Milan ist einer der rund 5000 Männer, die an der internationalen PrEP-Studie DISCOVER teilnehmen. Mit ihr soll überprüft werden, ob sich das Kombinationsmedikament Descovy genauso gut für die HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe („Pillen zum Schutz vor HIV“) eignet wie der Vorgänger Truvada und die Truvada-Generika. Magazin.hiv begleitet den 27-Jährigen mit Interviews.

Milan, seit April 2017 läuft nun bereits die auf drei Jahre angelegte PrEP-Studie. Du hast also Halbzeit. Hat sich bei dir gesundheitlich etwas verändert?

Nein, alles ist in Ordnung. Bei den letzten beiden Routinechecks hat sich zwar die Praxis, die mich im Rahmen der Studie betreut, bei mir gemeldet, weil sie auffällige Werte registriert hatten, und ich musste dann noch mal hin.

„Zum Glück bin ich ganz gesund“

Aber es war beide Male falscher Alarm. Einmal dachten sie, ich hätte eine akute Syphilis-Infektion, aber eigentlich wussten sie ja, dass ich schon mal Syphilis hatte und deshalb immer noch Antikörper nachweisbar sind. Ein anderes Mal vermuteten sie, ich hätte entweder Hepatitis C – oder einen starken Muskelkater. Das zweite war dann auch der Fall.

Dass es bei den vierteljährlichen Checks fast immer einen Grund gab, weshalb ich noch einmal in die Praxis kommen musste, nervt ein wenig. Aber zum Glück bin ich ganz gesund.

Verträgst du weiterhin die Tabletten?

Ich merke überhaupt keine Nebenwirkungen. Ich habe mich an die Einnahme sehr gut gewöhnt.

Bekommst du von anderen Studienteilnehmern oder befreundeten PrEP-Nutzern mit, ob es ihnen mit den Checks ähnlich ergeht?

Seit unserem letzten Interview hat sich in meinem Leben etwas sehr Einschneidendes verändert. Damals war es noch nicht klar, wie es sich entwickeln würde, aber mittlerweile bin ich schon fast ein Jahr in einer festen Beziehung. Das hat große Veränderungen auch auf mein Sexleben und auf meinen Kontakt in die Szene. All die Bekannten dort, die auch die PrEP nehmen, sehe ich eigentlich gar nicht mehr und spreche deshalb mit anderen eigentlich kaum mehr über die PrEP.

Die PrEP gibt Sicherheit

Hat sich für dich durch die Beziehung die Notwendigkeit der PrEP verändert?

Ich will sie auf jeden Fall weiter nehmen, auch wenn ich jetzt keinen Sex mehr mit anderen Männern habe. Man weiß ja schließlich nie, was passiert.

Falls du morgen auf der Straße unverhofft jemanden triffst und mit ihm im Bett landest …

Ich mache so was eigentlich nicht, aber ich fühle mich mit der PrEP einfach besser. Für den Fall aller Fälle. Ich will natürlich auch meinen Freund damit schützen, indem ich mich schütze.

„Mit der PrEP schütze ich auch meinen Freund“

Wir kennen uns jetzt seit fast einem Jahr. Bevor wir uns kennengelernt haben, hatte ich schon meinen Flug zum Tel Aviv Gay Pride gekauft und bin im Juni auch hingeflogen. Dort hatte ich mich auch wieder mit jemandem getroffen. Für mich hat es sich schon deshalb gelohnt, die PrEP weiter zu nehmen. Ich gehe aber nicht mehr aus, um mit anderen rumzumachen.

Habt ihr für euch in der Beziehung euren HIV-Status geklärt?

Wir sind beide negativ. Und er weiß natürlich auch, dass ich auf PrEP bin. Er nimmt sie nicht. Er hatte zuvor aber auch noch nie Sex ohne Kondom.

War es für ihn ein Problem oder ungewohnt, beim Sex mit dir jetzt das Gummi wegzulassen?

Nein, ich hatte bei ihm keinerlei Verunsicherung gespürt, sondern er hatte sehr schnell Vertrauen zu mir aufgebaut. Und auch er hat keinen Sex außerhalb der Beziehung.

Ein Nutzen der PrEP sind auch die regelmäßigen Gesundheits-Checks

Und falls doch, bist du mit der PrEP auf der sicheren Seite.

Richtig (lacht). Ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber jetzt bin ich erst einmal in der Studie, und so lange werde ich die PrEP auf jeden Fall nehmen, auch wenn ich nun genau genommen in einer monogamen Beziehung bin und mich nicht um HIV sorgen muss.

Der Hauptvorteil, den ich jetzt für mich aus der PrEP ziehe, ist also nicht mehr wie zu Anfang in erster Linie der Schutz vor HIV, sondern dass ich regelmäßig alle drei Monate komplett durchgecheckt werde und so alles über meinen Körper erfahre.

Bei den Checks wird ja auch geprüft, ob die Medikamente die Nierenwerte oder Knochendichte beeinträchtigen. Machst du dir deswegen Sorgen?

Nicht, dass ich Angst davor hätte, aber ich habe in letzter Zeit doch mehr als früher darüber nachgedacht. Zumal, wenn man die Medikamente vielleicht tatsächlich sein halbes Leben lang nimmt – und zwar täglich. Und wenn es Langzeitfolgen gibt: Sind sie einschneidend, oder kann man sie in Kauf nehmen, weil die Vorteile der PrEP mögliche Langzeitfolgen bei Weitem überwiegen?

