35 Jahre ist Meredith mit ihrem Mann verheiratet, als sie durch Zufall ihre HIV-Diagnose erhält. Der Schweizer Film Vakuum erzählt eindringlich und stimmig, wie durch diese Nachricht ihr Leben und ihre Ehe erschüttert werden.

Meredith und André haben guten Grund zum Feiern. Wie es scheint, konnte das Paar in 35 Jahren Ehe eine lebendige und harmonische Partnerschaft aufrechterhalten, und selbst die Sinnlichkeit und das Sexleben sind dabei nicht auf der Strecke geblieben.

HIV stellt das gutbürgerliche Leben infrage

Die Kinder sind längst erwachsen und wohlgeraten, man lebt finanziell abgesichert in bester Lage, spielt Tennis und pflegt die kulturellen Interessen und einen engen Freundeskreis. Ein gutbürgerliches Leben im Sicherheitsmodus. Doch mitten in die Vorbereitungen ihres Hochzeitstages platzt unvermittelt eine Nachricht, die das alles infrage stellt.

„Das kann nicht sein, ich bin gesund!“

Durch einen Test im Rahmen einer Blutspende erfährt Meredith, dass sie HIV-positiv ist. „Das kann nicht sein, ich bin gesund!“, entgegnet sie dem Arzt.

Es muss sich um einen Fehler, eine Verwechslung handeln, eine andere Erklärung kann sich Meredith nicht vorstellen. Die zweite Untersuchung aber betätigt den Befund.

Meredith hegt einen neuen Verdacht: Vielleicht wurden sie oder ihr Mann bei einem Krankenhausaufenthalt mit einer kontaminierten Blutkonserve infiziert?

Doch die Krankenakten geben keinerlei Hinweise, dafür erhärtet sich ein anderer Verdacht.

Ihr Ehemann André (gespielt von Robert Hunger-Bühler), ein erfolgreicher Architekt, hat sie hintergangen und sich bei einem seiner heimlichen Bordellbesuche mit dem Virus angesteckt.

Der Film Vakuum setzt auf sachlich-kühle Distanz

Der Plot dieses Beziehungs- und Ehedramas hätte alle Zutaten für ein klischeebeladenes Moralstück mit einem klar definierten „Opfer“ und „Täter“.

Doch zum Glück ist die Schweizer Filmemacherin Christine Repond („Silberwald“) weder an einem rückständigen Bild einer HIV-Infektion noch an einem emotionalisierten Betroffenheitsmelodram interessiert.

Im Gegenteil: Die Regisseurin setzt auf eine fast sachlich-kühle Distanz, sowohl in den stimmigen und zugleich nüchternen Bildern wie in den pointierten Gesprächen.

Emotionale Achterbahnfahrt in Gesten, Blicken und Dialogen

Repond erzählt diese Geschichte von Liebesverrat und Vertrauensverlust fast ausschließlich aus der Perspektive von Meredith – und macht Vakuum so zu einem Film für Barbara Auer.

Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, gibt es keine großen Gefühlsausbrüche. Stattdessen spielt sich die emotionale Achterbahn, die Meredith durchlebt, vor allem in Gesten und Blicken wie in prägnanten Dialogen ab.

Scham, Verletzt-Sein, Angst

Bei ihrem ersten Besuch einer Selbsthilfegruppe wird dort über Diskriminierung am Arbeitslatz diskutiert. Meredith hat da aber den Schock der Diagnose noch nicht überwunden. Sie vermag nicht einmal auszusprechen, dass sie HIV-positiv ist.

Erst bei einer späteren Sitzung kann die sonst so selbstbewusste und resolute Frau darüber reden, was sie umtreibt: die Scham, ihr Verletzt-Sein, vor allem aber ihre Angst.

Ihr Arzt vermag ihr zwar die medizinischen Möglichkeiten und die Behandlung einfühlsam zu erklären, aber nicht die Angst davor zu nehmen, „was die Krankheit aus mir macht“.

Basierend auf einer authentischen Geschichte, zeigt Christine Repond ihre Hauptfigur in den ersten Wochen nach der Diagnose und die damit verbundenen psychischen Belastungen samt den emotionalen Widersprüchen.

Was werden die Kinder denken? Wie soll sie je wieder ihrem Mann vertrauen? Trennen sich nun unweigerlich die Wege? Und wie könnte ein Weiterleben aussehen?

Vakuum ist auch ein Film über das Verschweigen von Wünschen und Fantasien

Der Film Vakuum ist, wenn man so will, auch eine Geschichte über die Neuerfindung einer Frau und den Neustart einer Beziehung.

Präzise und hochkonzentriert seziert Repond die infrage gestellte Alltagsroutine des Ehepaars und bringt die kaum erkennbaren Brüche ihres fraglichen Glücks ins Licht.

Vor allem aber muss das Paar erkennen, wie viel man trotz des harmonischen Zusammenlebens voreinander verschwiegen hat. Zum Beispiel sexuelle Wünsche und Fantasien.

„Können Sie mit jemandem reden?“

„Können Sie mit jemandem reden?“, wird Meredith von ihrem Arzt gefragt – und er trifft damit den wunden Punkt.

Erst als sie die Scham, den Zorn auf ihren Mann und auch den Schmerz über seinen Vertrauensbruch halbwegs überwunden hat, findet sie eine Möglichkeit zu sprechen: mit ihrem Mann, den Kindern, in der Selbsthilfegruppe.

Und erst mit dem Reden gelingt es ihr, das Leben wieder in den Griff zu bekommen ­- und nicht mehr Opfer des Schicksals, sondern Gestalterin ihres Lebens zu sein.

Vakuum. Deutschland/Schweiz 2018, Regie und Drehbuch: Christine Repond; Darsteller_innen: Barbara Auer, Robert Hunger-Bühler, Orianna Schrage, Anna Katharina Müller, Matthias Koch. 80 Minuten, Kinostart: 14. März 2019

Infoseite zum Film und Trailer: RealFictionFilme

Zum Kinostart finden Voraufführungen bzw. zu ausgewählten Vorstellungen Gespräche mit der Hauptdarstellerin Barbara Auer und der Filmemacherin Christine Repond statt.

Köln, Schauspiel Offenbachplatz – 13. März, 20 Uhr, Premiere mit Regisseurin Christine Repond und Barbara Auer

Berlin, Filmkunst 66 – 14. März, 18 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseurin Christine Repond und Barbara Auer

Berlin, fsk – 14. März, 19.45 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseurin Christine Repond und Barbara Auer

Dresden, Kino in der Fabrik – 15. März, 20 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseurin Christine Repond und Barbara Auer

München, Neues Maxim – 16. März, 18.30 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseurin Christine Repond und Barbara Auer

Potsdam, Thalia – 18. März, 18.45 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseurin Christine Repond

Bonn, Kino in der Brotfabrik – 19. März, 19 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseurin Christine Repond

Hamburg, Zeise – 19. März, 19.45 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Barbara Auer

Heidelberg, Gloria – 20. März, 19 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Regisseurin Christine Repond

Wiesbaden, Caligari – 29. März, 20 Uhr, Sondervorstellung mit anschließendem Filmgespräch mit Barbara Auer

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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