haben ein neunmal größeres HIV-Risiko als Männer ohne diese Probleme, so die im Journal of Acquired Immune Deficiency Syndromes veröffentlichten Ergebnisse einer großen, über vier Jahre laufenden Studie.

Die Wahrscheinlichkeit für riskanten Sex oder eine HIV-Infektion war dabei umso größer, je mehr dieser Faktoren auf einen Mann zutrafen. Die Studienautorinnen und -autoren vermuten, dass die Faktoren miteinander verknüpft sind und im Zusammenspiel die Vulnerabilität der Männer erhöhen.

Syndemie: Verschiedene gesundheitliche Belastungen greifen ineinander

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass bei Schwulen und anderen Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), der Anteil derer, die Substanzgebrauch, Probleme mit der psychischen Gesundheit, sexuellen Missbrauch und weitere Probleme angeben, höher ist als bei anderen Männern.

Manche Forscher sehen diese Probleme nicht nur als einzelne Faktoren, sondern untersuchen, wie sie mit riskantem Sexualverhalten und HIV-Infektionen verknüpft sind. Der Begriff „Syndemie“ beschreibt das gleichzeitige Auftreten verschiedener Krankheiten und sozialer Probleme, die zusammen einen besonders starken negativen Einfluss auf die Gesundheit ausüben. Einige Forschungsarbeiten zum Thema „Syndemie“ machen auf Armut und soziale Marginalisierung als zugrundeliegende Ursachen aufmerksam, und manche Studien zu Männern, die Sex mit Männern haben, legen nahe, dass frühe Erfahrungen von Homophobie, sozialer Zurückweisung oder auch von Verschweigen sich lebenslang auswirken.

Studien haben gezeigt, dass schwule Männer häufig mehr als nur ein psychosoziales Gesundheitsproblem angeben und dass das Vorliegen mehrerer gesundheitlicher Probleme signifikant sowohl mit hochriskantem Sexualverhalten als auch mit HIV-Infektionen assoziiert ist. Allerdings handelte es sich dabei um Querschnittsuntersuchungen, die Daten wurden also zu einem bestimmten Zeitpunkt gesammelt. Diese Studien konnten daher nicht zeigen, dass miteinander verbundene psychosoziale Gesundheitsprobleme bereits vor riskantem Sexualverhalten und vor einer HIV-Infektion auftraten.

Je mehr Belastungen, desto höher das HIV-Risiko

Matthew Mimiaga und seine Kolleginnen und Kollegen haben daher noch einmal Daten aus dem EXPLORE-Projekt analysiert, einer Kohorte mit 4.295 MSM, die von 1999 bis 2001 in sechs amerikanischen Städten rekrutiert und dann vier Jahre lang beobachtet worden waren. Zwar sind diese Daten schon älter, aber andere größere prospektive Kohortenstudien sind in den letzten Jahren nicht durchgeführt worden.

Alle Teilnehmer waren zu Beginn der Studie HIV-negativ, 259 Männer (= 6 %) infizierten sich in der Laufzeit der Kohorte. Die Analyse konzentriert sich auf diejenigen Risikofaktoren, die einer Ansteckung mit HIV vorausgingen. Zwischen den Studienteilnehmern gab es durchaus Unterschiede, aber die Mehrheit war weiß, gut ausgebildet und vollzeitbeschäftigt.

Das besondere Interesse der Forscherinnen und Forscher galt fünf syndemischen gesundheitlichen und sozialen Problemen. Alle sechs Monate wurden Daten erhoben, zu Beginn der Studie sahen diese wie folgt aus:

  • 47 % der Befragten berichteten Symptome einer Depression.
  • 39 % gaben sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit an.
  • 25 % berichteten den Konsum stimulierender Drogen (Gebrauch von Crack, Kokain oder Crystal Meth in den zurückliegenden sechs Monaten).
  • 14 % gaben polyvalenten Drogenkonsum an (Konsum von drei oder mehr nichtstimulierenden Drogen in den zurückliegenden sechs Monaten).
  • 11 % berichteten starken Alkoholkonsum (vier oder mehr Einheiten täglich, sechs oder mehr Einheiten an einem typischen Tag mit Alkoholkonsum).