„Vor der PrEP haben mich Angst und Unsicherheit belastet“

Wenn die Studie im nächsten Jahr beendet wird, machst du dann trotzdem mit der PrEP weiter?

Ich denke schon – auch, wenn ich dann noch in einer Beziehung bin. Dafür habe ich mich viel zu sehr an diese Form der Sicherheit gewöhnt.

Vor der PrEP habe ich viel rumgemacht und bin immer wieder auch mal ungewollt Risiken eingegangen, mich mit HIV zu infizieren. Diese Angst und Unsicherheit haben mich wirklich belastet. Die PrEP hat mich davon befreit, und meine Befürchtung wäre nun, dass diese Angst wieder zurückkommen könnte, wenn ich die PrEP zum Ende der Studie abbreche.

Partnerschaft, PrEP und Partyszene

Die Möglichkeit, in Clubs ungezwungen und ohne langen Anlauf Sex zu haben, hatte vor einem Jahr noch eine große Bedeutung für dich. Wie ist heute dein Verhältnis dazu?

Ja, ich hatte den Wunsch, mich sexuell auszuleben, mit vielen Männern. Nun werde ich genießen, was ich jetzt habe: nämlich die Beziehung mit meinem Freund.

Ich gehe eigentlich gar nicht mehr in die Szene. Mir fällt jetzt auf, wie vieles einfach zur Gewohnheit geworden war. Ich habe trotzdem immer noch meine Dating-App auf dem Smartphone. Eigentlich brauche ich sie nicht mehr, weil ich ja niemand anderen treffen will. Aber ich habe die App noch nicht gelöscht, weil man dadurch zumindest das Gefühl hat, noch irgendwie zur Szene dazuzugehören.

Du benutzt die App also gar nicht mehr?

Nur ganz, ganz selten. Wenn ich mal unterwegs bin und nichts zu tun habe, dann habe ich wieder reingeschaut. Danach frage ich mich dann: Warum eigentlich?

Ich war, um ehrlich zu sein, mittlerweile von der Szene gelangweilt. Aber wenn man Single ist, geht man eben trotzdem aus. Man nimmt vieles einfach nicht wahr oder blendet es aus. Ich vermisse das alles gar nicht. Es dreht sich nicht mehr alles um die Partys, sondern ich nutze die Zeit nun viel mehr dazu, um die Stadt und die Kultur zu erleben.

„Ich habe die Partyszene sehr genossen, aber jetzt bin ich an einem anderen Punkt“

Wenn man nicht mehr in der Szene und auf den Partys ist, wird man dort auch nicht vermisst. Man kennt die Leute schon drei, vier Jahre, aber sie melden sich nur bei mir, wenn sie Sex haben wollen. Das will ich derzeit aber nicht, deshalb ist das Interesse an mir auch gleich wieder verschwunden.

Bedauerst du jetzt, mit dieser Distanz, dass du so viel Zeit in der Partyszene verbracht hast?

Nein, es war definitiv keine verlorene Zeit. Es geht um den Spaß am Leben, und ich möchte diese Erlebnisse und Erfahrungen nicht missen. Ich habe die Szene sehr genossen. Aber jetzt bin ich an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben.

Wenn ich jetzt doch mal wieder in der Szene gehe, und das passiert vielleicht alle drei Monate, dann kommt mir vieles lächerlich vor.

Kannst du da ein Bespiel nennen?

Ich war mal bereits um Mitternacht in einem Club, es waren also noch kaum Leute da. Plötzlich stürmt da dieser junge Typ, den ich sogar kannte, auf die leere Tanzfläche und reißt sich sein T-Shirt vom Leib. Das war so absurd. Wem wollte er sich in diesem Moment eigentlich zeigen? Darum geht es doch nur.

Zwei Stunden später, die Party ist in vollem Gange, drängen sich auf diesem kleinen Podest ein halbes Dutzend Männer. Sie stehen so eng, dass sie sich kaum bewegen, geschweige denn tanzen können.

„Vielleicht kommt die Lust auf Szene und den Sex mit anderen wieder“

Dieser kleine Kasten ist in diesem Moment ihre Bühne, um sich und ihren Körper zu präsentieren. Aber hey, das sind erwachsene Leute! Ich habe mich dann gefragt: War ich vielleicht auch so? Es sind Kleinigkeiten, aber sie sie fallen mir erst jetzt auf.

Zumindest im Moment brauche ich das alles nicht mehr, weil es mir auch nichts gibt. Möglicherweise ist das aber nur eine Phase und die Lust auf all das und auf den Sex mit anderen kommt wieder. Wir werden es sehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Weitere Interviews mit Milan:

„Die PrEP ist nur ein Werkzeug, und man muss lernen, damit umzugehen“ (26.8.2017)

„Die PrEP befreit einen davon, immer an HIV denken zu müssen“(27.2.2018)

Weiterführende Beiträge zum Thema:

„Pillen zum Schutz vor HIV“: DISCOVER-Studie jetzt auch in Deutschland“ (magazin.hiv, 10.4.2017)

Interview: „Seit ich die PrEP nehme, ist mein Sex viel entspannter“ (magazin.hiv, 5.7.2017)

„PrEP? So was machen wir hier nicht!“ (magazin.hiv, 1.8.2017)

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Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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