Einige Problemkombinationen sind stärker mit HIV-Infektionen assoziiert

Nur ein Viertel der Männer aus der Kohorte berichtete zu Beginn der Befragung von keinem dieser Probleme. Über ein Drittel (35 %) gaben ein Problem an, 24 Prozent zwei, 10 Prozent drei, 4,3 Prozent vier und 0,7 Prozent fünf Probleme.

Nach statistischer Anpassung ergab sich für Männer, die mindestens eines dieser Probleme angaben, ein 1,7-fach erhöhtes Risiko für eine HIV-Infektion. Bei Männern mit zwei Problemen war das Risiko 2,4-fach erhöht, bei Männern mit drei Problemen 5,3-fach. Männer, die vier oder fünf Probleme angaben, hatten ein 8,7-fach erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren. Alle diese Verknüpfungen waren statistisch signifikant.

In ähnlicher Weise war bei Männern mit mehreren Problemen auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie Analverkehr ohne Kondom mit einem Partner mit unbekanntem oder unterschiedlichem HIV-Status angeben. So gaben etwa Männer mit drei Problemen dieses Verhalten 2,2-mal so häufig an wie Männer ohne Probleme. Bei Männern mit vier oder fünf Problemen war die Wahrscheinlichkeit 4,3-mal so hoch.

Ein besseres Syndemie-Verständnis könnte zu besserer Prävention beitragen

Die Forscherinnen und Forscher fanden auch heraus, dass bestimmte Problemkombinationen stärker mit HIV-Infektionen assoziiert waren als andere. Am bemerkenswertesten war, dass 15 von 18 Kombinationen mit erhöhtem HIV-Risiko auch den Konsum stimulierender Drogen einschlossen, während von 14 Kombinationen mit niedrigerem HIV-Risiko nur eine auch den Konsum von Stimulanzien umfasste. Alleine konnte der Konsum von Stimulanzien allerdings die erhöhte Wahrscheinlichkeit für riskantes Sexualverhalten oder eine HIV-Infektion nicht erklären.

Den Forscherinnen und Forschern zufolge könnte ein besseres Verständnis dafür, wie miteinander verschränkte Probleme mit dem HIV-Risiko verknüpft sind, zur Entwicklung besserer und stärker ganzheitlich ausgerichteter Präventionsmaßnahmen beitragen. So könnten etwa Männer mit Symptomen einer Depression und mit Stimulanzienkonsum (eine mit erhöhtem HIV-Infektionsrisiko assoziierte Kombination) von Beratungsangeboten profitieren, die psychische Gesundheit, Drogenkonsum und riskantes Sexualverhalten ansprechen. Und Interventionen für Männer, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden, sollten eher die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung thematisieren, als lediglich festzustellen, dass ein solcher Missbrauch stattgefunden hat.

„Diese Studie zeigt, dass die Häufung ‚syndemischer‘ oder überlappender psychosozialer Probleme die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion bei MSM in den USA vorherzusagen vermag“, so das Fazit der Autorinnen und Autoren, die hier eine Beziehung zwischen „Dosis und Wirkung“ festgestellt haben: Je höher die Zahl syndemischer Faktoren, desto höher das HIV-Infektionsrisiko. Da es sich außerdem um eine prospektive Längsschnittstudie gehandelt habe, sei dies ein überzeugender Beweis für die Erhöhung des HIV-Risikos von MSM durch syndemische Probleme.

 

*Original: „Substance use and and social problems predict HIV infection in American gay men von Roger Pebody, aidsmap.com, 20.1.2015; Übersetzung: Literaturtest

Vielen Dank an NAM/aidsmap.com für die Erlaubnis zur Veröffentlichung!

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